Technik und Weltschmerz: Cotton startet in Kunsthalle Wien
Die Britin Cotton folgt mit diesem Herbst auf das kroatische Kollektiv WHW und hat als eines ihrer Ziele eine höhere Sichtbarkeit der Kunsthalle ausgegeben. Zum Auftakt wurde das noch nicht wirklich eingelöst, selbst wenn der frühere Kassenraum bereits zum Atelier umfunktioniert wurde und mit Bildungs- sowie Vermittlungsangeboten unterschiedliche Communities ansprechen soll. Allerdings wurde die Rückseite "zurückerobert", wo die dort befindlichen Vitrinen schon früher für Präsentationen genutzt wurden. Nun wird es hier jährlich wechselnde Auftragsarbeiten zu sehen geben.
Und den Anfang macht eben Turato: Das Wandgemälde der in Zagreb geborenen Künstlerin ist erst auf den zweiten Blick als solches zu erkennen, spielt ihre stringente Typografie doch mit einem Designansatz, der sofort technische Präzision evoziert. Ihr gehe es um "den Verlust des menschlichen Körpers, der in Bezug auf das Digitale passiert", erklärte sie bei der Presseführung am Mittwoch. Der nun in roten Lettern auf schwarzem Grund vorliegende Schrei sei jedenfalls nicht persönlich, als vielmehr gesellschaftlich zu lesen. Eine Reaktion auf die nicht abebbende Flut an Nachrichten und Informationen, die täglich auf die Menschheit einprasselt.
Die technologischen Aspekte dienen auch als Brücke zur ersten großen Soloschau von Domanović in Österreich: Ihre mehr als 40 Arbeiten, die im Obergeschoss der Kunsthalle großzügig platziert wurden, spielen vielfach mit einer Wechselwirkung von technischem Fortschritt, gesellschaftlichem Ausdruck und persönlichem Hintergrund. "Sie bringt formale Aspekte mit Narration zusammen", beschrieb es Cotton. "Ihre Arbeiten haben ein starkes Storytelling-Element in dem Sinne, wie auch wir uns gegenseitig Geschichten übereinander erzählen: Wer sind wir, und wo kommen wir her?" Nicht zuletzt gehe es Domanović um "Fragen über Nationalismus, unsere Beziehung zu Technologie oder wie Gender definiert wird".
Das bedeutet für die Betrachter allerdings auch einiges an Arbeit, erschließen sich die Werke doch trotz ihrer teils raumgreifenden Maße nur selten beim ersten Kontakt. So hat sie etwa auf große, transparente Folienbahnen Gegenstände aus Science-Fiction-Filmen wie "Aliens" oder "Blade Runner" gedruckt, die von zentraler Bedeutung für die weiblichen Charaktere sind. Für leichte Irritation sorgt wiederum ein im Profil angefertigte Porträt eines goldenen Tito, hat Domanović dem einstigen jugoslawischen Präsidenten doch weibliche Züge verpasst, während ihre erste Skulptur in Form dreier Stapel von tausenden bedruckten Zetteln das Digitale mit dem Physischen verknüpft und Hooligan-Ausschreitungen bei Fußballspielen dokumentiert.
"Viele meiner Arbeiten haben einen autobiografischen Hintergrund", erzählte die in Novi Sad geborene und in Slowenien aufgewachsene Künstlerin. "Auf diese Weise kann ich auch Dinge ausdrücken, für die ich an einem früheren Zeitpunkt vielleicht zu jung war, um sie zu verstehen." Von der Decke hängende LED-Ventilatoren zeigen als "Worldometers" Fotos und Schriftzüge, die sich mit dem Ultraschallverfahren auseinandersetzen. Quasi eine tägliche Kindheitserinnerung, war ihre Mutter doch Röntgentechnikerin. Und nicht zuletzt spielt auch Wien eine Rolle in dieser Präsentation, wo Domanović an der Universität für angewandte Kunst Grafikdesign studiert hat. Mit "New Me" ist ein Musikvideo zu sehen, das 2006 Teil der Abschlussausstellung ihres Jahrgangs war.
(S E R V I C E - Ausstellung Aleksandra Domanović, von 5. September bis 26. Jänner 2025, eine Publikation auf Englisch und Deutsch soll im Oktober erscheinen, hrsg. von Michelle Cotton, 224 Seiten; Ausstellung Nora Turato, von 5. September 2024 bis 14. September 2025; Kunsthalle Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr; www.kunsthallewien.at)
Zusammenfassung
- Die Kunsthalle Wien präsentiert ab sofort ein 62 Meter langes Wandgemälde von Nora Turato, bestehend aus 76 Buchstaben A und sechs Rufzeichen, das für ein Jahr zu sehen sein wird.
- Aleksandra Domanović zeigt in ihrer ersten großen Soloschau in Österreich über 40 Arbeiten, die Technologie und gesellschaftlichen Wandel mit autobiografischen Elementen verbinden.
- Michelle Cotton, die neue Direktorin der Kunsthalle Wien, strebt eine höhere Sichtbarkeit der Kunsthalle an und hat bereits den früheren Kassenraum in ein Atelier umgewandelt.