Sebastian Kurz: "Die Menschen sind schlicht und ergreifend nicht dumm"
Am Mittwoch wurden von der Bundesregierung Lockerungen der Corona-Maßnahmen verkündet. Der Handel und die Pflichtschulen dürfen wieder öffnen, Weihnachten darf mit zehn Personen gefeiert werden. Es wurden aber auch Verschärfungen kundgetan. So müssen sich Menschen, die aus "Risiko-Gebieten" kommen (14-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen über 100), in Quarantäne begeben. Darüber sprach Bundeskanzler Sebastian Kurz mit PULS 24 Anchor Thomas Mohr.
Kommen die Lockerungen zu früh?
Entscheidend ist, wie wir lockern. Und das muss ganz behutsam und ganz vorsichtig sein. Entscheidend wird hier der private Bereich sein. Es stimmt, dass die Schulen und der Handel wieder geöffnet werden, aber es bleiben gleichzeitig die Ausgangssperren am Abend und die Kontaktbeschränkungen. Das heißt, mein eindringlicher Wunsch ist, dass die Bevölkerung nach wie vor soziale Kontakte vermeidet. Es ist erlaubt maximal einen anderen Haushalt zu treffen – die Betonung liegt aber wirklich auf maximal. Je weniger Menschen das in Anspruch nehmen, desto besser werden wir durch die nächsten Wochen und Monate kommen. Die Ansteckungszahlen sind nach wie vor auf einem hohen Niveau. Der Lockdown hat aber trotzdem massiv Wirkung gezeigt, denn sie waren schon einmal mehr als doppelt so hoch. Das heißt, die Reduktion dieser Ansteckungszahlen hat funktioniert, die Ansteckungszahlen werden auch sicherlich bis Weihnachten noch weiter sinken, weil das ja immer in den Statistiken zeitverzögert als Effekt eintritt, aber der ganz große wesentliche Bereich ist der Private.
Steuern wir auf einen weiteren Lockdown zu?
Das wird sehr stark von unserem Verhalten abhängen. Wir haben ja zum einen massive Regelungen was den privaten Bereich betrifft. Die müssen eingehalten werden. Wenn die nicht eingehalten werden, dann ist das der problematischste Bereich. Wir haben im Handel aber auch in den Schulen strenge Sicherheitskonzepte. Dort werden Masken getragen und insofern ist sicherlich, der Handel zum Beispiel, nicht der Ort, wo so viele Ansteckungen stattfinden. Das ist nach wie vor im Privaten.
Zum zweiten setzen wir ja auf das Konzept der Massentests. Das heißt, wir haben da die Chance noch einmal sehr viele Infektionen aus der Bevölkerung herauszufiltern. Und zusammengefasst würde ich sagen, die Frage wie wir im Jänner oder Februar dastehen, hängt ausschließlich davon ab, wie die Bevölkerung die Maßnahmen mitträgt und wie viele Menschen an den Massentests teilnehmen.
Könnte man die Oberstufe nicht auch wieder auf Präsenzunterricht umstellen?
Machen kann man alles. Aber ihre Vorfrage war gerade, ob wir nicht zu schnell öffnen. Sie sehen also, wie herausfordernd das Abwiegen ist. Wir haben versucht eine vernünftige Entscheidung zu treffen, wir haben versucht eine behutsame Entscheidung zu treffen. Und diese Öffnungsschritte sehr vorsichtig zu machen und da gehört eben auch dazu, dass bei den Altersgruppen wo es möglich ist, wir nach wie vor auf Distance-Learning setzen. Wär‘s schöner wenn alle Kinder sofort wieder in die Schule gehen könnten? Ja, selbstverständlich. Aber gerade was sie in ihrer vorigen Frage angesprochen haben, nämlich, wie können wir‘s verhindern, dass wir im Jänner in den nächsten Lockdown hineinmüssen, das hat uns geleitet, bei dieser Entscheidung. Zum Beispiel auch die Oberstufe noch auf Distance-Learning geschlossen zu halten und viele andere Öffnungsschritte auch zeitlich versetzt durchzuführen.
Auf welche Daten begründet sich die Maßnahme, bei einer Rückkehr aus "Risiko-Gebieten" zehn Tage in Quarantäne zu müssen?
Es hat Slowenien höhere Zahlen, aber wir haben zum Beispiel auch in Ungarn eine massive Dynamik nach oben und wir haben darüber hinaus nicht nur einen Austausch mit unseren Nachbarländern, sondern wir haben auch einen starken Austausch mit Kroatien, mit dem Westbalkan und da sind die Infektionszahlen teilweise am Explodieren. Insofern halte ich es für ganz, ganz entscheiden da genau hinzuschauen. Warum? Weil wir im Sommer genau dieses Phänomen hatten. Wir hatte im Sommer nach dem Lockdown in Österreich relativ niedrige Ansteckungszahlen. Vieles hat im Inland gut funktioniert. Sogar der Tourismus, wo am Anfang viele skeptisch waren hat mit kaum Infektionen mit ganz wenigen Clustern, die schnell eingefangen werden konnten, funktioniert. Und wir wissen aus Statistiken, dass mindestens ein Drittel unserer Infektionen, die in Österreich Ende des Sommers ausgebrochen sind, nach Österreich eingeschleppt wurden. Über Reiserückkehrer, vor allem aber auch über Personen, die am Balkan oder in der Türkei ihre Wurzeln haben, dort den Sommer verbracht haben, sich dort leider angesteckt haben und es wieder mit nach Österreich gebracht haben. Und das hat sich dann natürlich in Österreich verbreitet und gesteigert. Vom Schulanfang Anfang September angefangen. Und daher: Ja, das sind strenge Regeln, aber es ist absolut notwendig, das zu machen. Denn es wäre doch absurd, wenn wir in Österreich so vorsichtig sind, dass wir Gastronomie und Tourismus geschlossen halten, aber gleichzeitig lassen wir es zu, dass die Menschen nach Prag fahren um dort vielleicht Silvester zu feiern oder in Balkan-Länder zu fahren, wo die Infektionen gerade explodieren, während wir sie in Österreich gerade in mühevoller Arbeit nach unten drücken können.
