Schallenberg plädiert für "pragmatischen Multilateralismus"
Die aktuelle Zeit gehöre "unbestreitbar zu den schwierigsten der jüngeren Geschichte", gab der ÖVP-Minister eine düstere Bestandsaufnahme ab und nannte einige Beispiele: "Die höchste Zahl gewaltsamer Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg, einschließlich eines umfassenden Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine. Eine sich verschärfende globale Klimakrise. Extreme Wetterereignisse, die überall auf der Welt Verwüstungen anrichten. Zunehmende Armut, soziale Spaltungen und ein Rückschritt bei den Menschenrechten und den in den vergangenen Jahrzehnten hart erarbeiteten Entwicklungserfolgen."
"Die Welt scheint sich in einem traurigen Zustand zu befinden, und man fragt sich, ob nicht noch Schlimmeres auf uns zukommt", betonte Schallenberg. "Wir leben tatsächlich in einer Zeit der Unsicherheit." Schon jetzt seien "Verschiebungen und Risse in unseren Handelssystemen, Sicherheitssystemen und multilateralen Systemen" zu bemerken. Dies führe zu einem "Gefühl der Unsicherheit und des Unbehagens", so Schallenberg, "zu dem Gefühl, in einem permanenten Ausnahmezustand zu leben."
In dieser Welt des Wandels würden die Bürger zu recht Antworten erwarten und es sei Aufgabe der Politiker, hoffnungsvolle, aber realistische Visionen zu formulieren. "Das bedeutet, die Welt so zu sehen, wie sie ist, mit klarem Verstand und ohne rosarote Brille."
Das heiße aber auch, "dass wir uns vor jenen polarisierenden Populisten in Acht nehmen müssen, die Fake News verbreiten und scheinbar einfache Antworten auf komplexe Fragen anbieten, die uns glauben machen wollen, dass wir Probleme lösen können, indem wir sie einfach negieren, indem wir die Zugbrücke hochziehen und uns von der Realität abkoppeln." Sei es beim "Klimawandel, disruptiven Technologien wie Künstlicher Intelligenz, gegenseitigen politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten oder der zunehmende Multipolarität in der Geopolitik".
Tatsache sei aber auch, dass das aktuelle multilaterale System nicht proaktiv und effektiv genug agiere. "Es hat wenig bewirkt in Ländern wie Afghanistan, wo Frauen systematisch ihre grundlegendsten Rechte auf Bildung und Teilnahme am öffentlichen Leben verweigert werden, in der Sahelzone, wo eine Reihe von Staatsstreichen nur den Generälen und nicht den Bürgern dient." Es sei auch nicht in der Lage gewesen, Russland ("Ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats"), davon abzuhalten, "in einem Anfall von neoimperialistischer Aggression in sein souveränes Nachbarland Ukraine einzufallen".
Der nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufene UNO-Sicherheitsrat spiegle die Welt von heute nicht mehr wider, erneuerte Schallenberg seine in der "High Level Week" der Vereinten Nationen bereits mehrmals geäußerte Kritik. "Er muss mehr Ländern, die bei seiner Gründung ausgeschlossen wurden, einen Sitz anbieten, auch aus Afrika."
Österreich werde sich weiterhin für eine Reform einsetzen, kündigte Schallenberg an. "Dazu gehört auch unsere Kandidatur für einen nicht-ständigen Sitz bei den Wahlen im Jahr 2026." Der Außenminister hatte dem Gremium im Rahmen der Generaldebatte im UN Headquarter von New York bereits am Mittwoch "Handlungsunfähigkeit" vorgeworfen. Aktuell hat der UNO-Sicherheitsrat fünf ständige Mitglieder (China, Frankreich, Russland, USA und Großbritannien), die jeweils Beschlüsse per Veto blockieren können. Zehn weitere Mitglieder werden für je zwei Jahre in das Gremium gewählt. Jährlich werden fünf der nichtständigen Mitglieder neu bestimmt.
Für ein Land wie Österreich - "militärisch neutral, exportorientiert und im Herzen des europäischen Kontinents" - liege die Antwort aber eindeutig in der Zusammenarbeit, hielt Schallenberg fest. Daher müsse auch die UNO "ein Raum für einen echten Dialog" und keine "Echokammer oder ein Club von Gleichgesinnten" sein. "Machen wir uns nichts vor: Die Welt ist nicht schwarz oder weiß. Sie ist einfach nicht so einfach", gab sich Schallenberg realistisch, um dann doch so etwas wie Optimismus zu versprühen: "Wir werden aus dieser Ära der Transformation gestärkt, wohlhabender und widerstandsfähiger hervorgehen."
Schallenberg absolvierte am Donnerstag zudem bilaterale Gespräche mit seinem Amtskollegen Ei Cohen (Israel) und Saleumxay Kommasith (Laos). Für Freitag waren Treffen mit jüdischen Organisationen und bilaterale Termine mit den Außenministern von Kambodscha (Sok Chenda Sophea) und Sultan Ahmed Al Jaber, dem Minister für Industrie und Technologie sowie Klimabeauftragten der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), geplant. Al Jaber ist auch Präsident des für Dezember in Dubai geplanten Weltklimagipfels (COP-28) in Dubai.
Zusammenfassung
- Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat Donnerstagabend vor der UNO-Generalversammlung in New York ein Plädoyer für einen "vernünftigen und pragmatischen Multilateralismus" gehalten und effiziente Reformen eingefordert.
- Schallenberg unterstrich laut Redetext seine Forderung nach einer Umgestaltung des UNO-Sicherheitsrats.
- Aktuell hat der UNO-Sicherheitsrat fünf ständige Mitglieder, die jeweils Beschlüsse per Veto blockieren können.