Migrationsexpertin: Geplante Rückkehrzentren kaum umsetzbar
"Papier ist geduldig, gerade in Brüssel", formuliert Kohlenberger, die Umsetzung der präsentierten Pläne sei dagegen umso schwieriger. Denn es sei eine Sache, wenn die Europäische Union nun stärker Rückführungen durchführen wolle, eine andere sei aber die Tatsache, dass man die Herkunftsländer der Personen nicht in die Pflicht nehmen könne. Für diese gelte schließlich das Unionsrecht nicht.
Die Konsequenz daraus sei nun die Suche nach Staaten, mit denen die Mitgliedsstaaten Abkommen für die Einrichtung von Rückkehrzentren schließen können. Das sei aber schwierig laut Kohlenberger: "Deshalb hat man diese Maßnahme wohl auch den Mitgliedstaaten überlassen: Mit der Verordnung wird die Grundlage geschaffen, dass sie Vereinbarungen mit Drittstaaten selbst abschließen können." Was in der Praxis selten gelingen werde, prognostiziert die Expertin.
Kohlenberger sieht bei der Maßnahme ein Problem als den "Elefanten im Raum": "Auch wenn die Menschen beispielsweise nach Ruanda geflogen werden, wie es Großbritannien zu tun beabsichtigte, bedeutet das nicht, dass sie über Libyen und den Seeweg über das Mittelmeer nicht wieder nach Europa kommen könnten." Man könne die Menschen schließlich nicht dauerhaft gegen ihren Willen festhalten, sagt die Expertin. Parallel zu den Abkommen seien abgelehnte Asylwerber verpflichtet, an ihrer Rückkehr mitzuwirken. Freiwillige Rückkehr würde gefördert.
Migrationspolitik als Konsens-Thema
Das Timing der Rückkehr-Verordnung überrascht Kohlenberger nicht. Es sei ein Thema, das angesichts der Wahlergebnisse verschiedenster nationaler Wahlen auf der Hand läge und nun "strategisch klug eingesetzt" werden könne, weil es "wenig Dissens dazu gibt".
Jede EU-Kommission habe sich in der Vergangenheit die Verbesserung des Migrationspolitik durch höhere Effizienz und Schnelligkeit von Abschiebungen an die Fahnen geheftet. Der österreichische EU-Migrationskommissar Magnus Brunner (ÖVP) würde daran nur anknüpfen.
Verschiebung des Problems an die EU-Außengrenzen
Ein Vorgehen wie jenes, das die deutsche CDU/CSU nun plant, sieht Kohlenberger kritisch. "Dass Deutschland Migranten und Asylbewerber notfalls auch ohne Zustimmung der Nachbarländer an den deutschen Grenzen abweisen will, verlagert das Problem nur auf die Nachbarländer und in letzter Konsequenz wieder an die europäische Peripherie", sagt die Migrationsforscherin. Besonders Italien und Griechenland seien dann wieder betroffen, erklärt die Expertin und verweist auf die katastrophalen Zustände des Flüchtlingslagers Moria, das im September 2020 abbrannte. "Will man dort Lager für sogenannte Schnellverfahren schaffen, wie in der GEAS-Reform vorgesehen, so wäre das Risiko hoch, dass es in diesen wieder zu einem Rückstau und zu Überfüllung kommt."
"Es stimmt, dass Deutschland und Österreich in den letzten Jahren überproportional viele Flüchtlinge aufgenommen haben", pflichtet Kohlenberger bei. "Dass beide Länder sich aber jetzt bei seit Monaten sinkenden Asylzahlen auf einen Notstand berufen, ist schlichtweg nicht argumentierbar."
Als Lösungsansätze sieht die Forscherin - neben der Einhaltung des geltenden Rechts - einerseits eine faire, rechtsstaatliche und "halbwegs schnelle" Abwicklung von Asylverfahren. Andererseits brauche es eine " menschenwürdige Unterbringung" der Asylsuchenden. Aktuell gebe es hierbei aber vielmehr einen "Wettbewerb nach unten". Die Mitgliedsstaaten würden versuchen, ihre Länder möglichst unattraktiv für Flüchtlinge und Asylsuchende zu machen und sich so gegenseitig das Problem zuzuschieben.
Migrationspolitik als sicherheitspolitisches Thema
Allgemein bezeichnet Kohlenberger die Migrationspolitik als die "Achillesferse der europäischen Politik". Migration sei ein sicherheitspolitisches Thema, da autoritäre Regime sie als "Waffe" benutzen würden, um Europa zu destabilisieren. Prägnantes Beispiel sei dafür die Grenze zwischen Polen und Belarus. "Dort ist man in Putins Falle getappt und hat sich erpressen lassen", sagt die Migrationsforscherin und erklärt, dass dort von Belarus und Russland gelenkte Zuströme an Migranten die EU-Außengrenze unter Druck setzen sollen. Der russische Präsident Wladimir Putin habe die Absicht, damit dem Rest der Welt die "Scheinheiligkeit und Doppelmoral Europas aufzeigen zu wollen, das die Menschenrechte nur dann einhält, wenn es dem Eigennutz dient".
"Man kann sagen, dass Russland bereits einen Krieg mit Europa führt - nur eben nicht an den klassischen Frontlinien", erklärt Kohlenberger. Unter anderem habe Russland in Syrien, in afrikanischen Ländern wie Niger und Mali oder eben auch in der Ukraine durch Destabilisierung Migrationsströme ausgelöst. Ziel sei dabei auch, Europa zu spalten und Polarisierung "egal auf welcher politischen Seite" herbeizuführen. Sowohl rechts- als auch linkspopulistische Kräfte, die mit Migrationspanik Stimmung machen, seien aus Putins Perspektive wünschenswert. "Da schließt sich Kreis der geopolitischen Destabilisierungs-Strategie Russlands", erklärt die Migrationsexpertin, die an der Wirtschaftsuniversität Wien forscht und lehrt.
( Das Interview führte Daniela Pirchmoser/APA )
Zusammenfassung
- Migrationsforscherin Judith Kohlenberger sieht die Umsetzung des EU-Rückführungsgesetzes kritisch, da es schwierig ist, Drittstaaten für Rückkehrzentren zu finden, die Menschenrechtsstandards einhalten.
- Die EU-Kommission hat das Gesetz vorgestellt, um Rückführzentren in Drittstaaten zu ermöglichen, jedoch bleibt die praktische Umsetzung aufgrund der Komplexität fraglich.
- Kohlenberger kritisiert, dass die Rückkehrverordnung das Migrationsproblem an die EU-Außengrenzen verlagert, was vor allem Italien und Griechenland betrifft.
- Migration wird als sicherheitspolitisches Thema betrachtet, da autoritäre Regime sie als Waffe zur Destabilisierung Europas nutzen.
- Russland und Belarus werden beschuldigt, Migrationsströme als Druckmittel gegen Europa einzusetzen, um geopolitische Destabilisierung zu erreichen.