"Michael Kohlhaas" beeindruckt bei den Bregenzer Festspielen
Die Koproduktion des Deutschen Theaters Berlin mit den Bregenzer Festspielen und Les Théâtres de la Ville de Luxembourg bringt wieder hochkarätiges Schauspiel ins Festspiel-Programm - und eine echte Premiere: In Berlin wird die Inszenierung erst ab 30. Oktober zu sehen sein. Wer will, kann den Rosshändler Kohlhaas, der im Beharren auf sein gutes Recht "zum entsetzlichsten Menschen seiner Zeit" wird, einen Bruder im Geiste von Rigoletto sehen, dem Hofnarren, der sich nicht zum Narren machen lassen möchte, und dies in der zweiten Saison auf von Philipp Stölzl eindrucksvoll in Szene gesetzte Weise auf der Seebühne zeigt. Aber auch ohne dramaturgische Notwendigkeiten macht es Sinn, die bekannte Geschichte Kleists auf die Bühne zu bringen. Ein wenig straffer hätte es freilich durchaus sein können.
Bühnenbildner Harald Thor hat eine Art Bretterverschlag gezimmert, an dem die Bande Kohlhaas' ordentlich Hand anlegt, wenn es gilt, Rache zu demonstrieren. Und diese Rache fällt nicht nur drastisch, ja mörderisch aus. Von vielfacher Brandschatzung und manchem Gemetzel ist die Rede, und sogleich denkt man an ähnliche Szenen in Schillers "Die Räuber". Zwar lodern im Hintergrund die Flammen, werden Bretter wieder und wieder lautstark zertrümmert und zu Boden geschmissen - dem häufigen Manko von Dramatisierungen, Erzählung vor Handlung stellen zu müssen, entkommt man auch diesmal nicht ganz. Aber man hat gute dramaturgische Einfälle dafür aufgeboten.
Das Geschehen wird nicht chronologisch, sondern multiperspektivisch aufgerollt. Ein Bild zeigt die Szene des Anstoßes, den Ur-Moment des Kohlhaas'schen Furors: Willkür an einer Grenzstation, als erfundene Passagierscheine verlangt und zwei stolze Rösser als Pfand genommen werden. Als der Rosshändler wiederkehrt, findet er seinen zur Betreuung der Tiere zurückgelassenen Knecht verprügelt und verjagt, die Pferde halb verhungert und durch Feldarbeit ruiniert.
Das Folgende wird u.a. im Rahmen einer Gerichtsverhandlung erörtert, in der zwei Frauen (Lorena Handschin und Brigitte Urhausen, die auch immer wieder als Erzählerinnen fungieren) die Zeugen vernehmen, als Ränkespiel der "schmutzigen Politik" oder aus häuslicher, familiärer Perspektive. Hier lässt Kriegenburg das turbulente Geschehen ganz zur Ruhe kommen, Kohlhaas' Frau bei Tee und Keksen auf ihren Mann warten ("Du hattest sicher einen anstrengenden Tag in Dresden?") und an seinem Starrsinn verzweifeln. Um ihn vor den Folgen seines Aufbrausens zu bewahren, übernimmt sie selbst das Überbringen einer Bittschrift - und kehrt von den Leibwächtern der Obrigkeit tödlich verwundet zurück. Nun gibt es nichts mehr, was Kohlhaas zurückhält.
Während Kriegenburg in den sieben unterschiedlichen Bildern das insgesamt zehnköpfige Ensemble immer wieder spielerisch in Rollen schlüpfen und auch die Kleist'sche Sprache in vielerlei Ausformungen erproben lässt, bleibt Max Simonischek auf Kurs: Hier steht er und kann nicht anders. Der Leidende liegt ihm indes mehr als der Streitende. Viel lieber hätte er Recht als Rache. Doch der Überzeugungstäter endet am Schafott. Gegen die Mächtigen kann man nicht gewinnen. Viel wahrscheinlicher, dass man dabei alles verliert.
"Michael Kohlhaas" wird nur noch zweimal in Bregenz gespielt. Mit der Uraufführung von "Lohn der Nacht" von Bernhard Studlar haben die Bregenzer Festspiele heuer aber noch eine zweite Theaterproduktion im Angebot. Premiere ist am 5. August im Theater Kosmos.
(S E R V I C E - "Michael Kohlhaas" von Heinrich von Kleist, Fassung und Inszenierung: Andreas Kriegenburg, Bühne: Harald Thor. Mit Max Simonischek - Michael Kohlhaas, sowie Paul Grill, Lorena Handschin, Peter René Lüdicke, Bernd Moss, Markwart Müller-Elmau, Caner Sunar, Max Thommes, Brigitte Urhausen, Niklas Wetzel, Koproduktion der Bregenzer Festspiele mit dem Deutschen Theater Berlin, Theater am Kornmarkt. Weitere Aufführungen am 24. und 25. Juli, 19.30 Uhr; www.bregenzerfestspiele.com)
Zusammenfassung
- Andreas Kriegenburgs Dramatisierung von Heinrich von Kleists Novelle wurde am Freitagabend im Bregenzer Theater am Kornmarkt am Ende lange und herzlich akklamiert.
- Von vielfacher Brandschatzung und manchem Gemetzel ist die Rede, und sogleich denkt man an ähnliche Szenen in Schillers "Die Räuber".
- Mit der Uraufführung von "Lohn der Nacht" von Bernhard Studlar haben die Bregenzer Festspiele heuer aber noch eine zweite Theaterproduktion im Angebot.