"Rotes G'sindl" und Nehammer-Umtrunk: Der innenpolitische Jahresrückblick
Vom "roten Gsindl" über gefälschte Corona-Zertifikate bis hin zum Umtrunk in der Kanzler-Wohnung: 2022 hat sich innenpolitisch einiges in Österreich getan. Neben neueren Erkenntnissen in der Umfragen- und ÖVP-Korruptionsaffäre sorgte auch so mancher Personalwechsel und Polit-Skandal für Schlagzeilen. PULS 24 hat die politischen Highlights des Jahres im Überblick:
PULS 24 Reporter Paul Batruel analysiert mit Anchor Daniel Retschitzegger das Polit-Jahr 2022.
Rekord-Wahlzettel
Bei der diesjährigen Bundespräsidentschaftswahl ist der Kandidatenzettel so lang wie noch nie. Sieben Männer bewerben sich um das höchste Amt im Staat, durchgesetzt hat sich der Amtsinhaber Alexander Van der Bellen. Er erhält im ersten Wahlgang 56,7 Prozent der abgegebenen Stimmen. Auf Platz zwei folgt der Kandidat der Freiheitlichen, Volksanwalt Walter Rosenkranz.
Von den fünf übrigen Bewerbern erreicht keiner die Zweistelligkeit. Musiker und Mediziner Dominik Wlazny, auch als Gründer der Bierpartei bekannt, überrascht mit Platz drei noch vor Rechtsanwalt Tassilo Wallentin, der sich unter anderem der finanziellen Unterstützung von Unternehmer Frank Stronach erfreuen durfte.
Gewählt wurde dieses Jahr auch in Tirol. Hier blieb die ÖVP trotz Verlusten auf Platz eins.
Umtrunk in Kanzler-Wohnung
Eine heikle Affäre betrifft die Kanzler-Familie und die Cobra. Zwei Personenschützer der Nehammers verursachten alkoholisiert einen Parkschaden, nachdem sie mit Katharina Nehammer, der Frau des Regierungschefs, mit Alkohol angestoßen hatten. In einem anonymen Schreiben werden Vorwürfe erhoben, der Kanzler könnte in der Sache interveniert haben, um die Abläufe zu vertuschen, was Nehammer selbst wiederholt als unwahr zurückweist. Die beiden Exekutivbeamten sind versetzt worden.
Nehammer emotional: "Rote Linie überschritten"
Bundeskanzler Karl Nehammer hat in einer Pressekonferenz zu Vorwürfen rund um einen Unfall, den alkoholisierte Personenschützer seiner Familie verursacht haben sollen, Stellung bezogen.
Abschiebeflug und Angst vor FPÖ
Für Kanzler Nehammer war das Jahr 2022 auch in anderer Hinsicht ein turbulentes Jahr. Kurz vor dem Jahreswechsel wurde bekannt, dass Nehammer in seiner Funktion als Innenminister gemeinsam mit dessen deutschen Amtskollegen Horst Seehofer (CSU) aus "innenpolitischen Gründen" Abschiebungen in das von den Taliban kontrollierte Afghanistan geplant haben soll. Die ÖVP fürchte eine "erstarkende FPÖ", die ihr nur einen "engen politischen Spielraum" lasse, habe die deutsche Botschaft in Wien nach Berlin gemeldet. Die Aktion sei in letzter Sekunde gestoppt worden.
Hohe Wahlkampfkosten
In der Kritik steht der Kanzler auch bezüglich der Abrechnung der ÖVP-Wahlkampfkosten aus dem Jahr 2019. Nehammer war zu dieser Zeit Generalsekretär der ÖVP. Der Rechnungshof ist der Überzeugung, dass die ÖVP die Wahlkampfkostengrenze bei der jüngsten Nationalratswahl wieder überschritten hat. Die ÖVP selbst weist das zurück, hat ihre Angaben zu den Wahlkampfkosten 2019 aber deutlich nach oben korrigiert. Über eine etwaige Strafe entscheidet nun der Parteiensenat im Kanzleramt.
Wien Energie braucht Schutzschirm
Um Geld geht es auch bei der Wien Energie. Der Energieanbieter muss für den Börsenhandel mit Strom und Gas infolge der Preissprünge hohe Sicherheitsen hinterlegen und kann diese ab dem Sommer nicht mehr aus eigener Kraft aufbringen. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat deshalb ab Juli per Notkompetenz insgesamt 1,4 Milliarden Euro bereitgestellt. Der Liquiditätsengpass und die Notkredite des Bürgermeisters werden Ende August publik, als auch diese 1,4 Milliarden Euro knapp wurden. In der Folge gewährt der Bund über die Bundesfinanzierungsagentur (OeBFA) weitere zwei Milliarden Euro Kreditrahmen.
Hohe Zahl an Asylanträgen
Der Angriff Russlands auf die Ukraine löst eine starke Fluchtbewegung aus, die auch Österreich trifft. Den ukrainischen Vertriebenen wird dabei der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht, außerdem brauchen sie keinen Asylantrag.
Dennoch kommt es heuer zu einer höheren Anzahl von Asylansuchen als in den vergangenen Jahren, ausgelöst vor allem durch Inder und Nordafrikaner, die meist andere Zielländer hatten. Österreich reagiert mit der Bestellung eines Flüchtlingskoordinators - eine Rolle, die nach dem Aufstieg von Michael Takacs zum Bundespolizeidirektor der Leiter der Bundesbetreuungsagentur, Andreas Achrainer, übernimmt.
