Gerichtsreportage
Freispruch im Fall Kellermayr "kein Freibrief"
Der vierte und letzte Prozesstag im Fall um den Tod der Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr im Juli 2022 endete am Mittwoch überraschend und skurril.
"55 Schlaganfälle"
Der Angeklagte, ein 61-jähriger Mann aus Bayern, verweigerte an den vorangegangenen Prozesstagen jegliche Aussage. Am letzten Tag wollte er aber nun doch ein Schlussplädoyer halten – und hielt sich dabei scheinbar nicht an die Absprachen mit seinen drei Anwält:innen.
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Er dürfte die Notizen, die vor ihm lagen, ignoriert haben. Wurde am Ende von seiner Anwältin Sonja Fasthuber unterbrochen. Davor inszenierte er sich als Opfer. Er habe "55 Schlaganfälle" gehabt, sagte er etwa. Er habe seine "Ohnmacht" aufgrund der Corona-Situation, seine Angst vor der Impfung mit "Aktivismus" kompensiert.
Den Tod Kellermayrs empfinde er als Tragödie, sagte er. Die Ärztin sei eine "tragische Figur" gewesen. Dass ihm seine Nachrichten leidtun würden, sagte er nicht. Man müsse nun den "gesunden Menschenverstand walten lassen", meinte er in Richtung der Staatsanwälte.
Kellermayrs Psyche beleuchtet
Die Staatsanwälte warfen dem Mann vor, er habe mit seinen Nachrichten den Suizid der Ärztin mitverursacht. Schließlich wurde er in ihrem Abschiedsbrief namentlich erwähnt. Die zahlreichen Zeug:innen, die an den insgesamt vier Prozesstagen befragt wurden, hätten bestätigt, dass die Drohungen die Ärztin in Angst versetzten.
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Der psychiatrische Gutachter Peter Hofmann habe bestätigt, dass die Drohungen den Suizid der Ärztin mitverursacht hätten. Der Angeklagte habe von anderen Drohungen gegen Kellermayr gewusst und wollte "noch einen drauflegen".
Da der Angeklagte die Aussage verweigerte, sein Umfeld nicht als Zeug:innen geladen war, drehte sich beinahe der gesamte Prozess um die verstorbene Ärztin, die wegen ihres Einsatzes während der Corona-Pandemie Bekanntheit erlangt hatte.
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Es wurde tief in ihrer Geschichte gewühlt – ihre psychische Gesundheit wurde thematisiert, ihre Familiengeschichte, ihre Karriere und ihre finanzielle Situation. Die Richterin rollte den Fall breit auf, wollte offenbar, dass die Öffentlichkeit tiefe Einblicke in Leben und Tod Kellermayrs bekommt.
Hilfe in Krisensituationen
Sind Sie in einer Krisensituation? Hier finden Sie Hilfe:
- Telefonseelsorge: 142 (Notruf), täglich 0–24 Uhr, online unter www.telefonseelsorge.at
- Sozialpsychiatrischer Notdienst/PSD: 01/31330, täglich 0–24 Uhr, online unter www.psd-wien.at
- Rat auf Draht: 147. Beratung für Kinder und Jugendliche. Anonym, täglich 0–24 Uhr, online unter www.rataufdraht.at
- Kindernotruf: 0800 567 567, Beratung bei persönlichen Krisen. Anonym, täglich 0-24 Uhr www.bittelebe.at
- Suizidprävention auf www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention
Nicht jede Tragödie ein Verbrechen
Die drei Verteidiger:innen des Angeklagten hielten der Staatsanwaltschaft genau das entgegen: Nämlich, dass Kellermayr eben nicht gesund gewesen sei. Es sei auch für die Verteidigung nicht angenehm, in der Geschichte Kellermayrs zu wühlen. Aber: Nicht jede Tragödie sei ein Verbrechen, sagte Anwältin Fasthuber.
Sonja Fasthuber und Martin Feigl
Auch ihr Kollege Martin Feigl meinte, er wolle Kellermayr nicht schlecht darstellen, aber Fakten seien eben nicht immer sympathisch. Bei fairen Urteilen bleibe der Applaus eben oft aus.
Video: Anwalt Feigl im Interview
Am Ende folgten die Richterin und die beiden Schöffen den Argumenten der Verteidigung weitgehend: Der Angeklagte wurde freigesprochen.
Die Richterin führte ausführlich aus, warum: Man könne "nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" sagen, dass die Drohungen des Angeklagten zum Suizid führten.
Der Angeklagte hätte außerdem die Folgen seiner Nachrichten nicht absehen können: Dass der Angeklagte von anderen Drohungen gegen Kellermayr und von ihrer psychischen Krankheit gewusst hätte, konnte nicht bewiesen werden.
"Kein Freibrief"
Ein "Freibrief" für Hassposter sei der Freispruch nun aber nicht, sagte im Anschluss selbst Verteidiger Feigl: Es sei ja nicht die gefährlich Drohung an sich angeklagt gewesen, sondern die Kausalität zum Suizid.
Das betonte auch die Richterin: Nur durch den Suizid der Ärztin habe man in Österreich ermitteln und verhandeln können. Die 'einfache' gefährliche Drohung hätten deutsche Behörden verfolgen müssen – dort wurden die Nachrichten ja verfasst.
Das Verfahren in Deutschland wurde während des Prozesses in Wels ruhend gestellt. Ob es nun wieder aufgenommen wird, ist noch nicht bekannt. Noch ist auch nicht klar, ob die Staatsanwaltschaft Wels in Berufung geht – sie gaben noch keine Erklärung ab. Der Freispruch ist daher nicht rechtskräftig. Auch die Suche nach dem Darknet-User "Claas", der viel explizitere Drohungen verfasste, war bisher erfolglos.
Video: Franz Kellermayr im Interview
Der Vater von Dr. Lisa-Maria Kellermayr, der sich dem Verfahren als Opfervertreter anschloss und an den ersten drei Prozesstagen, Gutachter und Zeug:innen befragte, schaute am letzten Tag nicht mehr zu.
Im Gespräch mit PULS 24 erinnerte er zuvor aber nochmal an seine Tochter: Sie sei eine sehr engagierte, ehrgeizige und zielorientierte, hilfsbereite Ärztin gewesen. "Es war ihr Lebenstraum, eine erfolgreiche Ärztin zu werden. Das hat sie dann auch geschafft", sagte er.
Der Liveblog zum Nachlesen:
Fall Kellermayer - Vierter Prozesstag
Zusammenfassung
- Ein 61-jähriger Bayer wurde vom Vorwurf freigesprochen, den Suizid der Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr mitverursacht zu haben.
- Das Gericht sah keine ausreichenden Beweise für die Kausalität zwischen den Drohungen des Angeklagten und dem Suizid im Juli 2022.
- Der Freispruch ist nicht rechtskräftig, da die Staatsanwaltschaft Wels noch keine Berufung eingelegt hat.
- Die Verteidigung argumentierte, dass nicht jede Tragödie ein Verbrechen sei und Kellermayr nicht gesund war.
- Anwalt Martin Feigl betonte, dass der Freispruch kein Freibrief für Hassposter sei.