APA/Kulturvermittlung Steiermark/Rwanda Avenir

"Mich begleitet immer noch die Scham, Tutsi zu sein"

Zwischen April und Juli 1994 wurden in dem ostafrikanischen Land Ruanda im Zuge eines systematischen Genozids rund eine Million Menschen aufgrund ihrer angeblichen ethnischen Zugehörigkeit brutal ermordet. Im Grazer Rathaus nähert sich derzeit eine Ausstellung auf behutsame Weise jenem in dieser Ausformung beispiellosen Verbrechen. Die APA hatte Gelegenheit, im Rahmen des Internationalen Tages der Menschenrechte mit Überlebenden zu sprechen, die heute in Österreich leben.

Eric Nsengumukiza arbeitet als katholischer Seelsorger in Graz, Immaculee Steinlechner lebt als Unternehmerin in Tirol. Beide wurden von der in Wien lebenden, in der Exilorganisation Rwanda Diaspora Austria tätigen Pädagogin Ancilla Umumbyeyi eingeladen, anlässlich der am 10. Dezember in der Foto- und Jugendgalerie im Grazer Rathaus eröffneten Ausstellung "Im Gedächtnis derer, die geblieben sind" mit Schulklassen über den Umgang mit ihren traumatischen Erlebnissen zu sprechen.

"Ich war sehr berührt, wie groß ihr Interesse war", sagt Nsemgumukiza, "Ich war elf Jahre alt, als der Genozid geschah. Sie sind nicht viel älter als ich damals. Das ist einerseits heilsam für mich und andererseits ist es eine Botschaft an die Zukunft. Diese Schüler können Botschafter und Botschafterinnen sein, dass so etwas nie wieder passiert." Nsemgumukiza hat viel Erfahrung mit der Vermittlung von Wissen über den Völkermord. "Mich begleitet immer noch die Scham, ein Tutsi zu sein. Ich ermutige, sich in diese dese Haut hinein zu versetzen. Wie es einem geht, wenn man in der Schule verhöhnt wird, das Gefühl zu haben, ein Mindermensch zu sein."

Für Steinlechner, die mit zwölf Jahren von einer in Österreich lebenden Tante adoptiert wurde, war der Umgang mit der Tatsache, dass ihre gesamte Familie in Ruanda ermordet wurde, von Anfang an ein Grenzgang. "Ich bin ziemlich kurz nach dem Genozid in Tirol in die Schule gekommen, wurde natürlich mit tausenden Fragen bombardiert. Die Kinder haben oft nur einen Satz lang zugehört, dann waren sie wieder weg. Sie sagten dann: Wo war das nochmal? Ah ja, da gibt es Tiger, Löwen, und den Genozid. Irgendwann habe ich einfach gesagt: Ja, genau! Aber nicht mehr das, was ich fühle. Ich habe früh zu überlegen begonnen, wie ich einmal meinen eigenen Kindern erklären werde können, dass sie keine Oma und keinen Opa haben."

"Ich habe hier über Hitler gelernt, und ich bin auch mit Kindern aus dem Kosovo in die Schule gegangen. Wir lernen über diese Dinge und dann geht es weiter. Dann essen wir unsere Jause. Dass da Menschen wie du und ich dahinterstecken, die dazu fähig sind, so etwas zu begehen, dazu bedarf es einer anderen Plattform. Ich muss mich mit meinen Kindern in Ruhe hinsetzen, und noch einmal darüber sprechen. Wenn mein Kind sagt, ich hasse den und den, dann sage ich: Nein, du hasst sie nicht, du kennst sie gar nicht."

In Ruanda hat es seit der Beendigung des Mordens im Juli 1994 durch das militärische Eingreifen der Ruandischen Patriotischen Front (RPF), die die Macht im Land übernahm, zahlreiche öffentliche und private Anstrengungen zur Bewältigung des Genozids und zur Versöhnung gegeben. Einige derartige Initiativen, darunter die Arbeit mit traumatisierten Kindern der zweiten Generation, sind Gegenstand der Grazer Ausstellung. Nsengumukiza glaubt, dass die Grundlage für die Möglichkeit eines neuen Zusammenlebens in Ruanda die Abschaffung der noch aus der Kolonialzeit stammenden Einteilung der Bevölkerung in drei ethnische Kategorien, samt entsprechenden Ausweisen war: "Wir versuchen jetzt, alle an einem Strang zu ziehen, uns einfach als Ruander oder Ruanderinnen zu sehen und so zusammenzuleben."

