"Schweigen aufhören"
Wie Wien die Proteste in Serbien unterstützt
1. Februar, 11:52 Uhr: Rund 1.000 Menschen versammeln sich in Wien, um ihre Solidarität mit den Studentenproteten in Serbien auszudrücken. Hunderte von ihnen tragen ein rotes Herz in ihren Händen. "Srce za studente" ("Ein Herz für die Studenten") ist auf ihren Plakaten zu lesen.
Protest gegen autoritäre Regierungsführung
Die Uhrzeit des Protests ist symbolisch gewählt: Am 1. November 2024 um 11:52 Uhr stürzte in der serbischen Stadt Novi Sad ein Bahnhofsvordach ein und tötete 15 Menschen. Seit dem finden in Serbien fast täglich Proteste statt, an über 60 Universitäten streiken Studierende und Dozenten. Das Unglück wurde für Regierungskritiker zum Symbol für Korruption und Behördenversagen.
Die Proteste gegen Korruption und die autoritäre Regierungsführung werden laut einer Umfrage der Belgrader NGO CRTA von 64 Prozent der Serb:innen unterstützt. Noch mehr - nämlich rund 80 Prozent - teilen die Forderungen der Protestbewegung. Ein Drittel der Befragten gab in der Erhebung an, schon mindestens einmal an einer Protestkundgebung teilgenommen zu haben.
Und die Solidaritätskundgebungen gehen auch im Ausland weiter, so auch in Österreich. Mit dabei ist auch immer Nikola Mihailović, einer der Organisatoren der Proteste in Wien.
Motivation: "Aufhören zu schweigen"
Die Motivation hinter den Protesten in Österreich? "Vor allem, dass wir aufhören zu schweigen", meint Mihailović im Gespräch mit PULS 24. In Serbien gebe es derzeit eine "große und ernsthafte Bewegung, die Verantwortung und Gerechtigkeit fordert". In Wien sei man der Ansicht, "dass sich auch die Diaspora unbedingt anschließen und die Studentenproteste und ihre Forderungen konkret unterstützen sollte".
Die Proteste in Wien beschreibt er als ruhig und familiär: Auf den Kundgebungen seien vor allem Familien mit Kindern. "Die Menschen haben einfach verstanden, dass wir keine andere Option haben als auf die Straße zu gehen und unsere Stimme zu erheben", so Mihailović. Dafür gewählt hat man den Ort, den man in Wien am passendsten empfunden habe: vor der serbischen Botschaft.
Seinen Ursprung finden die Proteste außerhalb Serbiens in der der Gruppe "SviĆe Dijaspora", einer Gruppe junger Menschen, die auch in Serbien seit Mai 2023 verschiedene kreative Aktionen des zivilen Ungehorsams organisiert.
Die ersten Kundgebungen wurden in Ljubljana, Paris und Brüssel organisiert - am 20. Dezember schloss sich auch Wien an. Seitdem fanden insgesamt fünf Proteste vor der serbischen Botschaft in Wien statt, auch Besucher:innen aus Brno und Bratislava waren dabei. Mit rund 1.000 Teilnehmer:innen erreichte die letzte am 1. Februar aber ihren Höhepunkt. Bei dieser Demo seien rund 2.400 Euro an Spenden gesammelt worden, die man an verschiedene in Serbien demonstrierende Universitäten übergeben will.
Keine Unterstützung von der serbischen Botschaft
Auf die Frage, ob es denn eine Reaktion aus der Botschaft gegeben hat, fängt Mihailović an zu lachen. In Bezug auf die Demos oder eine Unterstützung dafür nicht, meint er.
Nachdem aber einer der Botschafter als Reaktion auf die Proteste seine Unterstützung für Präsident Aleksandar Vučić ausgedrückt hat, rechne man auch nicht damit, dass der Botschafter für einen Dialog offen ist oder die Demonstrierenden auf irgendeine Weise unterstützen wird.
Entmutigt fühlen sich die Demonstrant:innen trotzdem nicht: Am 1. März werden sie sich wieder um 11:52 Uhr vor der serbischen Botschaft in Wien wiederfinden.
Wir haben keine andere Option als auf die Straße zu gehen und unsere Stimme zu erheben.
"Gute Energie und Freiheit"
Viele der Demonstrierenden aus Wien seien auch bei dem ein oder anderen Protest in Serbien dabei gewesen, glaubt Mihailović. So auch er selbst: Unter anderem war er bei der 24-stündigen Blockade der "Autokomanda", einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Belgrads, dabei. Die Atmosphäre dort beschreibt er als "ein unbeschreibliches Gefühl guter Energie und Freiheit". Einigkeit und der "Glaube an ein besseres Leben und Gemeinschaft" würden in der Luft liegen.
"Das ist im Grunde auch das, was wir aus Serbien machen wollen. Dass sich jeder auf der Straße sicher fühlt und dass es eine Gemeinschaft gibt, in der wir alle nach einem streben - nach Gerechtigkeit und Sicherheit in der Gesellschaft", so Mihailović.
Veränderung bitter notwendig
Dass die Proteste in Serbien eine Veränderung bringen werden, davon ist er überzeugt. Und diese sei auch bitter notwendig.
"Der Zustand in der Gesellschaft ist unerträglich und es besteht keine Möglichkeit, dass es so mit dieser Korruption weitergeht", meint Mihailović. "Unsere Leben sind in Gefahr."
"Wenn wir so weitermachen... die Straßen entlanglaufen und in den Himmel schauen, ob etwas auf uns drauf fallen wird, weil Bauarbeiten wegen korrupten Praktiken nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden, dann ist das kein Leben", betont er in Gedanken an das Unglück in Novi Sad.
Zusammenfassung
- Tausende Menschen, angeführt von Studierenden, protestieren in Serbien seit drei Monaten gegen Korruption und die autoritäre Regierung.
- Die Proteste reichen mittlerweile weit über die Grenzen Serbiens hinaus: Auch die serbische Community in Wien drückt ihre Unterstützung aus.
- Mit dabei ist auch immer Nikola Mihailović, einer der Organisatoren der Proteste in Wien.
- Die Motivation hinter den Protesten in Österreich? "Vor allem, dass wir aufhören zu schweigen", meint Mihailović im Gespräch mit PULS 24.
- Viele der Demonstrierenden aus Wien seien auch bei dem ein oder anderen Protest in Serbien dabei gewesen, glaubt Mihailović. So auch er selbst.
- Die Atmosphäre dort beschreibt er als "ein unbeschreibliches Gefühl guter Energie und Freiheit". "Das ist im Grunde auch das, was wir aus Serbien machen wollen", meint Mihailović.