"Bereit, Gesellschaft zu ändern": Tag des "zivilen Ungehorsams" in Serbien
Tausende Menschen beteiligten sich an der täglich von Studenten abgehaltenen Gedenkminute für die 15 Opfer von Novi Sad. Seit dem Einsturz eines Bahnhofsdachs in der Stadt Novi Sad mit 15 Todesopfern im November finden in Serbien regelmäßig Demonstrationen gegen die Regierung statt.
Anwaltskammer beruft Protestkundgebung ein
Wie viele Menschen genau landesweit der Streikaufforderung gefolgt sind, war vorerst noch nicht bekannt. Gedenkminuten wurden auch im zentralserbischen Jagodina abgehalten, wo Präsident Aleksandar Vučić später am Nachmittag bei einer Art Gegenkundgebung seine Anhänger versammeln will. In Novi Sad, wo sich zahlreiche Institutionen, Geschäfte und Lokale dem Aufruf zum zivilen Ungehorsam angeschlossen haben, wurde ein langer Protestmarsch durch die ganze Stadt organisiert.
In Belgrad trafen sich die Menschen vor dem Regierungsgebäude zum Gedenken. Die Anwaltskammer Serbiens hat eine Protestkundgebung für 13.00 Uhr direkt vor dem Amtssitz des Präsidenten einberufen. Vučić hatte vor wenigen Tagen die streikenden Anwälte als Mob bezeichnet.
Protestmarsch in Novi Sad:
Protestmarsch in Belgrad:
Das regierungsnahe Boulevardblatt "Informer" hatte in der Früh berichtet, dass der Generalstreik gescheitert sei. Auf der Titelseite des Blattes erschien ein Kommentar von Präsident Vučić: "Serbien arbeitet, Serbien baut". Der Präsident hatte schon in den frühen Morgenstunden eine Baustelle im Belgrader Vorort Surčin besucht. Auf diesem Gelände soll 2027 die EXPO abgehalten werden.
Ganz anders sieht die Titelseite der Tageszeitung "Danas" aus, die am Freitag mit großer Aufschrift "Generalstreik" und dem Symbol der Studentenproteste, einer blutigen Hand, versehen ist.
Juristen, Schulen und Theater streiken
Serbische Anwälte haben ihren Streik um weitere drei Tage verlängert. Gut zwei Dutzend Richter des Belgrader Obersten Gerichts haben mit einer Aussendung zum ersten Mal die Studentenproteste öffentlich unterstützt, ebenso die Ärzte einer Belgrader Kinderklinik.
In etlichen Volks- und Mittelschulen fiel der Unterricht am Freitag aus. Aus dem Bildungsministerium wurde beteuert, dass der Unterricht in 97 Prozent der Schulen normal abgehalten werde. Belgrader Theater haben sich dem Protest angeschlossen, indem sie ihre Vorstellungen am Freitag abgesagt haben.
Gymnasiasten in der Hauptstadt haben ihre Protestaktion in "Unterrichtsstunde in der Natur" getauft. Sie wollen nämlich ihren Protest durch eine 45-minütige Blockade eines stark frequentierten Kreisverkehrs in Neu-Belgrad Ausdruck verleihen.
"Bürger bereit, die Gesellschaft zu ändern"
In Belgrad, Novi Sad und Niš gab sich auch das medizinische Personal zu erkennen, das sich den Gedenkminuten vor ihren Krankenhäusern angeschlossen hatte. Trotz des Werktages schien das Belgrader Stadtzentrum im heutigen Frühverkehr auffallend leer, wie Aufnahmen zeigten.
Der Belgrader Universitätsprofessor Zarko Trebjesanin sieht eine Wende bei den Demonstrationen. Die Bürger seien bereit, die Gesellschaft zu ändern, meinte er gegenüber dem TV-Sender N1, der sich ebenfalls dem Protest angeschlossen hat, indem er nur über die Proteste berichtet und zwischendurch die Programmausstrahlung unterbricht.
Vučić versammelt seine Anhänger
Präsident Vučić will dagegen seine Anhänger am Nachmittag in Jagodina versammeln. Er werde seine "neue Bewegung für den Staat" präsentieren, die "neue Bewegung und Energie" auf die politische Landschaft bringen werde, kündigte "Informer" an.
Wie bereits in der Vergangenheit, gibt es auch dieses Mal Berichte, wonach etliche Menschen nur nach Druckausübung oder Geldversprechen dazu zu bewegen waren, zur Kundgebung nach Jagodina zu reisen. Wie schon bei früheren Gelegenheiten wurden Teilnehmer auch dieses Mal mutmaßlich unter Sozialhilfeempfängern, Arbeitnehmern mit unsicheren Arbeitsverträgen und Pensionisten rekrutiert. Auch Beschäftigte in verschiedenen, von den Regierungsparteien dominierten Kommunalverwaltungen gehören in der Regel dazu.
Unterdessen scheinen die Studentenforderungen weiterhin weit fern von einer Erfüllung zu sein. Sie hatten etwa die Veröffentlichung der gesamten Dokumentation und die Renovierung des Bahnhofgebäudes in Novi Sad gefordert. "Wir sehen uns am 27. Jänner", ließen protestierende Studenten unterdessen auf ihrer Website: zahtevinisuispunjeni.rs (Anm. Forderungen sind nicht erfüllt) wissen.
Studentenproteste in Serbien Dezember 2024:
Zusammenfassung
- In Serbien sind die Menschen am Freitag zu einem Generalstreik aufgerufen gewesen.
- Die seit zwei Monaten protestierenden Studenten sprachen vom ersten "Tag des zivilen Ungehorsams".
- Tausende Menschen beteiligten sich an der täglich von Studenten abgehaltenen Gedenkminute für die 15 Opfer von Novi Sad.
- Seit dem Einsturz eines Bahnhofsdachs in der Stadt Novi Sad mit 15 Todesopfern im November finden in Serbien regelmäßig Demonstrationen gegen die Regierung statt.