"Molière" als opulente Travestie in Perchtoldsdorf
Welch zauberhafte, poetische, teils atemberaubende Theaterabende hat Sturminger seinem Publikum vor der Burg Perchtoldsdorf schon beschert! Diesmal sollte es ein besonderer Schlusspunkt sein, geht es in diesem Stück doch einerseits um den großen Dramatiker Molière, dessen 400. Geburtstag heuer zu begehen ist, andererseits um die Zeit des Stalinismus in Russland - eine kaum zu übersehende Parallele zu heutigen totalitären Entwicklungen. Da kommen Gewalt, Verleumdung, Fake News und die lobbyistische Rolle der Kirche zur Sprache, somit Themen, die ja alles andere als unaktuell sind.
Doch von dieser mehrdimensionalen Doppelbödigkeit wird leider kaum etwas sicht- und erlebbar. Natürlich gelingen schöne, fotogene und opulente Szenen, die quer durch den musikalischen Gemüsegarten akustisch begleitet werden (die meisten Schauspieler agieren auch als Musiker des Ensembles "Jean et les Dubtistes"). Da ist Sturminger in seinem Element. Die hohe Geistlichkeit bekommt ihr gehöriges Fett ab, Frauen spielen Männer, Männer tragen Rüschenröcke (man kennt das inzwischen zur Genüge) und Windelhosen. Aber so richtig will die Sache nicht in Fluss kommen. Da helfen auch hübsche kleine Pointen nicht: Als der erzürnte Molière (Wojo van Brouwer) seinen Schützling Moyron (Milena Arne Schedle) hinauswirft, weil er ihn in flagranti mit seiner jungen Ehefrau (Hannah Rang) ertappt hat, lässt ihn Sturminger sagen: "Du wirst auf Jahrmärkten spielen! In Sommertheatern!"
Sturmingers Rückblick ist alles andere als zornig: Von "beglückenden Sommern" spricht er im Vorwort zum Programmheft, und von seiner "fantastischen Truppe", die ihm eine "konstante künstlerische Heimat" geboten habe. Kein Einspruch - aber jetzt ist die Luft offenbar draußen. Statt stringenter Brisanz gibt es schalen Mummenschanz zu sehen. Spätestens wenn Molière am Ende jedermann-mäßig spektakulär den Herztod stirbt und anschließend in endloser Prozession zu Grabe getragen wird, fragt man sich zu vorgerückter Stunde, ob das Gesehene nun tatsächlich die inhaltliche Essenz war, oder ob Bulgakow womöglich nochmals geschrieben hätte: "Wenn mein Stück, damit es auf die Bühne kommt, erst so verkrüppelt werden muss, dass jeder Sinn schwindet, dann braucht es überhaupt nicht zu kommen."
(S E R V I C E - Sommerspiele Perchtoldsdorf: "Molière oder Der Heiligenschein der Scheinheiligen" nach Michail Bulgakow, Regie: Michael Sturminger, Musik: Michael Pogo Krainer, u.a. mit Wojo van Brouwer, Hannah Rang, Veronika Glatzner, Michou Friesz. Weitere Aufführungen bis 30. Juli, Stückeinführung vor jeder Vorstellung um 19.15 Uhr. Tickets und Information: Tel. 01/86683-400, www.sommerspiele-perchtoldsdorf.at)
Zusammenfassung
- Mit "Molière oder Der Heiligenschein der Scheinheiligen" nach Michail Bulgakow beendet Michael Sturminger nach neun Jahren seine Intendanz bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf.
- Und siedelt in seiner Inszenierung den Stoff, wie sich bei der Premiere am Donnerstagabend gezeigt hat, irgendwo im Niemandsland zwischen Drehbühnenhumor a la "Der nackte Wahnsinn", Kostümschinken, Travestie und Mysterienspiel an.