Reduktion für Fortgeschrittene bei Bregenzer "Butterfly"
Es hat lange gedauert, bis der 1904 uraufgeführte Opernhit als seebühnentauglich erklärt wurde. Bedingt die Wahl doch ein Konzept, das es ermöglicht, ein derart auf eine einzelne Person zugeschnittenes Werk auf diesem großen Podium den knapp 7.000 Besuchern anbieten zu können. Nach dem äußerst bewegten "Rigoletto" von Philipp Stölzl, der für die Verdi-Oper einen riesigen Clownskopf in einen Totenschädel verwandeln ließ, war für Intendantin Elisabeth Sobotka die Zeit reif für mehr Ruhe und Poesie an einem Ort, der oft mit Spektakulärem punktete.
Die Entscheidung fiel nicht zu früh. Schon im letzten Sommer war klar, dass "Madama Butterfly", die in Bregenz mit dem internationalisierten "Madame" im Titel angeboten wird - obwohl man selbstverständlich Italienisch singt - nicht in jenem Asien-Kolorit ertrinkt, das Bühnenbildner Michael Levine mittels einer filigranen Landschaftszeichnung im Ausmaß von 23 Mal 33 Metern auf den See legte.
Das Podium gleicht somit einem von Wasser und Wind gewellten, ans Ufer geschwemmten Papier, auf dem Regisseur Andreas Homoki mit seinem Kostümbildner Antony McDonald einer erstarrten japanischen Kultur zum Ende des Shogunats ein Amerika der 1950er-Jahre gegenüberstellt. Ein Land, das vor dem Vietnamkrieg noch mit Fortschritt, Erfolg und Freiheit in Verbindung gebracht wurde. Das funktioniert mit einem Petticoat, smarten Anzügen, Stars and Stripes und mit Geishas sowie Elementen aus dem Kabuki-Theater. Trotz des Zeitsprungs bleibt dieser Ansatz plausibel und frei vom Vorwurf der kulturellen Aneignung. Durch die Überhöhung umgeht man Klischees und die Kolonialismuskritik ist unübersehbar, wenn Pinkerton bei seinem Auftritt die Zeichnung respektlos beschädigt.
Die unterschiedlichen Beweggründe, die zur Heirat der Geisha Cio-Cio-San, genannt Butterfly, mit Leutnant Pinkerton führen, bleiben allerdings unaufgelöst. Emotionale Tiefe zählt für Homoki hier mehr als die Interpretation des Geschehens. Mit dem Auftritt ihres Onkels Bonzo als riesige, furchteinflößende Projektion deutet der Regisseur zumindest an, warum Butterfly diese Möglichkeit ergreift, um der Enge der Tradition zu entfliehen. Die Sextourismus-Thematik im Handeln von Pinkerton findet hingegen keine szenische Berücksichtigung.
Mit dem finalen, raschen Verglühen der Zeichnung mitsamt der toten Butterfly münden die zuvor subtil eingesetzten Videoprojektionen von Luke Halls dann aber doch noch in jene drastische Szene, die die Härte des Stoffes vermittelt.
Ein kompaktes Bühnenbild, Lichtstimmungen sowie das perfekte Gespür für die Wirkung der Figuren im Raum entsprechen einer Reduktion für Fortgeschrittene, mit der die Bregenzer Festspiele - so paradox es klingen mag - die Seebühnen-Ästhetik der letzten Jahrzehnte erweitert haben.
Zu erkennen, dass Butterfly als verlassene Mutter, die sich mit dem Seppuku-Dolch ihres Vaters tötet, ihrer familiären wie kulturellen Prägung folgt, verlangt den konzentrierten Blick auf die kleinen Spielszenen im ersten Akt, lässt sich aber selbst mit weniger geschulten Ohren über die Motive und den Exotismus in der Partitur erfahren. Deren kammermusikalische Feinheit, aber auch deren Farbigkeit erfährt durch die Wiener Symphoniker unter Enrique Mazzola spannende bis krasse Steigerung.
Kein Problem für die Sopranistin Barno Ismatullaeva, die in der Titelrolle, die sie zu nahezu dauernder Präsenz zwingt, nicht nur mit den erforderlichen, sondern mit faszinierend nuancierten Spitzentönen sowie einem breiten Gefühlsspektrum besticht. Neben diesen enormen Anforderungen gleichen die weiteren Rollen nahezu einem Spaziergang, den der Tenor Otar Jorjikia (Pinkerton) mit schöner Geschmeidigkeit und Annalisa Stroppa (Suzuki) einwandfrei bewältigen. Brett Polegato (Sharpless) sowie Taylan Reinhard (Goro) dokumentieren die hohe Qualität der Besetzung. Besonders bei diesem Werk erweisen sich der Prager Philharmonische Chor neben dem Bregenzer Festspielchor als verlässliche Partner, was das jubelnde Publikum entsprechend unterstrich.
Apropos Reprisenjahr auf dem See: Unweit der "Butterfly"-Bühne lagert ein kleiner Teil einer vereisten Sumpflandschaft, mit der Philipp Stölzl bereits die Möglichkeiten der Umsetzung von Carl Maria von Webers "Der Freischütz" erkundet, mit dem die Festspiele 2024 eröffnet werden.
(S E R V I C E - "Madame Butterfly" von Giacomo Puccini bei den Bregenzer Festspielen. Musikalische Leitung der Wiener Symphoniker: Enrique Mazzola/Yi-Chen Lin, Regie: Andreas Homoki, Bühne: Michael Levine, Kostüme: Antony McDonald. Mit: Cio-Cio-San - Elena Guseva/Barno Ismatullaeva/Anna Princeva, Suzuki - Fleuranne Brockway/Aytaj Shikhalizada/Annalisa Stroppa, Kate Pinkerton - Hamida Kristoffersen/Sabine Winter, B.F. Pinkerton - Otar Jorjikia/Denys Pivnitskyi/Łukasz Załęski, Sharpless - Domen Križaj/Brett Polegato/Yngve Søberg, Goro - Spencer Lang/Taylan Reinhard, Fürst Yamadori - Omer Kobiljak/Patrik Reiter, Onkel Bonzo - Levente Páll/Stanislav Vorobyov, Kaiserlicher Kommissar - Matthias Hoffmann, Dolore, das Kind - Aurel Boss, Julian Ringer, Riku Seewald. Weitere Aufführungen auf der Seebühne von 21.-23. und von 25.-30. Juli sowie von 1.-6., von 9. bis 13., am 15. und 16. und von 18.-20. August. https://bregenzerfestspiele.com/de/programm/madame-butterfly)
Zusammenfassung
- Seit 1986 behalten die Bregenzer Festspiele ihre Opernproduktion auf dem See jeweils zwei Jahre im Programm.
- Für Andreas Homoki stand fest, dass an seiner im Vorjahr präsentierten Inszenierung von Puccinis "Madame Butterfly" nichts zu ändern ist.
- Bei der Premiere der Wiederaufnahme am Donnerstagabend gab ihm das Publikum recht.
- Die Sextourismus-Thematik im Handeln von Pinkerton findet hingegen keine szenische Berücksichtigung.