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Guterres warnt Israel vor Annexion des Westjordanlandes

Eine komplette oder teilweise Annexion des Westjordanlandes durch Israel wäre nach den Worten von UN-Generalsekretär António Guterres "ein sehr schwerwiegender Verstoß gegen das Völkerrecht". Er sei "zutiefst besorgt" angesichts einer "existenziellen Bedrohung der Integrität und Kontinuität" der besetzten palästinensischen Gebiete im Gazastreifen und im Westjordanland", erklärte Guterres bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates zur Lage im Nahen Osten am Montag.

Hochrangige israelische Beamte "sprechen offen über eine Annexion des gesamten Westjordanlandes oder Teilen davon in den kommenden Monaten. Jede derartige Annexion wäre ein sehr schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht", sagte Guterres. Die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus als US-Präsident hat die Debatte über das Thema neu entfacht. Während seiner ersten Amtszeit hatte Trump einen Plan vorgestellt, der eine israelische Annexion von rund 30 Prozent des Gebietes des Westjordanlandes vorsieht. Die Nominierung des der Siedlerbewegung nahestehenden Mike Huckabee für den Posten des US-Botschafters in Israel hat den Befürworter einer Annexion weiteren Auftrieb verliehen.

Guterres sprach sich erneut für eine Zweistaatenlösung aus, bei der Israel und Palästina "in Frieden und Sicherheit Seite an Seite" existieren. Er rief zu einer "kollektiven Anstrengung" auf, um "eine Wiedervereinigung des Gazastreifens mit dem Westjordanland auf politischer, wirtschaftlicher, sozialer und administrativer Ebene" zu ermöglichen.

Der UN-Generalsekretär begrüßte Abkommen zur Waffenruhe und Geiselfreilassung zwischen der Hamas und Israel, das am Sonntag im Gazastreifen in Kraft getreten ist, als "Hoffnungsschimmer". Nun müssten beide Seiten "ihre Verpflichtungen respektieren und das Abkommen vollständig umsetzen", um eine Freilassung aller Geiseln und einen dauerhaften Waffenstillstand zu erreichen.

Die israelischen Siedler im Westjordanland setzen große Hoffnungen in Donald Trumps zweite Amtszeit als US-Präsident. Denn Trumps Friedensplan für den Nahen Osten von 2020 sah die Annexion von Teilen des Palästinensergebiets durch Israel vor. Damals scheiterte das Vorhaben. Doch mit der Rückkehr Trumps ins Weiße Haus sehen die Befürworter einer Annexion ihre Chance gekommen.

2025 werde "das Jahr der Souveränität von Judäa und Samaria", verkündete der rechtsextreme israelische Finanzminister Bezalel Smotrich, selbst Siedler im Westjordanland, vor Kurzem. Für viele Israelis ist das Westjordanland, das sie in Anlehnung an zwei biblische Königreiche Judäa und Samaria nennen, die Wiege des jüdischen Volkes. Für die Palästinenser ist das Westjordanland zusammen mit dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem jedoch wesentlicher Bestandteil des von ihnen geforderten souveränen Palästinenserstaates.

Israel eroberte das Gebiet im arabisch-israelischen Krieg 1967 und hält es seitdem besetzt. Inmitten von drei Millionen Palästinensern leben mehr als 490.000 Israelis im Westjordanland in völkerrechtlich illegalen Siedlungen, die immer weiter ausgebaut werden.

In seiner vorherigen Amtszeit als Regierungschef drang Benjamin Netanyahu auf eine teilweise Annexion des Westjordanlandes, gab jedoch unter internationalem Druck und nach einem Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten das Ziel vorerst auf.

"Der Staat Israel muss eine Entscheidung treffen", fordert Israel Ganz, Leiter des Yesha-Rates, der Dachorganisation der Siedler im Westjordanland. Denn ohne volle Souveränität "übernimmt niemand die Verantwortung für die Infrastruktur, die Straßen, das Wasser, den Strom". "Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um die israelische Souveränität zumindest über das Gebiet C durchzusetzen", sagt Ganz. Die Zone C umfasst 60 Prozent des Westjordanlandes und steht vollständig unter israelischer Kontrolle, während Zone A autonomes palästinensisches Gebiet ist und Zone B teilweise autonom.

