Volksoper mit kühler "Salome" in die neue Saison gestartet
Nicht zuletzt ist dies dem praktikablen wie radikal entschlackten Bühnenbild von Erich Wonder zu verdanken, der die "Salome" in eine graue Welt stellt, einen auf das Wesentliche komprimierten Raum, dessen Boden geborsten ist. Die für gewöhnlich mit Statisterie gespickte Oper wird hier zum Kammerspiel eingedampft, bei dem das Geschehen im steten Halbdunkel klaustrophobisch vonstatten geht. Die Kühle des ausklingenden 20. Jahrhunderts ersetzt hier die Schwüle des Fin de Siècles.
Dass sich dieser eingeschlagene Weg der symbolhaften Reduktion noch deutlich weiter auf die Spitze treiben lässt, hat nicht zuletzt ebenfalls in Salzburg Romeo Castellucci 2018 unter Beweis gestellt. Auch gibt es Interpretationen, die weit mehr die psychologische Tiefe der Charaktere herausarbeiten. Doch Staub angesetzt hat die Bondy-Arbeit nicht, wie sich an der von Witwe Marie-Louise Bischofberger-Bondy eingerichteten Neueinstudierung zeigt.
Salome ist hier von Beginn weg ein tänzerisch auftretendes Wesen, tänzelnd am Abgrund des Wahnsinns bis hin zur Kulmination mit dem legendären Tanz der sieben Schleier. Die an der Volksoper bestens bekannte Astrid Kessler bietet hierfür sowohl die körperlichen Voraussetzungen als mädchenhafter, dunkler Todesengel und zugleich als überspannte, unlaszive Figur mit ebenso geradlinigem Sopran.
Der Tanz, von der heute 83-jährigen Choreografielegende Lucinda Childs gestaltet, die sich die Wien-Premiere nicht entgehen ließ, gelingt somit zumindest unpeinlich. Und die ebenfalls des Öfteren ins unfreiwillig Komische abgleitende Nekrophiliesequenz der Salome mit dem Kopf des Jochanaan wird hier zur grausigen Kopulation samt blutüberströmtem Leichentuch - der einzige Farbkontrast im dunkelschattierten Ambiente. Flankierend sind Haussäule Ursula Pfitzner als angenehm unoutrierende Herodias, während Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als flamboyanter Tetrarch etwas aus dem Regiekonzept fällt.
Der seit Neuestem mit dem Zusatz "scheidende" versehene Musikdirektor Omer Meir Wellber im Graben setzt ganz auf die Bläser und die Percussion, die über weite Strecken die Streicher geradezu erschlagen. Im flotten Gestus geht das Ganze dahin, während man sich den Part der Geigen und Bratschen als Zuhörer bisweilen aus dem Gedächtnis gleichsam dazudenken muss. Zugleich mildert Wellber damit die süßlichen Passagen des Werks allerdings, was so gesehen auch wieder zum Regiekonzept passt.
Alles in allem also ein gelungener Saisoneinstand mit Tradition, die auch über die Bondy-Inszenierung hinausreicht. Schließlich war die Volksoper 1910 das erste Wiener Haus, das eine "Salome"-Deutung vorlegte - mithin die passende Stückwahl im Jahr des 125-jährigen Bestehens.
(S E R V I C E - Richard Strauss' "Salome" in der Volksoper, Währinger Straße 78, 1090 Wien. Dirigent: Omer Meir Wellber, Szenische Einstudierung der Inszenierung der Salzburger Festspiele 1992 von Luc Bondy durch Marie-Louise Bischofberger-Bondy, Bühnenbild: Erich Wonder, Kostüme: Susanne Raschig, Choreografie: Lucinda Childs, Licht: Alexander Koppelmann. Mit Herodes - Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Herodias - Ursula Pfitzner, Salome - Astrid Kessler, Jochanaan - Tommi Hakala, Narraboth - JunHo You, Page - Stephanie Maitland, Erster Jude - Karl-Michael Ebner, Zweiter Jude - David Kerber, Dritter Jude - Jason Kim, Vierter Jude - Stephen Chaundy, Fünfter Jude - Alexander Fritze, Erster Nazarener - Pablo Santa Cruz, Zweiter Nazarener - Stanisław Napierała, Erster Soldat - Ben Connor, Zweiter Soldat - Daniel Ohlenschläger, Kappadozier - Pablo Santa Cruz, Sklave - Kamila Dutkowska. Weitere Aufführungen am 18. und 22. September sowie am 23., 26. und 29. Oktober. www.volksoper.at/produktion/salome-2023.de.html)
Zusammenfassung
- Mit etwas Altem ist die Wiener Volksoper am Freitagabend in die neue Saison gestartet: Luc Bondys 1992 bei den Salzburger Festspielen gefeierte "Salome" erlebte nach zahlreichen Stationen in Europa nun ihre Wien-Premiere.
- Schließlich war die Volksoper 1910 das erste Wiener Haus, das eine "Salome"-Deutung vorlegte - mithin die passende Stückwahl im Jahr des 125-jährigen Bestehens.