Zwei neue Bücher vor Thomas Bernhards 90. Geburtstag
Wer sich intime Betrachtungen, ja Enthüllungen zum Leben des Autors, der sich in der Öffentlichkeit oft schroff und abweisend gab, erwartet, ist bei Fabjan an der falschen Adresse. Fabjan kannte Thomas Bernhard zwar so lange und so gut wie wohl niemand anderer, wirkliche Nähe stellte sich offenbar dennoch nur ausnahmsweise ein: "Der Weg meines Bruders Thomas war ein einziges Bestreben, sich aus den beengenden Familienbanden zu befreien und sich ein Leben als Künstler zu erkämpfen", beginnt er seine Vorbemerkung - und lässt ein Buch folgen, in dem er genau diese Familienbande akribisch nachzuzeichnen versucht. Mit seinem nüchternen, sachlichen Stil wirkt das Buch oft mehr wie eine Materialsammlung aus erster Hand denn wie ein Erfahrungsbericht aus nächster Nähe.
Nur manchmal lässt Fabjan die Schwierigkeiten in der Beziehung erkennen, bei der man jederzeit mit spontaner und heftiger Abwehr zu rechnen hatte. Eine "innere Taubheit, was das Fühlen eigenen Dasein angeht", diagnostiziert der Arzt, erklärbar durch frühkindliche Verlassenheitsängste. "An sein Innerstes kam wohl sehr selten jemand heran", schreibt er. "Mein Leben war ein Leben mit einem Phantom, ja einem Dämon an meiner Seite." Derlei Bekenntnisse bleiben in seinem Buch jedoch die Ausnahme.
Viele Familienfotos begleiten die anschließende Beschreibung einzelner Familienmitglieder, von der gemeinsamen Mutter und ihrem dominanten Vater, dem verkannten Schriftsteller Johannes Freumbichler, der seinem Enkel Thomas eine wesentliche Leitfigur in dessen Entwicklung wurde, über den leiblichen Vater Alois Zuckerstätter und den Vater Emil Fabjan, weitere Onkel und Tanten bis hin zur "unerwarteten Verwandtschaft", einer Halbschwester Thomas', die sich, in der DDR aufgespürt von einem pensionierten französischen Germanisten, nach Bernhards Tod meldet, um "eventuelle Erbansprüche zu klären".
Es folgen Erinnerungen an das Aufwachsen mit dem um sieben Jahre älteren Halbbruder in Traunstein, an das Medizinstudium und die erfolgreiche anschließende Karriere als Internist sowie eine Charakterisierung von "für Thomas Bernhard wichtige Menschen, die ich mit ihm erlebt habe", wobei er kein Hehl daraus macht, in deren Gesellschaft sich meist als Außenseiter empfunden zu haben - und auch als solcher behandelt worden zu sein. Nahe kommt er dem Unnahbaren erst wieder im Kapitel "Bruder und Patient", in dem ärztlicher und brüderlicher Beistand Hand in Hand geht. Das Ende kommt schließlich schnell: "Es genügt ein Loslassen, um sein Leben binnen eines Tages und einer Nacht enden zu lassen."
"Am 9. Februar 1931 wird Thomas Bernhard in Heerlen (Niederlande) geboren. Die Nachgeburt hat die Form Österreichs." Damit - und mit einer entsprechenden Zeichnung - beginnt Nicolas Mahler seine "unkorrekte Biografie" Thomas Bernhards. Über 100 Seiten später liest man freilich: "Die Form der Nachgeburt ist nicht überliefert." Denn Mahler hat nicht nur "Quellen", sondern auch "Fehlerquellen" akribisch aufgelistet - hier in der editorischen Sorgfalt dem peniblen Fabjan um Nichts nachstehend -, und räumt dort auch ein, dass der seiner Hauptfigur als Attribut häufig beigegebene Ohrensessel in dessen Leben wohl keine so große Rolle gespielt habe ("Lampersberg: 'In dem Ohrensessel, da ist er nur einmal gesessen.'") und dass es in Bernhards Ohlsdorfer Vierkanthof vermutlich doch keine "Folterinstrumente und knarzende Geheimtüren" gegeben habe. Ein wenig flunkern wird man wohl noch dürfen, wenn es der Lauf der Geschichte verlangt!
Ansonsten gelingt dem Meister des Minimalismus, der bereits "Alte Meister" und "Der Weltverbesserer" zu Graphic Novels adaptiert hatte, erneut auf unnachahmliche Art, das Material stupend zu verdichten, ohne, dass man groß etwas vermissen würde. Bernhards eigenwilliger Lebensstil, seine Philosophie und Selbststilisierung, sein Werk und seine Krankheit - alles wird in wenigen Bildern und etlichen, sehr gut ausgewählten Zitaten angerissen.
Viele der berühmten Fotos von Thomas Bernhard, an der Seite von Hedwig Stavianicek vor einem seiner Häuser, von Claus Peymann beim Schlussapplaus von "Heldenplatz" oder beim Sitzen auf einer Bank am Graben, erkennt man in Mahlers Zeichnungen wieder, und auch seine Nase ist unverkennbar. Auf einem der Bilder schwebt sie als Teil einer düsteren Thomas-Bernhard-Wolke in einer Mischung aus Spott und Bedrohung über Wien und seinen Bewohnern. Ein treffendes Bild auch für den kommenden 90. Geburtstag, 31 Jahre nach seinem Tod. Unter dem Bild findet sich übrigens ein Zitat: "Die Österreicher sind liab und bleiben blöd."
(S E R V I C E - Peter Fabjan: "Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard - Ein Rapport", Suhrkamp Verlag, 196 Seiten, 24,70 Euro, ISBN 978-3-518-42947-1; Nicolas Mahler: "Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie", suhrkamp taschenbuch 5125, 126 Seiten, 16,50 Euro, ISBN: 978-3-518-47125-8, beide Bücher erscheinen am 18.1.)
Zusammenfassung
- Am 9. Februar jährt sich der Geburtstag des 1989 verstorbenen Dichters Thomas Bernhard zum 90. Mal.