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Studierende erforschen in "Aufs-Land-Semester" Wohnmodelle

Ein "Auslandssemester" am Land - unter dem Titel "Rurasmus" verbringen europäische Studierende ein Semester nicht in Oxford oder Bologna sondern im Salzkammergut. Im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl - Salzkammergut 2024 befassen sie sich mit Herausforderungen des ländlichen Raums. So geht es etwa um Leerstände trotz Wohnungsknappheit, um generationenübergreifende Wohnmodelle, aber auch um die Belebung von Gewerbeleerständen und Ortskernen.

Das Rurasmus-Programm - eine Wortschöpfung aus den Begriffen "rural" (ländlich) und dem EU-Studierendenaustauschprogramm "Erasmus" - begleitet seit 2022 Studierende aus ganz Europa durch ihr Aufs-Land-Semester. Seit März 2024 widmen sich sechs von ihnen der Zukunft des Wohnens im Salzkammergut. Sie haben für mehrere Monate Quartier in den Kulturhauptstadtgemeinden Bad Ischl, Ebensee, Gosau, St. Konrad, Bad Mitterndorf und Grundlsee bezogen und arbeiten hier. Die Gemeinden haben im Vorfeld gemeinsam mit dem Rurasmus-Institut die jeweilige Forschungsaufgabe definiert. Erfahrungen, die viele von ihnen gemacht haben: Leerstand gibt es genug, ihn geordnet zu erheben, ist aber Knochenarbeit. Mit ihren Projekten soll auch die Auseinandersetzung der Bürger mit der Entwicklung ihres Ortes und die Bereitschaft, sich auf neue Wohnmodelle abseits des Einfamilienhauses auf 1.000 Quadratmetern mit Thujenhecke einzulassen, angefacht werden.

Tanja Stapelbroek, Urbanistikstudentin aus Weimar, etwa will der einst pulsierenden und heute von Gewerbeleerstand gezeichneten Marktgasse in Ebensee neues Leben einhauchen. "Derzeit sind in der Erdgeschoßzone 50 Prozent Leerstand", beschreibt sie die Ausgangssituation. Ihr Ziel ist es, "den Stein ins Rollen zu bringen". Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat sie Bürgerbeteiligungsformate erprobt, um die Menschen zu motivieren, sich selbst aktiv einzubringen. In Workshops wurde ausgelotet, in welche Richtung sich die Marktgasse entwickeln könnte. Eine Idee ist etwa eine "Art-Gasse", in der Kunsthandwerk ein Zuhause findet. Ihre Forschungsarbeit ist in ein Agendazukunftsprojekt eingebettet, die Ergebnisse sollen dem Agendateam und in der Folge dem Gemeinderat als Entscheidungshilfe dienen, wie es in der Marktgasse weitergeht.

In Grundlsee forscht Muriel Beringer - sie studiert Architektur und Stadtplanung in Stuttgart - an neuen Konzepten für Mehrgenerationenhäuser. In dem 1.300-Seelen-Ort leben viele, meist ältere Menschen alleine in ihren Häusern, gleichzeitig suchen junge Familien Wohnraum, Baugrund ist knapp und teuer, schildert sie die Lage im Ort. Sie selbst ist für ihr Rurasmus-Semester quasi als "Versuchskaninchen" bei einer Familie im Ort eingezogen, und im Rahmen ihrer Projektarbeit versucht sie, die Menschen für die Idee zu begeistern, ihre Häuser ebenfalls zu öffnen, sich Raum zu teilen oder Leerstand zu vermieten. Nicht immer stößt sie dabei auf offene Ohren, aber "die Leute gehören inspiriert" und begleitet, findet sie. Vor allem die mittleren Altersgruppen seien interessiert - Leute, die sehen wie ihre alten Nachbarn vereinsamen und überlegen, ob sie selbst nicht mittelfristig davon profitieren könnten, Wohnraum zu teilen oder Bereiche zu vermieten. Muriel Beringer will zudem auf regionaler Ebene eine Plattform initiieren, in der sich Wohnraumbesitzer und Wohnraumsuchende finden können.

In St. Konrad macht man sich Gedanken darüber, wie man das Areal eines Fleischhauereibetriebs samt ehemaligem Gasthaus in Zukunft nutzen könnte. Lukas Hegendörfer, Architekturstudent in Nürnberg, feilt im Rahmen seiner Masterarbeit an einem Konzept, dessen Ziel es ist, Wohnraum zu schaffen - verdichtet statt in Einfamilienhäusern und für mehrere Generationen tauglich, ein Wohnmix für Jung und Alt auf 19.000 Quadratmetern mitten im Ortszentrum. Er möchte zu den Wurzeln des Gebäudes zurückkehren, zum Vierkanthof. Auf einer der vier Seiten schwebt ihm ein Wohnkonzept für ältere Menschen vor, barrierefrei und mit Lift. Wo einst der Stadel war, könnten Boxen für kleine Wohneinheiten hinkommen, ideal für Singles oder Paare, gleichzeitig sollen alte Gewölbe oder die massiven, 70 Zentimeter dicken Mauern erhalten und zur Geltung gebracht werden.

Daria Kariakina, Studentin der Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin, befasst sich damit, wie man in Bad Ischl - konkret in der sanierungsbedürftigen Wohnsiedlung Roith - die soziale Durchmischung fördern kann. Sie geht der Frage nach, ob ein Neubau die einzige Option ist bzw. wie man das Viertel aufwerten und dennoch leistbaren Wohnraum zur Verfügung stellen könnte. Im steirischen Bad Mitterndorf will ihr Kollege Bastian Kniza leerstehende ehemalige Fremdenzimmer und Ferienwohnungen ausfindig machen und neue Nutzungen dafür finden. Auch Gosau kämpft mit etlichen Leerständen und nur temporär genutztem Wohnraum. Die Gemeinde steht vor der Herausforderung, Wohnraum bereitzustellen, hat jedoch keinen Zugriff auf die leer stehenden privaten Ressourcen. Adilet Alymbekov, der Nachhaltiges Immobilienmanagement an der FH Kärnten studiert, zerbricht sich den Kopf darüber, wie man hier ein Umdenken in Gang setzen könnte.

Am 30. Juni präsentieren die Rurasmus-Studierenden ihre Arbeiten in der Trinkhalle in Bad Ischl (11 Uhr) vor den Bürgermeistern und Vertretern der Universitäten und des Rurasmus-Forschungsinstituts. Dann liegt es an den Gemeinden, ihre Ideen weiterzuführen.

(S E R V I C E - www.rurasmus.at/)

ribbon Zusammenfassung
  • Seit März 2024 arbeiten sechs europäische Studierende im Rahmen des Rurasmus-Programms im Salzkammergut an Projekten zur Zukunft des Wohnens.
  • Tanja Stapelbroek aus Weimar möchte die Marktgasse in Ebensee wiederbeleben, wo derzeit 50 Prozent der Erdgeschosszone leerstehen.
  • Muriel Beringer aus Stuttgart forscht an Konzepten für Mehrgenerationenhäuser in Grundlsee, um ältere Menschen und junge Familien zusammenzubringen.
  • Lukas Hegendörfer aus Nürnberg entwickelt ein Wohnkonzept für ein ehemaliges Fleischhauerei-Areal in St. Konrad, das verdichteten Wohnraum für mehrere Generationen schaffen soll.
  • Am 30. Juni präsentieren die Studierenden ihre Forschungsergebnisse in der Trinkhalle in Bad Ischl vor Bürgermeistern und Vertretern der Universitäten.