Da alle Bundesländer außer Wien und dem Burgenland ihre Quote bei der Unterbringung von Flüchtlingen nicht erfüllen, stellt das Innenministerium im Herbst in mehreren Bundesländern Zelte auf, die lokal teilweise auf starken Widerstand stoßen.
Ein halbes Jahr Impfpflicht
Die Impfpflicht ist der wohl größte Aufreger unter den Corona-Debatten. Diese wird noch im Jänner vom Nationalrat beschlossen, wobei auch SPÖ und Neos mehrheitlich zustimmen. In Kraft tritt die Impfpflicht für Erwachsene im Februar noch ohne Strafen. Bevor es zu diesen kommen könnte, wird sie im März ausgesetzt und im Juni schließlich ganz abgeschafft. Wie aufgeheizt die Stimmung ist, zeigt sich im April, als ein Passant die in einem Lokal sitzende Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer mit einem Glas angreift. Um Spitäler und Pflegeheime müssen Schutzzonen gebildet werden.
Die Chronologie der Impfpflicht
Die Chronologie eines Gesetztes, dass in Kraft trat, ausgesetzt und schließlich wieder abgeschafft wurde.
Gefälschte Corona-Tests
Um Corona drehen sich auch die Ermittlungen gegen den FPÖ-Abgeordneten Christian Hafenecker wegen Dokumentenfälschung. Ihm wird vorgeworfen, jemanden angestiftet zu haben, Corona-Testzertifikate zu fälschen. Ein Zufallsfund soll die Ermittlungen ins Rollen gebracht haben. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Türkis-grüner Sideletter
Die ÖVP hat nicht nur in der früheren Koalition mit der FPÖ, sondern auch in der jetzigen mit den Grünen einen sogenannten Sideletter zum Koalitionsvertrag abgeschlossen, im dem auch Personalentscheidungen vereinbart wurden. Kanzler Nehammer wie auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) verteidigen das Papier. Bekannt wurden Vereinbarungen darin schon zu Beginn des Jahres.
Wie hat sich die türkis-grüne Koalition geschlagen? Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle analysiert das Polit-Jahr 2022.
Postenschacherei und "rotes G'sindl"
Nicht nur der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, hat oft und gerne gechattet. Auch das sichergestellte Handy eines anderen hohen Beamten hat sich für einige Oppositionsparteien als wahre Fundgrube herausgestellt, geht es um vermutete "schwarze Netzwerke": jenes von Michael Kloibmüller, dem ehemaligen Kabinettschef im Innenministerium. Aus den Chats geht hervor, dass sich die ÖVP um eine Gegenkandidatin oder einen Gegenkandidaten gekümmert haben soll und auch der damalige Innenminister Wolfgang Sobotka damit befasst war. Gegen Sobotka wird wegen Amtsmissbrauchs ermittelt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Für Empörung sorgt auch eine Chat-Nachricht zwischen der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Kloibmüller. Darin schrieb die damalige Innenministerin: "Rote bleiben G'sindl!" Die ÖVP-Politikerin entschuldigt sich im Nachhinein für den Satz.
Schmid-Aussage: Neuer Erkenntnisse aus ÖVP-Affäre
Brisante Aussagen von Thomas Schmid vor der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) lassen der ÖVP kaum Zeit zum Luft schnappen. Schmid beschuldigt Altkanzler Kurz unter anderem in der Umfragen-Affäre, was der Ex-Politiker mit einem geheim aufgenommenen Telefonat zu widerlegen versucht. Belastet wird durch Schmids Aussagen auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger. Gegen ihn wird juristisch wegen einer angeblichen Intervention für einen Parteifreund vorgegangen. Wie die Ermittlungen der WKStA enden, ist vorerst ebenso unklar wie die Frage, ob sie Schmids Wunsch nach Kronzeugenstatus nachkommen wird.
Sabine Beinschab bekommt jedenfalls den Kronzeugenstatus. Die Meinungsforscherin hat nach ihrer Festnahme ein Geständnis abgelegt, wodurch ihr dieser Status zugestanden wird. Es gilt für alle Verdächtigen in der ÖVP-Affäre die Unschuldsvermutung.
Personal-Karussell dreht sich weiter
Auch 2022 kommt es wieder zu einer Regierungsumbildung. Als Erster wirft Wolfgang Mückstein (Grüne) den Hut und gibt das Amt des Gesundheitsministers auf. Ihm folgt im März der Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch, dessen Amt wiederum Daniel Zadra übernimmt.
Zwei Monate später, im Mai 2022, kommt es dann gleich zu mehreren Umstellungen innerhalb der Regierung. Zuerst zieht sich Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) in die Privatwirtschaft zurück, nur einen Tag später gefolgt von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP). Norbert Totschnig übernimmt den Posten im Landwirtschaftsministerium, Susanne Kraus-Winkler wird Tourismusstaatssekretärin, Florian Tursky Digitalstaatssekretär und Arbeitsminister Martin Kocher wird zusätzlich noch Wirtschaftsminister.
Auch ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner tritt zurück. Sie könne den aktuellen Kurs der ÖVP in Asylfragen nicht mehr mittragen, sagt sie, er sei ihr nicht rigoros genug. Ihr folgt der Niederösterreicher Christian Stocker.
Auch Steiermarks Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer legt seinen Posten zurück und übergibt diesen an Christopher Drexler.
Zusammenfassung
- Auch das Jahr 2022 hatte es innenpolitisch in sich.
- Neben der Bundespräsidentschaftswahl und erneuten Wechseln in Spitzenämtern gab es wieder den einen oder anderen Polit-Skandal.
- Was genau 2022 in Österreichs Politiklandschaft los war, zeigt ein PULS 24-Überblick.