Ein international viel beachteter Versuch der ruandischen Regierung, die Versöhnung von Opfern und Tätern voranzutreiben, war die vorübergehende Wiedereinführung der traditionellen Gacaca-Gerichtsbarkeit. Die Einführung dieser lokalen Gerichte, die Strafen von bis zu 30 Jahren Gefängnis verhängen sowie zu Reparationszahlungen und gemeinnütziger Arbeit verurteilen konnten, war auch eine Maßnahme, um die ungeheure Menge von mutmaßlichen Tätern überhaupt bewältigen zu können.

Während Eric Nsengumukiza die Arbeit dieser Gerichte, die im Jahr 2012 wieder abgeschafft wurden, überwiegend positiv sieht, ist Immaculee Steinlechner auch kritisch: "Ich habe nur eine einzige Gacaca besucht. Die Leute, die dort waren, sagten zu mir: Du bist traumatisiert. Dort war auch der Mörder meiner Mutter. Der hat angefangen, über Erdnüsse zu reden, die er in der der Stadt verkauft hat. Da habe ich gedacht, eigentlich ist er der Traumatisierte. Natürlich bin ich traumatisiert. Aber ihm geht es noch viel schlechter. Er muss mit dem leben, was er getan hat. Was glaubst du, warum er vor Gericht über Erdnüsse spricht? Ich bin aufgestanden und habe gesagt, vielen Dank, auf Wiedersehen!"

"Ich versuche, nicht die Gefühle jener zu haben, nicht ihren Hass zu fühlen. Das ist hart genug. Ich kann aber nicht dasitzen und über Verzeihung sprechen. Es übersteigt eine Grenze. Deswegen lebe ich in einer anderen Welt. Wenn Menschen fragen, ob ich mich als Ruanderin fühle oder als Österreicherin, gehe ich gar nicht darauf ein. Ich habe mittlerweile eine Firma in Österreich, mit der ich wirtschaftlich den Ort in Ruanda unterstütze, aus dem meine Familie stammte. Ich versuche die Menschen, die dort leben, neu kennen zu lernen. Aber ich habe immer Angst, wieder mit der Vergangenheit konfrontiert zu sein."

(Das Gespräch führte Andreas Stangl/APA)

(S E R V I C E - "Im Gedächtnis derer, die geblieben sind" - Ausstellung in Erinnerung an den Genozid in Ruanda, 1994. Ein Projekt der Kulturvermittlung Steiermark in Zusammenarbeit mit Aurélia Kalisky (Paris/Berlin), Ancilla Umubyeyi (Kigali/Wien) sowie der Organisation Rwanda Avenir (Paris/Kigali). Foto- und Jugendgalerie im Grazer Rathaus; noch bis 14.2.2025, Öffnungszeiten: Mo-Fr 8-18 Uhr; https://kulturvermittlung.org/veranstaltungen/im-gedaechtnis-derer-die-geblieben-sind/ )

ribbon Zusammenfassung
  • Zwischen April und Juli 1994 wurden in Ruanda etwa eine Million Menschen ermordet, was in einer Grazer Ausstellung aufgearbeitet wird.
  • Eric Nsengumukiza und Immaculee Steinlechner, Überlebende des Genozids, sprechen mit Schulklassen über ihre Erlebnisse.
  • Die Ausstellung im Grazer Rathaus läuft bis zum 14. Februar 2025 und thematisiert auch die Gacaca-Gerichtsbarkeit.
  • Nsengumukiza sieht die Gacaca-Gerichte positiv, während Steinlechner sie kritisch betrachtet.
  • Steinlechner unterstützt den Ort ihrer Familie in Ruanda wirtschaftlich durch ihre Firma in Österreich.