Studie: Wer Kunst fühlen will, muss stehen bleiben
Kunst wirft Fragen auf, besonders abstrakte. Was wurde nicht alles schon in den Farbenrausch von Franz Marcs "Kämpfende Formen" hineingelesen, eines der letzten Gemälde des deutschen Malers. Zwei Formen ringen und krümmen sich. Während die mit Krallen und Vogelschnabel versehene rote Form links nach vorne angreift, weicht die dunkelblau-schwarze Form rechts wie in der Verteidigung zurück.
Eine Studie der Fakultät für Psychologie von der Universität Wien, unter der Leitung von Kühnapfel und Matthew Pelowski, ergab nun erstmals, dass Personen, die näher an diesem Gemälde standen, über bedeutungsvollere, interessantere, und aufschlussreichere Kunsterlebnisse berichteten. Es werde dann als tiefgründiger empfunden. "Das passt auch schön zur 'Embodiment-Theorie', die besagt, dass wenn wir im echten Leben, also nicht nur in der Kunst, näher an Dinge heran gehen, das ein Ausdruck von Interesse ist", erklärte Kühnapfel.
In der Forschung hat man begonnen, die Kunsterfahrung "im Labor" zu untersuchen. Es gibt Studien darüber, welche Emotionen Kunst in uns auslösen kann und welche Rolle Kontext und Erfahrungen spielen. "Es gibt sogar Studien, die sich angeschaut haben, wie sich Menschenmengen durch Museen bewegen, mit dem Ziel die Museen zu verbessern", so die Forscherin. "Wie die Menschen sich vor einem Kunstwerk bewegen, das hat man sich noch nie angeschaut. Diese Lücke wollten wir schließen."
Für ihre Studie haben die Forscherinnen und Forscher 39 Teilnehmer, hauptsächlich Studierende der Psychologie und Kunstgeschichte, dazu eingeladen, in einen Galerieraum zu gehen und sich eine Reproduktion von "Kämpfende Formen" anzusehen. "Es sollte uniform sein", erklärte Kühnapfel die Wahl. "Wir haben auch mobiles Eye-Tracking verwendet, um die Blickbewegung der Teilnehmer simultan mit der körperlichen Bewegung zu messen. Und da wollten wir nicht, dass das Kunstwerk allein schon den Blick auf bestimme Aspekte im Bild anzieht." Dieser mobile Eye-Tracker, eine spezielle Brille, misst, wo die Menschen hinschauen. Zusätzlich wurden mit einem neuen Movement-Tracker, der unter der Leitung von Florian Güldenpfennig von der Technischen Universität (TU) Wien entwickelt wurde, die Bewegungen gemessen.
Am spannendsten für die Studien-Erstautorin war, dass Personen, die sich mehr und in Form eines "T" auf dem Boden der Galerie bewegten, von aufschlussreicheren Erfahrungen berichteten. "Wenn Leute mehr Zeit mit dem Kunstwerk verbringen, dann korreliert das außerdem positiv mit diesen bedeutungsvolleren Erfahrungen." Wer sich dahingegen weniger bewegte, berichtete von mehr Gefühlen. "Wenn wir uns nicht so viel bewegen, haben wir womöglich mehr Ressourcen, uns auf unsere Emotionen zu konzentrieren", so die Forscherin. Dabei spielte es keine Rolle, ob jemand eine Ausbildung in Kunstgeschichte oder ein Interesse an Kunst hatte. "Man könnte ja meinen, dass Kunstkenner sich anders bewegen oder anders schauen, aber das war nicht der Fall in unserer Studie."
Linien auf dem Boden sollen in Museen oft verhindern, dass man einem Gemälde aus Sicherheitsgründen zu nahe tritt, aber wer ein bedeutsameres Erlebnis wünscht, der sollte vielleicht beim nächsten Besuch einer Galerie trotzdem ein wenig näher hinschauen. In Zukunft will man auch Studien mit mehreren und nicht-abstrakten Kunstwerken durchführen, da sich die Ergebnisse mit dem einen Kunstwerk noch nicht generalisieren lassen. "Der Körper spielt eine wichtige Rolle in der Kunsterfahrung und diese Studie soll einen Anreiz bieten", so Kühnapfel.
(S E R V I C E - https://doi.org/10.1177/02762374231160000)
Zusammenfassung
- Eine Fallstudie zeigt nun: Je näher man an einem Gemälde steht und je mehr man sich bewegt, desto bedeutsamer ist das Erlebnis.
- Das berichten Forscher der Universität Wien im Fachblatt "Empirical Studies of the Arts".
- Zwei Formen ringen und krümmen sich.
- Während die mit Krallen und Vogelschnabel versehene rote Form links nach vorne angreift, weicht die dunkelblau-schwarze Form rechts wie in der Verteidigung zurück.