Kolumbien von bewaffneten Guerrilla-Kämpfen erschüttert
Zwischen 60 und 80 Menschen wurden bereits getötet, mehr als 50.000 Menschen vertrieben. Präsident Gustavo Petro spricht von einem "Versagen der Nation." Das erste linke Staatsoberhaupt Kolumbiens hatte dem Land bei seinem Amtsantritt vor knapp drei Jahren einen "umfassenden Frieden" versprochen. Seine Regierung saß auch seit 2022 mit der ELN am Verhandlungstisch. Doch wurde der Dialog im Zuge der Gewalteskalation in Catatumbo suspendiert.
Seit dem 24. Jänner ist auch das kolumbianische Militär in die bewaffneten Auseinandersetzungen in der Region eingetreten. Mit einer strategischen Operation, die 9.000 Soldaten umfasst, soll die Gewalt durch die ELN und die FARC-Dissidenten bekämpft und das Gebiet stabilisiert werden. Am 5. Februar kam es zu den ersten bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Armee und der ELN-Guerilla. Kolumbianische Analysten, wie Professor German Valencia von der Politikwissenschaftlichen Fakultät Antioquia, sehen im Einschreiten des Militärs eine Verschlimmerung der humanitären Krise in Catatumbo.
Zusätzlich zu den elf kollektiven Evakuierungen, die bis zur ersten Februarwoche vollzogen wurden, führt die Nationale Schutzeinheit (UNP) seit dem 7. Februar weitere Maßnahmen durch, um mindestens 3.500 Personen individuell aus dem Gebiet herauszuschleusen.
Der Konflikt um Catatumbo, reich an natürlichen Ressourcen wie Erdöl, Kohle und seit den 1990er Jahren auch Koka, wird durch die Abwesenheit des Staates und die vorteilhafte geografische Lage an der Grenze zu Venezuela weiter angeheizt. Die Region ist von entscheidender Bedeutung für den Frieden im Land. Experten sind sich einig, dass ein Frieden in Kolumbien ohne eine Lösung des Konflikts mit der ELN, der größten noch verbleibenden Rebellengruppe, nahezu unmöglich ist.
Olga Quintero, Leiterin der Vereinigung der Landbevölkerung von Catatumbo (ASCAMCAT) und Mitglied des humanitären Tisches der Region, beschreibt die Lage als "außer Kontrolle geraten". Ihre Heimat befinde sich in einer "schwerwiegenden humanitären Krise." Der Alltag der Menschen sei seit den gewalttätigen Eskalationen vor knapp einem Monat "aus dem Gleichgewicht geraten." Die zivilen sozialen Projekte, die von verschiedenen Organisationen und der Regierung ins Leben gerufen wurden, seien aufgrund der anhaltenden Kämpfe zum Erliegen gekommen, so Quintero. Sie selbst stehe unter staatlichem Schutz und werde von ausländischen Menschenrechtsorganisationen begleitet. Sie könne sich nur in einem Sonderschutzfahrzeug fortbewegen.
Die größte Sorge der Bevölkerung in Catatumbo ist die steigende Gewalt. Die Region, die ohnehin schon seit Jahrzehnten unter bewaffneten Konflikten leidet, sieht sich nun mit einem Ausmaß an Morden und Vertreibungen konfrontiert. Tausende Menschen seien gezwungen, in ihren Häusern zu bleiben, fasst Quintero die Lage zusammen.
Quintero fordert in diesem Zusammenhang dringende Maßnahmen von der kolumbianischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft. "Wir verlangen den Schutz für die Bevölkerung", betont sie, "Zweitens verlangen wir die vollständige Umsetzung des Friedensabkommens von 2016, das damals zwischen der Regierung Manuel Santos und der FARC-Guerilla unterzeichnet wurde." Sechs der Todesopfer der letzten Wochen waren Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Friedensabkommens.
Zwischen der Verabschiedung des Friedensvertrags und dem Jahr 2018 gab es erstmals eine kurze Phase des Friedens in der Region, bis illegale bewaffnete Gruppen das Vakuum füllten und es erneut zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen ist. "Drittens muss die Schaffung von humanitären Korridoren zur Versorgung der Menschen dringend gewährleistet werden", fordert die Menschenrechtsaktivistin.
Ein weiterer wichtiger Punkt, den Quintero anspricht, betrifft den Pakt, den die bewaffneten Gruppen 2020 im Namen der Öffentlichkeit unterzeichnet haben. Diese Abmachung unterscheide klar zwischen Kämpfern und Zivilbevölkerung und verbiete die Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen sowie die Verletzung humanitärer Rechte, sagt Quintero. Sie fordert den Staat dazu auf, diesen Pakt durchzusetzen und die bewaffneten Gruppen an ihre Verpflichtungen zu erinnern. Sie betont, der Schutz der Zivilbevölkerung müsse oberste Priorität haben.
Die Aktivistin macht deutlich, dass die Menschenrechte der betroffenen Bevölkerung nur dann gewährleistet werden können, wenn sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Institutionen in Catatumbo aktiv bleiben. Besonders die Unterstützung von internationalen Organisationen und Botschaften sei in den letzten Wochen von entscheidender Bedeutung gewesen. Ohne diesen Beistand hätten sie keine Möglichkeit, den internationalen Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten und auf die Dringlichkeit der Situation aufmerksam zu machen.
Die Lage in der Region hat inzwischen auch Auswirkungen auf internationale Beziehungen und den Tourismus. Die österreichische Botschaft rät ausdrücklich von Reisen in die Region Norte Santander, in der sich Catatumbo befindet, ab. Die Behörde spricht von einem "hohen Sicherheitsrisiko der Stufe 3" in diesem Gebiet.
(Von Sara Meyer/APA in Bogotá)
Zusammenfassung
- In Kolumbien kämpfen die ELN und Frente 33 um die Kontrolle in der Region Catatumbo, was zu einer schweren Krise führt.
- Präsident Petro, der Frieden versprach, sieht sich mit der Aussetzung der Verhandlungen konfrontiert, während das Militär mit 9.000 Soldaten eingreift.
- Bisher wurden zwischen 60 und 80 Menschen getötet und über 50.000 vertrieben, was die humanitäre Lage verschärft.
- Aktivistin Olga Quintero fordert die Umsetzung des Friedensabkommens von 2016 und Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung.
- Internationale Reisehinweise und Beziehungen sind betroffen, da die Region als gefährlich eingestuft wird.