Massentests: Wie wird verhindert, dass ein negatives Ergebnis als Freibrief für private Treffen gesehen wird?
Die Menschen sind schlicht und ergreifend nicht dumm. Und ich verwehre mich dagegen, dass man so tut, als wäre die Bevölkerung nicht im Stande zu verstehen, was die Aussage eines solchen Tests ist. Das ist relativ einfach. Natürlich ist so ein Test immer nur eine Momentaufnahme. Das weiß doch jeder. Man weiß auch, dass man sich sofort danach anstecken kann und man weiß auch, dass der Test nicht ab dem ersten Tag der Ansteckung sofort anspringt. Das heißt, theoretisch kann man das Virus schon in sich tragen, ist aber noch nicht infektiös und drum schlägt der Test noch nicht an. Das ist ja nicht schwer zu verstehen. Die Menschen, die an der Testung teilnehmen werden kein Problem haben das verstehen zu können. Und daher habe ich eigentlich relativ wenig Sorge, dass da eine falsche Sicherheit dann entsteht, sondern ganz im Gegenteil, ich halte es für höchste verantwortlich, wenn Menschen mitmachen und ich bin sehr, sehr dankbar, dass mittlerweile alle Landeshauptleute, die Sozialpartner, die Masse der Parlamentsparteien, der Bundespräsident, dass alle an einem Strang ziehen und diese Massentests gemeinsam durchführen wollen und bewerben wollen. Warum? Weil sie die Chance sind, dass wir Infizierte lokalisieren und verhindern, dass diese Menschen andere anstecken. Das heißt, jeder der mitmacht hat die Chance, falls er positiv ist, dass er es rechtzeitig erfährt, bevor er Familienangehörige, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen infiziert und die vielleicht gefährdet sind, dass der Krankheitsverlauf bei ihnen ein schwerer ist.
Sollen Menschen, die sich regelmäßig testen lassen, zu den Massentests gehen?
Zunächst einmal bin ich den Betrieben die jetzt schon regelmäßig testen sehr, sehr dankbar. Das ist ein ganz verantwortungsvoller Beitrag. Nicht nur für die Betriebe selbst, die ja auch etwas davon haben, weil sie verhindern, dass sie sich Infektionen einschleppen, sondern es ist auch ein Beitrag für die gesamte Bevölkerung. Soll man trotzdem mitmachen? Das hängt einfach davon ab, wann der Test ist. Also ich würde mal sagen es bringt nichts, zweimal an einem Tag einen Test zu machen. Ist er ein paar Tage her, macht es natürlich Sinn beides zu machen. Ich persönlich werde zum Beispiel auch regelmäßig getestet, weil ich in meinem Beruf einfach mit so vielen Menschen zu Kontakt haben muss immer wieder. Weil ich auch Reisetätigkeit in meinem Beruf habe. Dadurch ist es notwendig, dass ich mich regelmäßig testen lasse. Aber, ich mach trotzdem natürlich auch bei diesem Massentest mit wie alle anderen Österreicherinnen und Österreicher auch.
Wird eine Rückvergütung und/oder eine steuerliche Absetzbarkeit von selbst durchgeführten Tests angedacht?
Ich bin den Betrieben sehr dankbar, die das jetzt schon machen. Von denen hat auch noch niemand gefordert, dass das der Steuerzahler tragen soll. Also ich glaube es ist wichtig, dass da alle zusammenhelfen. Die Betriebe leisten da einen wesentlichen Beitrag. Dafür sind wir dankbar. Wir finanzieren als Republik diese Massentests, gewisse Screenings für Berufsgruppen, aber ich glaube, wenn wir uns da ein bisschen auch die finanzielle Verantwortung teilen, ist das gut. In Summe kann ich nur sagen, die Kosten dieser Tests, sind im Vergleich zu dem was Lockdowns kosten absolut vernachlässigbar.
Notstand im Pflegeheim St. Lorenzen – das Bundesheer muss aushelfen: Ist es den Ländern nicht zuzumuten, die ältere Bevölkerung entsprechend zu schützen?
Ich will hier über niemanden urteilen, aber ich kann nur alle, die in diesem Bereich Verantwortung haben, eindringlich ersuchen, alles zu tun, um die älteren Menschen in unserem Land gerade in den Pflegeheimen zu schützen. Es gibt mittlerweile am Markt die Möglichkeit Millionen an Tests zu bestellen. Wir haben so viele Tests als Republik Österreich, dass wir die gesamte Bevölkerung testen können. Es gibt ausreichend Masken und Schutzmaterialien. Und insofern ist meine eindringliche Bitte gerade in den Pflegeeinrichtungen alles zu tun, dass dieses ständige Einschleppen in die Pflegeeinrichtungen und die massive Verbreitung dort so nicht mehr stattfindet.
Alle Maßnahmen im Detail finden Sie hier
Zusammenfassung
- Bundeskanzler Sebastian Kurz sprach im Interview bei PULS 24 Anchor Thomas Mohr über die am Mittwoch verkündeten Lockerungen der Corona-Maßnahmen, Massentests, die Reiserückkehrer-Maßnahmen und Pflegeeinrichtungen.