Afghanistan-Abschiebeflug: Nehammer und die Angst vor der FPÖ
Ende Juni wurde die 13-jährige Leonie mit einer Überdosis Drogen ruhig gestellt, vergewaltigt und dann in Wien auf der Straße abgelegt. Die - inzwischen verurteilten - Täter: Drei Afghanen. Lautstark wurde in Österreich nach Konsequenzen gerufen. Innenminister war damals Karl Nehammer (ÖVP), der einige Monate später zum Kanzler wurde.
Klenk: Abschiebungen aus politischen Kalkül
Falter-Chefredakteur Florian Klenk spricht im Interview mit PULS 24 über die geplanten Abschiebungen.
Abschieben gegen FPÖ-Stimmengewinn
Politisch kam der Mord an Leonie - zusätzlich zum Rücktritt von Ex-Kanzler Sebastian Kurz und der Corona-Pandemie - vor allem einer Partei zugute: Die FPÖ war am Erstarken. Bei der ÖVP schrillten die Alarmglocken, der Innenminister wollte Stärke zeigen. Seine Idee: Straffällige Afghanen abschieben.
Das geht aus Unterlagen der deutschen und österreichischen Ministerien "nur für den Dienstgebrauch" hervor, die NDR, WDR, "Süddeutscher Zeitung" und "Falter" vorliegen. Die deutsche Botschaft in Wien erfuhr demnach "aus einem ÖVP-geführten Ressort", "dass an eine demonstrative Abschiebung einer größeren Zahl von Afghanen per Charter Flug gedacht werde, wobei damals eine Provokation des grünen Koalitionspartners wohl bewusst in Kauf genommen werden sollte", wie der "Falter" schreibt.
"Druck" aus Österreich
Die afghanische Regierung verweigerte zu diesem Zeitpunkt wegen der Bedrohung durch die Taliban bereits Abschiebungen ins Land. Deutschland intervenierte auf Wunsch Österreichs in Kabul. In Wien, so die Deutschen, übe man "großen Druck" auf Ministerebene aus, schreibt die "Tagesschau". In Afghanistan wollte man schließlich für einen Flug eine Ausnahme machen. Die Voraussetzung: Nur Schwerstverbrecher dürften an Bord sein und die Aktion müsste "maximal diskret abgewickelt" werden.
In Deutschland organisierte man also einen Sonderflug für 3. August. Die Aktion sollte einen sechsstelligen Betrag kosten, 32 Beamte inklusive Arzt und Dolmetscher sollten an Bord sein. Worum es Nehammer wirklich ging, zeigt ein Aktenvermerk. Er wolle "innenpolitischen Druck" abwenden, man sorgte sich um eine "erstarkende FPÖ". Die ÖVP habe nur "engen politischen Spielraum".
Afghanistan-Abschiebung offensichtlich unzulässig
Wilfried Embacher, Anwalt für Fremden- und Asylrecht, spricht im PULS 24 Interview über die rechtliche Grundlage dieser Abschiebungen.
Notbremsung in letzter Minute
Am Flughafen in München trafen auch wirklich sechs afghanische verurteilte Straftäter aus deutschen Bundesländern ein. Das Flugzeug hob aber nie ab. Deutschlands Polizei stoppe das Abheben Minuten vor dem Start. In Kabul könne man die Sicherheit der Rückzuführenden nicht garantieren. Selbst wenn der Flug zustande gekommen wäre: In Wien wollte man zwei Afghanen an Bord bringen. Bei einem der Schubhäftlinge hatte sich das Menschenrechtsgericht per Eilverfügung eingeschaltet und die Abschiebung verboten. Es drohe "unwiederbringlicher Schaden".
Auch der deutsche Botschafter in Kabul schrieb in die Heimat: "Ich verstehe die innenpolitische Gemengelage gerade in Wahlkampfzeiten und sehe die Dilemmata und Zwänge", aber "ich werde auch in Zukunft die Sicherheitslage vor Ort so einsteuern, wie sie tatsächlich ist und zwar unabhängig davon, was in irgendwelchen Tickern berichtet oder (noch) nicht berichtet wird". Er müsse seine Verantwortung wahrnehmen.
Zusammenfassung
- Ein Mord in Österreich und seine Folgen: Im August 2021, die Taliban standen vor der Eroberung Kabuls, organisierte der damalige Innenminister Karl Nehammer in Deutschland einen Flieger, um Afghanen abzuschieben.
- Aus Sorge vor dem Erstarken der FPÖ, wie nun mehrere Medien aus internen deutschen Ministeriums-Dokumenten erfuhren.