Noch vor seinem Amtsantritt am Montag unternahmen Trump und seine neue Regierung Schritte, die bei den Verfechtern der Annexion Hoffnungen weckten: Baptistenpfarrer Mike Huckabee, der auf der Seite der Siedler steht, soll neuer US-Botschafter in Israel werden. Der designierte Außenminister Marco Rubio spricht von "der pro-israelischsten Regierung in der amerikanischen Geschichte" und will die US-Sanktionen gegen Siedler aufheben.

Eugene Kontorovich von der konservativen Denkfabrik Misgav Institute weist darauf hin, dass sich der Nahe Osten seit Trumps erster Amtszeit grundlegend verändert habe - durch die Kriege im Gazastreifen und gegen die Hisbollah sowie den Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad.

"Der 7. Oktober hat der ganzen Welt gezeigt, wie gefährlich es ist, den Status der palästinensischen Gebiete in der Schwebe zu lassen", sagt Kontorovich mit Blick auf den Großangriff der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel, der vor gut 15 Monaten den Gaza-Krieg auslöste.

"Dieser Krieg hat einen großen Teil der israelischen Bevölkerung wirklich von einer Zweistaatenlösung abgebracht", sagt Kontorovich. Die Zweistaatenlösung mit einem unabhängigen Palästinenserstaat ist seit Jahrzehnten die Grundlage der israelisch-palästinensischen Verhandlungen. Die Bundesregierung setzt sich weiterhin für diese Lösung im Nahost-Konflikt ein.

Noch bevor Trump im November die Präsidentschaftswahl gewann, warfen Nichtregierungsorganisationen Israel vor, Teile des Westjordanlandes de facto bereits annektiert zu haben, indem es immer mehr Land beschlagnahme und Smotrich die Verwaltungsstruktur verändere. Eine offizielle Annexion hätte noch weiterreichende Folgen.

Israel kann derzeit kein privates Land im Westjordanland enteignen, aber "nach einer Annexion würde das israelische Recht dies erlauben. Das wäre eine große Veränderung", sagt Aviv Tatarsky von der israelischen Anti-Siedlungsorganisation Ir Amim. Im Falle einer Annexion der Zone C würden Palästinensern dort vermutlich Aufenthaltsgenehmigungen und die damit verbundenen Rechte verwehrt.

Über 90 Prozent von ihnen leben in den Zonen A und B, doch diese Gebiete liegen wie Inseln in Zone C. Um ihren Alltag zu bewältigen, ihre Felder zu bestellen, seien die Menschen auf Zone C angewiesen, sagt Tatarsky. Eine Annexion von Zone C wäre für die Palästinenser in der gesamten Westbank deshalb ein "Albtraum".

ribbon Zusammenfassung
  • UN-Generalsekretär António Guterres warnt, dass eine Annexion des Westjordanlandes durch Israel gegen das Völkerrecht verstoßen würde.
  • Die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus hat die Debatte über die Annexion neu entfacht, da sein Friedensplan 2020 eine Annexion von 30 Prozent des Westjordanlandes vorsah.
  • Guterres spricht sich für die Zweistaatenlösung aus und fordert eine politische und wirtschaftliche Wiedervereinigung des Gazastreifens mit dem Westjordanland.
  • Israels Finanzminister Bezalel Smotrich bezeichnet 2025 als das Jahr der Souveränität von Judäa und Samaria, während über 490.000 Israelis in völkerrechtlich illegalen Siedlungen leben.
  • Eine Annexion der Zone C, die 60 Prozent des Westjordanlandes umfasst, könnte die Rechte der Palästinenser erheblich beeinträchtigen, da sie auf diese Gebiete angewiesen sind.