APA/APA/AUSSENMINISTERIUM (Archivbild/Brüssel 22.05.2023)/MICHAEL GRUBER

Schallenberg zu UN-Woche: "Stresstest für Multilateralismus"

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) ist Montag Nachmittag (Ortszeit) in New York in die 78. Generalversammlung der Vereinten Nationen gestartet. Diese sei das jährliche "internationale Stelldichein im Herzen des Multilateralismus", hatte Schallenberg bei der Anreise gegenüber der APA erklärt. "Ein Multilateralismus, der momentan einem ungeheuren Stresstest ausgesetzt ist", sagte der Außenminister und verwies auf die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs oder den Klimawandel.

"Wir erleben ja gerade, dass eine Gruppe um Russland herum eine Reihe von Erklärungen (der UNO, Anm.) blockiert", merkte der Außenminister an. Das sei aber nur die "Spitze des Eisbergs". Das System zeige Risse auf "durch die Folgen des russischen Angriffskriegs und zweieinhalb Jahren der Pandemie". Und: "Wir haben die größte Anzahl an Konflikten seit dem Zweiten Weltkrieg." Zudem hätten die extremen Wetterereignisse der vergangenen Wochen auch aufgezeigt, dass sich der Klimawandel rasant zuspitze. Als weitere Problempunkte nannte der Außenminister die Felder "Migrationsströme, wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und Rückschritte bei der Nachhaltigkeit."

Die Liste sei ebenso lang wie deprimierend, so Schallenberg, "aber sie muss uns Ansporn sein. Wir dürfen nicht nachlassen." Gerade für ein Land wie Österreich sei der Multilateralismus so etwas wie ein "Schutzschild" das man brauche. "Wir wollen nicht auf einem Planeten leben, auf dem das Gesetz des Stärkeren gilt."

Gleich nach der Ankunft in New York eilte Schallenberg zu einem Treffen der EU-Außenminister. Am Dienstag steht für ihn gemeinsam mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen ein Meinungsaustausch mit UNO-Generalsekretär António Guterres auf dem Programm. Zuvor werden die beiden auch Brasiliens Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva und Außenminister Mauro Vieira treffen. Am Donnerstag folgt eine Rede vor dem UNO-Plenum.

Schwerpunkte der UNO-Generaldebatte sind heuer unter anderen die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit ("Agenda 2030") sowie die Haltung der Weltgemeinschaft zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird ebenfalls in New York erwartet. Er soll vor der Generalversammlung sprechen und auch Generalsekretär Guterres treffen. Russland ist durch Außenminister Sergej Lawrow vertreten.

Zum Ukraine-Krieg wird es am Mittwoch ein hochrangiges Treffen des UNO-Sicherheitsrats geben. Die Debatte werde die internationalen Positionen zum Konflikt widerspiegeln, hieß es im Vorfeld. Es wird erwartet, dass Selenskyj die internationale Staatengemeinschaft zu weiterer Hilfe für sein Land aufrufen wird.

Viele Länder des "globalen Südens", also die Entwicklungs- und Schwellenländer, die durch die Auswirkungen des Krieges in Mitleidenschaft gezogen wurden, drängen aber auf eine Kompromisslösung - ganz abgesehen davon, dass sie nicht Russland gegen sich aufbringen wollen.

UNO-Diplomaten zufolge wird sich aber ganz generell die wachsende Unzufriedenheit des "globalen Südens" mit dem aktuellen internationalen System bemerkbar machen, das als Ursache für bleibende Ungleichheit, Armut und Elend verstanden und dessen radikale Reform verlangt wird.

Hier sieht auch Schallenberg Handlungsbedarf. "Wir sind in einem Kampf der Angebote mit China, in einem Kampf der Narrative mit Russland. Und da müssen wir, glaube ich, sehr viel besser werden im Outreach", sagte er gegenüber der APA. "Wir müssen besser werden im Erklären und im Dialog auf Augenhöhe, mit wechselseitigem Respekt und ohne erhobenem Zeigefinger." Der Westen dürfe nicht "besserwisserisch und moralisierend" auftreten. Die UNO sei auch kein "Club der Gleichgesinnten". Er wolle auch keinen Multilateralismus "a la Facebook", formulierte Schallenberg, wo man sich nur "in einer Bubble, einer Echokammer" mit Gleichgesinnten aufhalte. Bei Fragen des "Klimawandels, der Abrüstung oder der globalen Sicherheit" müsse man auch "schwierige Gespräche" führen.

Wenn man sich anschaue, wo EU-Außenminister in den vergangenen zwei Jahren zu Besuch gewesen seien, zeige sich, dass es "etwa in Afrika große weiße Flächen gibt", erklärte Schallenberg. "Aber wer war dort? Das waren chinesische Vizeminister, russische Minister und andere." Fazit: "Wir dürfen diese Länder aber nicht Russland und China überlassen."

Dies werde er in New York - möglicherweise auch auf seiner für Donnerstagabend geplanten Rede vor der UNO-Vollversammlung - jedenfalls ansprechen, ließ Schallenberg gegenüber der APA durchblicken. "Wir müssen eine neue Sprache lernen als Europäische Union", meint er, "wenn wir zum Beispiel in der Sahelzone eine Hangabrutschung beobachten, im Niger antifranzösische Lieder gesungen und russische Fahnen geschwenkt werden, dann muss uns das zu denken geben."

Die EU sei doch der größte Entwicklungshelfer und der größte Geber humanitärer Hilfe weltweit, merkte Schallenberg an, "aber gleichzeitig haben wir weit weniger Softpower als wir uns gewünscht und vorgestellt haben." Da müsse es eine Introspektion geben innerhalb der Europäischen Union und der westlichen Wertegemeinschaft, so die Forderung. "Wo haben wir versagt?" Wie sei es möglich, dass die EU "im Kampf der Narrative gegenüber Russland, "im Kampf der Angebote" gegenüber China das Nachsehen habe? "Wo wir zu Recht der Meinung sind, wir haben die bessere Angebote."

Die Liste der bilateralen Gespräche, die Schallenberg laut Planung in New York führen soll, weist jedenfalls einen deutlichen Afrika-Schwerpunkt auf.

ribbon Zusammenfassung
  • Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) ist Montag Nachmittag in New York in die 78. Generalversammlung der Vereinten Nationen gestartet.
  • Diese sei das jährliche "internationale Stelldichein im Herzen des Multilateralismus", hatte Schallenberg bei der Anreise gegenüber der APA erklärt.
  • "Wir müssen besser werden im Erklären und im Dialog auf Augenhöhe, mit wechselseitigem Respekt und ohne erhobenem Zeigefinger."
  • "Wo haben wir versagt?"