Zaubern statt singen: "Harry Potter"-Stück in Hamburg
Das von J.K. Rowling gleichsam als achtes Potter-Abenteuer geschriebene und im Sommer 2016 in London uraufgeführte zweiteilige Stück spielt 22 Jahre nach der "Schlacht von Hogwarts" und zeigt Harry Potter (gespielt vom Kärntner Markus Schöttl) als Familienvater und hochrangigen Beamten im Zaubereiministerium. Mit Ginny (Sarah Schütz) hat er drei Kinder, von denen Albus (Vincent Lang) das Sorgenkind ist. Er ist linkisch, einsam und fühlt sich als Loser. Das hat er mit Scorpius (Mathias Reiser), dem Sohn von Harry Potters altem Rivalen Draco Malfoy (Alen Hodzovic), gemeinsam. Ausgerechnet mit diesem freundet er sich bei seiner ersten Fahrt mit dem Hogwarts Express an.
Die beiden Teenager tragen schwer an der Last der Vergangenheit und werden gemobbt. Als sie beschließen, mittels eines Zeitumkehrers die Vergangenheit auszubessern und den Tod von Cedric an der Seite von Harry Potter ungeschehen zu machen, wird alles nur noch schlimmer. Da kommen etwa Ron (Sebastian Witt) und Hermine (Jillian Anthony) gar nicht zusammen - weswegen deren Tochter Rose (Madina Frey), die als einzige nett zu den beiden Burschen ist, gar nicht erst geboren wird.
Die von John Tiffany inszenierte deutschsprachige Erstaufführung betreibt einen gigantischen Aufwand, den man hierzulande nur von Musical-Produktionen gewohnt ist. Tatsächlich gibt es etliche Momente, in denen Bühnen-Effekte, Choreografien und laut einsetzende Musik nahelegen: Jetzt wird gesungen! Wird nicht. Statt dessen wird gezaubert. Der Abend besticht durch etliche gelungene Zauberkunststücke (Illusionen & Magie: Jamie Harrison), bei denen ein Zauberei-Duell zwischen Harry und Draco, ein Verwandlungszauber, menschenfressende Bücherregale und Telefonzellen oder ein Gespenster-Ritt durch den Zuschauerraum zu den Höhepunkten des rund dreistündigen ersten Teils zählen. Darstellerisch überzeugen vor allem Vincent Lang und Mathias Reiser, als Maulende Myrte legt Glenna Weber (wie Schöttl an der MUK Privatuni in Wien ausgebildet) einen glänzenden Auftritt hin.
Den ebenfalls inklusive Pause fast dreistündigen zweiten Teil kann man, muss man aber nicht am gleichen Tag sehen. Bei der Premiere ging es nach einer zweistündigen großen Pause weiter. Zunächst setzt das Stück mit einer abermaligen missglückten Zeitreise auf Faschismus-Warnung: So wäre die Welt geworden, hätte Harry Potter die bösen Mächte nicht besiegt. Auf Hogwarts regiert ein Schreckensregime, bei dem sich die Malfoys hervortun. Gegrüßt wird mit "Für Voldemort und Wagemut", Ron, Hermine und Severus Snape sind als kleine Widerstands-Gruppe in den Untergrund gegangen.
Als diese Gefahr gebannt und die Zeit wieder eingerenkt ist, wartet noch eine letzte Gefahr: Lord Voldemort hat ein Tochter (Kristina Peters), die nun ihrerseits die Zeit zurückdrehen möchte. Als Zuschauer, der zu diesem Zeitpunkt schon mit einigen Erschöpfungserscheinungen kämpft, wünscht man sich, das Rad der Zeit könnte sich ein wenig schneller drehen. Man wird Zeuge einer Rückführung in die ersten Lebensjahre von Harry Potter und landet nach einigen Etappen lupenreiner Trauma-Aufarbeitung in "so einem Vater-Sohn-Ding" zwischen Harry und Albus. Die Produktion, bei der nicht mit lauten und grellen Effekten gegeizt wurde, endet schließlich erstaunlich behutsam und leise - und mit Standing Ovations.
Mit 2G-plus und FFP-2 trotzt man im Mehr!-Theater mit seinen 1.673 Plätzen der Pandemie. Die Produktion und der Umbau des Hauses, der gekonnt die Mischung aus Bahnhofs- und Internatshalle von der Bühne in den Zuschauerraum verlängert, haben rund 42 Millionen Euro gekostet. 350.000 Tickets sollen schon verkauft sein. Die Mundpropaganda wird ohne Zweifel anspringen, denn der Besuch des Spektakels lohnt sich nicht nur für "Harry Potter"-Fans. Nur Corona sollte draußen bleiben. Wenn es Leute gibt, die dabei auf Entwurmungsmittel setzen, gibt es sicher auch welche, die an einen passenden Bannspruch glauben. "Corona durch Potter weggezaubert", das wäre mal eine Schlagzeile der Muggel-Presse. Doch noch sind die bösen Mächte nicht besiegt.
(S E R V I C E - "Harry Potter und das verwunschene Kind" von J.K. Rowling und Jack Thorne im Mehr! Theater Hamburg, Regie: John Tiffany, Choreografie: Steven Hoggett, Bühnenbild: Christine Jones, Kostümbild: Katrina Lindsay, Musik & Arrangements: Imogen Heap, Lichtdesign: Neil Austin, Ton: Gareth Fry, Illusionen & Magie: Jamie Harrison, Music Supervision & Arrangements: Martin Lowe. Termine: Mittwoch bis Sonntag (mit Ausnahmen rund um Weihnachten und Neujahr). Tickets ab 49.95 Euro pro Teil, Infos unter www.harry-potter-theater.de)
Zusammenfassung
- Am Sonntag hat es doch noch geklappt: 20 Monate nach dem von Corona zunichtegemachten ersten Anlauf hat die Großproduktion "Harry Potter und das verwunschene Kind" in Hamburg ihre Premiere gefeiert.
- Man wird Zeuge einer Rückführung in die ersten Lebensjahre von Harry Potter und landet nach einigen Etappen lupenreiner Trauma-Aufarbeitung in "so einem Vater-Sohn-Ding" zwischen Harry und Albus.
- Nur Corona sollte draußen bleiben.