Volkstheater Wien zeigt "Ever Given. Eine Kipp-Punkt-Revue"
Das ist natürlich nicht nur würdig und recht, sondern auch aktuell, denn Hana Hazem Arabi, der diesem langen, pausenlosen Abend den Stempel aufdrückt, stammt aus Syrien. Er beeindruckt mit seinen Fluchterzählungen und setzt sie auch in Beziehung zu den Ereignissen der vergangenen Tage: Der Refrain des arabischen Liedes, das er mit dem in Berlin lebenden Ägypter Adham Elsaid singt, laute 'Die Türen öffnen sich', erzählt er - und schlägt unmittelbar die Brücke zum überraschenden Sturz des Assad-Regimes und den Hoffnungen der Syrer auf eine Zukunft in Frieden und Freiheit.
Hana Hazem Arabi (oder seine Bühnenfigur) ist nicht etwa in einem der 18.000 Container der "Ever Given" versteckt nach Europa gekommen, sondern hat es nach mehreren gescheiterten Anläufen über eine der Mittelmeer-Fluchtrouten von Izmir nach Griechenland geschafft. Sein Bezug zur "Ever Given" erschließt sich so wenig wie jener des Ägypters, der als Zweijähriger mit dem Poliovirus infiziert wurde und seit einer gescheiterten Operation auf den Rollstuhl angewiesen ist.
Auch die Eiskunstläuferin Michaela Groch-Fischer, die auf einem weißen Plastikboden ihre Kufen-Kunst zeigen darf, oder die stotternde Künstlerin Marianne Vlaschits, die auf einem LED-Modul, wie es von der "Ever Given" transportiert wurde, von ihrem immer selbstbewusster werdenden Umgang mit ihrer spezifischen Sprechweise berichtet, haben mit dem Schiff nichts zu schaffen. Der Bezug zum Titel ist recht weit hergeholt: Diese "Expert:innen des Alltags" haben radikale Zäsuren erlebt, von denen sie berichten dürfen.
Das Containerschiff und seine Ladung wird zwar ein paar Mal angesprochen oder in einigen Videoszenen gezeigt, ist aber kein Dreh- und Angelpunkt für die sich dramaturgisch wie buchstäblich im Kreis drehende Geschichte, in deren Etappen angeblich jeden Abend immer anders eingestiegen wird. Regisseurin Helgard Haug lässt Kunstschnee rieseln und einen Schneemann am Bühnenrand vor sich hinschmelzen, bringt den Begriff "Materialermüdung" in Bezug auf das in einem Berliner Hotel geborstene Riesenaquarium ins Spiel und lässt zwei fahrbare Musikpodeste, auf denen Schlagzeuger Daniel Eichholz und die Komponistin und elektronische Musikerin Barbara Morgenstern sehr feine Livemusik machen, ordentlich herumfahren.
Mehr Erkenntnis und Stringenz hätte dem Abend, der mit einer Konzertzugabe beginnt und zweieinhalb Stunden später kein rechtes Ende findet, nicht geschadet. Ein wenig scheint auch im Theater die "Ever Given" vom Kurs abgekommen zu sein. Dennoch sehr wohlwollender Premierenapplaus.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "Ever Given. Eine Kipp-Punkt-Revue", Uraufführung von Rimini Protokoll / Helgard Haug, Konzept und Regie: Helgard Haug, Komposition: Barbara Morgenstern, Live-Musik: Daniel Eichholz, Barbara Morgenstern, Live-Sounddesign: Peter Breitenbach. Mit: Adham Elsaid, Hana Hazem Arabi, Marianne Vlaschits, Michaela Groch-Fischer und LED ZXI Serie / 2mm. Volkstheater Wien, Nächste Vorstellungen: 14. Dezember sowie am 25. und 26. Jänner 2025. www.volkstheater.at)
Zusammenfassung
- Die Uraufführung von 'Ever Given. Eine Kipp-Punkt-Revue' fand im Wiener Volkstheater statt und befasste sich hauptsächlich mit der Flüchtlingsfrage, nicht mit dem Containerschiff 'Ever Given'.
- Hana Hazem Arabi, ein Syrer, beeindruckte mit seinen Fluchterzählungen und verknüpfte sie mit aktuellen politischen Entwicklungen, während die Inszenierung durch Live-Musik und visuelle Elemente ergänzt wurde.
- Das Stück, das zweieinhalb Stunden dauerte, erhielt wohlwollenden Premierenapplaus, obwohl der Bezug zum Titel eher symbolisch blieb und die Dramaturgie unklar war.