Musikerin Julia Lacherstorfer holt Frauen vor den Vorhang
"Diese Arbeitsweise hat schon bei 'Spinnerin' begonnen", blickte die Musikerin im APA-Interview auf ihr 2020 erschienenes Solodebüt zurück. Damals sei ihr bewusst geworden, dass in unserem traditionellen Liedgut weibliche Narrative fehlen. "Und wenn sie vorhanden sind, zeichnen sie ein eindimensionales Bild, das selbst für früher nicht wirklich repräsentativ war. Oft geht es um das Bild vom lieblichen Dirndl, das auf der Alm wartet und auch immer passiv ist." Folglich war ihr Ausgangspunkt: "Wenn es diese Lieder in der Form nicht gibt, muss ich sie eben selber machen."
Gesagt, getan: Auf "Spinnerin (a female narrative)" hat sie ihre zeitgenössische Interpretation von Volksmusik mit dem weiblichen Blick zusammengeführt. Nun geht sie noch einen Schritt weiter, sowohl musikalisch als auch inhaltlich: Vielfach wirken die Stücke auf "Nachbarin" wie Klanggemälde, mit denen die Violinistin ihre Gespräche mit den Musikerinnen Nataša Mirković, Nicole Janß und Sakina Teyna sowie mit Philosophin Amani Abuzahra unterlegt. "Ich habe das Gefühl, dass es jetzt gerade meine künstlerische Methode ist, mit der ich am meisten zum Ausdruck bringen kann, was mich interessiert", so Lacherstorfer. "Indem nicht ich für jemand anderen spreche, sondern direkt die Person sprechen lassen kann."
Während Mirković von ihrer Flucht aus Bosnien erzählt, spricht Janß über den Verlust ihrer Tochter und thematisiert Abuzahra die unterschiedliche Lesart von Wut, je nachdem ob sie bei Männern oder Frauen auftritt. Für die in eine kurdisch-alevitische Familie geborene Sängerin Teyna wiederum ist Sprache etwas höchst politisches - was man naturgemäß auch über dieses Album sagen kann. Wie politisch sieht Lacherstorfer selbst ihre Kunst? "Das ist eine Frage, die immer wieder kommt. Warum nicht einfach 'nur' Musik? Es hat sich so ergeben, durch persönliches Interesse und auch ein Engagement sowie das Gefühl von sozialer Ungerechtigkeit. Das ist meine Miniform von Aktivismus, den ich leisten kann."
Ihr sei bewusst, dass sie mit solchen Projekten kein "Mainstreamprogramm" abliefere, sagte die Musikerin, die auch in Formationen wie Alma oder als Festivalleiterin tätig ist. "Ich habe mir aber ein Publikum aufgebaut, das mit mir mitgeht - auch inhaltlich. Die Leute sind bereit, sich Gedanken über Themen zu machen, die sie vorher vielleicht anders gesehen haben. Natürlich könnte ich es mir leichter machen, würde ich nur Musik schreiben, die energetisch ist und bei der alle happy rausgehen. Aber es gibt schon viel Unterhaltung. Das ist gut, die Menschen brauchen das. Aber es ist nicht das, was ich am besten kann."
"Nachbarin" begreife sie als "Mischung aus Album, Buch und Statement. Es ist ein Abbild davon, was mich in den vergangenen zwei Jahren beschäftigt hat." Für einen gewissen Zeitraum sei das ihr "Kosmos" gewesen, in dem Lacherstorfer auch mit persönlichen Geschichten (das primär auf ihre Stimme fokussierende "Narben" oder das zutiefst traurige "Zwischen den Welten") berührt. All das könne man dann auf eine CD pressen. "Bringt es das überhaupt noch?", stellte sie selbst die rhetorische Sinnfrage für dieses Medium. "Für mich schon. Und es gibt zum Glück auch noch Leute, die das kaufen", warf sie lachend hinterher.
Am Donnerstag präsentiert sie "Nachbarin" mit den Mitmusikerinnen Sophie Abraham und Miriam Adefris sowie Lukas Froschauer, der die Klangregie übernimmt, in der Wiener Sargfabrik. Während der Probenzeit dafür sei ihr nochmals bewusst geworden, "dass es einfach schwere Themen sind. Wenn ich vier Tage hintereinander das Programm probe und da emotional reingehe - das habe ich eigentlich ein wenig unterschätzt. Es erfordert innerlich schon eine gewisse Stabilität." Noch brauche es Zeit, "bis ich die Lieder wirklich als Lieder und damit etwas Externes empfinden kann".
In der Zwischenzeit sitzt Lacherstorfer aber schon an der nächsten Komposition für ein Gemeinschaftsprojekt. Die Arbeit scheint der sympathischen Musikerin jedenfalls nicht auszugehen, ebenso wenig wie die Lust am Neuen. "Mein Anspruch ist schon, dass es eine hörbare Weiterentwicklung gibt", sprach sie ihren kreativen Prozess an. "Es gibt immer am Anfang eines Projekt einen ganz starken Impuls. Dem kann man entweder gleich folgen oder nicht. Aber ich habe immer auf diesen Impuls gewartet. Dann war für mich auch klar: Das muss ich machen. Selbst wenn es niemanden interessieren würde, es muss einfach raus aus dem System."
(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E - www.julialacherstorfer.at)
Zusammenfassung
- Herkunft, Identität, Rassismus, Patriarchat oder Verlust: Es sind thematisch schwere Brocken, denen sich die heimische Musikerin Julia Lacherstorfer auf ihrem neuen Album nähert.
- Genaugenommen ist "Nachbarin" auch keine Liedsammlung, sondern eine Mischung aus Musik und Hörspiel mit gesellschaftspolitischer Note.
- In der Zwischenzeit sitzt Lacherstorfer aber schon an der nächsten Komposition für ein Gemeinschaftsprojekt.