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Explosion bei Krankenhaus in Gaza: Was bisher bekannt ist

Im Gazastreifen wurde am Dienstag ein Krankenhausgelände von einer Rakete getroffen. Der Vorfall löste weltweite Erschütterung aus. Israel und die Hamas schieben einander die Schuld zu. Was bisher zu dem Vorfall bekannt ist.

Der Raketeneinschlag am Dienstagabend auf dem Gelände des al-Ahli Krankenhauses im Gazastreifen, das von der anglikanischen Kirche betrieben wird, sorgte für weltweite Empörung. Vor allem in der arabischen Welt wird Israel ein Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Laut Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen starben dabei etwa 500 Palästinenser, Hunderte weitere sollen verletzt worden sein. Europäische Geheimdienste vermuten allerdings nur einen Bruchteil der Opferzahl. Tatsächliche Opferzahlen sind nicht unabhängig zu überprüfen.

Unbestritten ist, dass bei der Explosion zahlreiche Menschen starben, darunter auch Kinder. Bilder aus der Umgebung des Krankenhauses zeigen, dass viele Menschen dort in der Nähe in Zelten übernachtet haben, weil sie sich in der Nähe des Spitals sicherer fühlten als in den umliegenden Wohngebieten, aus denen erwiesenermaßen Raketen auf Israel abgefeuert wurden.

Das Spital selbst gehört der Anglikanischen Kirche, deren Vertreter in Jerusalem, Canon Richard Sewell, sprach gegenüber der "BBC" davon, dass 1.000 Menschen im Hof Schutz gesucht hatten und 600 Kranke und Personal im Krankenhaus waren, als die Rakete einschlug.

Die israelischen Indizien

Israel weist jede Schuld von sich. Das israelische Militär gab an, dass die Explosion von einer fehlerhaften Rakete der ebenfalls im Gazastreifen aktiven Terrororganisation "Islamischer Jihad" stammt, die beim Abschuss abgestürzt sei. Als Beweis veröffentlichten sie Drohnenaufnahmen und mitgeschnittene Kommunikation zwischen zwei Mitgliedern der Hamas. Diese sprechen darin darüber, dass eine Rakete des "Islamischen Jihad" abgestürzt sei.

Anfangs wurde vom israelischen Militär auch das Video eines Raketenabschusses gepostet, das aber zeitlich deutlich vor der Krankenhaus-Explosion aufgenommen wurde, worauf Journalisten hinwiesen.

Die Faktenlage ist auch Tage nach dem Vorfall nicht endgültig geklärt, die bisherigen Indizien gehen allerdings in eine deutliche Richtung. Ein Überblick, was bisher bekannt ist: 

Was ist passiert?

Am 17. Oktober gegen 19.00 Uhr Ortszeit übertrug der katarische Nachrichtensender Al-Jazeera Livebilder des Gazastreifens. Darauf zu sehen ist eine startende Rakete, die mitten in der Luft explodieren dürfte. Sekunden später ist eine Explosion zu sehen. 

Die ersten lokalen Berichte über eine Explosion verbreiteten sich zwischen 19.00 und 19.20 Uhr. Auf dem Telegram-Kanal der Qassam-Brigaden, dem militärischen Flügel der Hamas, wurden über den Tag hinweg Informationen zu Raketenschlägen auf Israel gepostet.

Um 19.00 Uhr wurden auf dem Telegram-Kanal Raketenangriffe auf die israelische Hafenstadt Aschdod gemeldet. Drei Minuten später war von einem Angriff auf Tel Aviv die Rede.

Um 20.14 Uhr gab die Hamas bekannt, dass die israelische Stadt Haifa mit einer R160-Rakete beschossen wurde. Direkt darauf gab es eine Presseerklärung. Die Hamas erklärte, Israel sei "direkt verantwortlich für dieses schreckliche Massaker, das mit amerikanischen Waffen verübt wurde, die nur die Besatzer besitzen".

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Wie viele Menschen sind gestorben?

Sanitäter und Freiwillige bargen die Toten und hüllten sie in Tücher oder Leichensäcke. Im Hof des Krankenhauses waren Blutspuren und ausgebrannte Autos zu sehen. Während die Hamas von mindestens 471 Toten sprach, schätzten europäische Geheimdienstkreise die Zahl der Toten am Mittwoch auf bis zu 50.

APA/APA/AFP/DAWOOD NEMER

Wie schwer wurde das Krankenhaus beschädigt?

Erste Berichte aus Gaza sprachen von einem direkten Treffer des Krankenhauses und dass dieses beschädigt oder zerstört wurde. Auf Satellitenbildern des Unternehmens Maxar sieht es jedoch so als, als wären die Gebäude des Krankenhauses weitgehend intakt geblieben.

Die Aufnahmen zeigten "einen vermutlich verfärbten Explosionsbereich auf dem Hauptparkplatz des Krankenhausgeländes", aber keine "bedeutenden strukturellen Schäden an den angrenzenden Gebäuden", teilte das Unternehmen mit. Auch Bilder der Nachrichtenagentur AFP zeigen ein ähnliches Bild.

Bilder des Al-Ahli Krankenhauses im Gazastreifen am 18. Oktober 2023:

Als am Mittwoch die ersten Bilder der Einschlagstelle bei Tageslicht um die Welt gingen, mehrten sich Zweifel unter Experten, dass für die Explosion durch eine israelische Rakete bzw. Bombe ausgelöst wurde. Vielen Analysten fiel vor allem auf, dass es keinen typischen Krater gebe, wie das sonst bei JDAM-Bomben der Fall sei, die von Israel eingesetzt werden.

Bomben dieses Typs würden weitaus tiefere Krater reißen und durch die Sprengkraft in der direkten Umgebung deutlich größeren Schaden anrichten. 

JDAM steht für "Joint Direct Attack Munition" – eine Art Nachrüstsatz für Fliegerbomben. Die Module verwandeln unbelenkte Bomben von Jets in präzise Lenkwaffen, die ihr Ziele mit großer Genauigkeit treffen. Entwickelt wurde das Waffensystem von den USA, und unter anderem auch an die Ukraine geliefert.

Was gegen eine israelische Rakete bzw. Bombe spricht

Mehrere internationale Experten zweifeln aufgrund der Aufnahmen daran, dass es sich um eine israelische JDAM-Rakete gehandelt hat. "Der Krater passt nicht zu einem Luftangriff, es ist wahrscheinlicher, dass es sich um eine Waffe handelt, die versagt hat und ihre Wirkung in einem großen Gebiet freigesetzt hat", meinte dazu Marc Garlasco gegenüber dem "Guardian".

Garlasco war während des Irak-Krieges 2003 Pentagon-Chef für hochrangige Ziele und ist mit den US-Waffensystemen bestens vertraut. "Der Krater und die Schäden in der Umgebung passen auch nicht zu einer JDAM-Bombe. Das Loch auf dem Boden ist durch kinetische Energie entstanden", als durch die Wucht des Einschlages fügte er hinzu.

Justin Bronk, Senior Research Fellow für Luftstreitkräfte und Militärtechnologie am Royal United Services Institute in London, sagte, dass die Ergebnisse zwar nicht eindeutig seien, aber auf den Bildern der Schäden kein Krater oder offensichtliches Granatsplittermuster zu sehen sei, das mit üblichen JDAM-Bomben übereinstimme.

"Wenn dies das Ausmaß des Schadens ist, dann würde ich sagen, dass ein Luftangriff weniger wahrscheinlich ist als ein Raketenfehler, der eine Explosion und einen Treibstoffbrand verursacht hat", fügte er hinzu.

War es eine israelische "Iron Dome"-Abwehrrakete?

Der katarische TV-Sender Al-Jazeera behauptet in einem Bericht, das Krankenhausgelände sei von einer Abwehrrakete des israelischen "Iron Dome"-Abwehrschildes getroffen worden. Dies ist allerdings ausgeschlossen. Der "Iron Dome" fängt die Hamas-Raketen ab, wenn diese sich bereits im Sinkflug auf Ziele in Israel befinden - nicht wenn diese nach dem Abschuss aus Gaza im Aufsteigen sind.

Wie reagierte die Welt?

US-Präsident Joe Biden, der sich auf Solidaritätsbesuch in Israel befand, zeigte sich "zutiefst betrübt und empört" über die Explosion im Krankenhaus. Er schloss sich der Darstellung Israels an. "Nach den bisher vorliegenden Informationen scheint es sich um eine von einer terroristischen Gruppe im Gazastreifen abgefeuerte Rakete zu handeln", sagte er in Tel Aviv.

Die Regierungen der arabischen und muslimischen Länder schlossen sich mehrheitlich der Version der Hamas an. Selbst Staaten mit diplomatischen Beziehungen zu Israel, wie Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate, machten Israel für den Angriff verantwortlich.

Noch am Dienstagabend versammelten sich Muslime in zahlreichen Ländern zu spontanen Protesten, der Mittwoch wurde zum Protesttag in der Region erklärt, mit vielen weiteren Demonstrationen. Die europäischen Regierungen verurteilten den Raketeneinschlag, ohne jedoch einen Schuldigen zu benennen.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Raketeneinschlag am Dienstagabend auf dem Gelände des al-Ahli Krankenhauses im Gazastreifen sorgte für weltweite Empörung.
  • Laut Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen starben dabei rund 500 Palästinenser.
  • Europäische Geheimdienste vermuten nur einen Bruchteil der Opferzahl. Die tatsächliche Zahl der Toten ist nicht unabhängig zu überprüfen.
  • Unbestritten ist, dass zahlreiche Menschen starben. Viele Familien übernachteten im Umkreis des Spitals in Zelten. Israel und die Hamas schieben einander die Schuld zu.
  • Die Faktenlage ist auch Tage nach dem Vorfall nicht endgültig geklärt, auch wenn die bisherigen Indizien deutlich in eine Richtung zeigen.
  • Ein Überblick, was bisher bekannt ist.