"Kein Feuer kann brennen so heiß": Neuer Ingrid-Noll-Roman
Den engen zeitlichen Vorgaben der Altenpflege entronnen hat sie bei der halbseitig gelähmten Viktoria Alsfelder, Besitzerin des Hauses, ihren Traumjob gefunden. Die Pflegesituation mit ihren Pflichten für die Vollzeit-Betreuerin und ihren Einschränkungen für ihre Patientin bildet den Hintergrund des Romans der 85-jährigen Noll.
"Das Thema "häusliche Pflege" ist mir schon lange vertraut; meine Mutter wurde 106 Jahre alt und lebte seit ihrem 90. Lebensjahr bei uns im Haus", sagte Noll der Deutschen Presse-Agentur. Die letzten vier Jahre sei sie auf ambulante Pflege angewiesen gewesen, aber sie habe bei der Versorgung der Mutter auch selbst mit angepackt.
Wie in anderen Büchern Nolls ist die Hauptfigur eine eher unscheinbare Frau mit geringem Selbstwertgefühl, die seit ihrer Kindheit als Trampeltier gilt und bei intimen Beziehungen zu Männern eine Spätzünderin ist. Doch das Feuer wird entfacht: Boris, der singende Masseur ihrer Arbeitgeberin, macht ihr Avancen, denen die nach Anerkennung, Liebe und Sexualität dürstende Frau nicht widerstehen kann. Betört von seinem Charme lässt die bisher von Männern verschmähte Frau den Physiotherapeuten ihn ihr Leben und ihr Bett.
Seine heimlichen Besuche beendet er mit dem Volkslied: "Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß wie die Liebe von der niemand nichts weiß" - Verse, die die Schriftstellerin im Titel vorwegnimmt. Weitere flicht sie in den Text ein. Ihre Vorliebe für Gedichte geht bis in ihre Kindheit zurück: In China aufgewachsen besaß sie fast keine modernen Kinderbücher. Sie fand Ersatz: "In den Gedichtbänden meiner Eltern habe ich mit großer Freude vor allem Balladen gelesen, die mir bis heute noch sehr präsent sind."
Was Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über das Werk der "Grande Dame deutschen Krimis" sagt, gilt auch für die Neuerscheinung: "Greift man zu Ihren Büchern, so begegnen einem darin die großen Themen des Lebens: Liebe und Tod, Schuld und Sühne, Jugend und Alter."
Noll wäre nicht die Meisterin des unblutigen Kriminalromans, wenn die geheime Affäre Bestand hätte. Boris zeigt bald sein wahres Gesicht, wird übergriffig und anmaßend. Sein unverzeihlicher Fehler: Er attestiert Lorina Ungeschicklichkeit, die sie bereits überwunden zu haben glaubte. Ihre Achilles-Ferse. "Einmal Dabbes, immer Dabbes (umgangssprachlich Tollpatsch): Das Trauma meiner Kindheit meldet sich zurück." Weitere Beleidigungen wie "mannstolle Vettel" und das Eingeständnis einer Affäre mit einer Minderjährigen besiegeln das Schicksal des Machos. Gemäß dem Sprichwort "Rache ist Blutwurst" bestraft die Betrogene ihren Liebhaber - ohne zu ahnen, dass sie den zweifachen Familienvater nie mehr wiedersehen wird.
Vielschreiberin Noll versetzt sich in ihrem 16. Roman wie stets in die Psyche der Frau und urteilt nicht. Das bleibt dem Leser überlassen - der allerdings nicht viel Mitleid mit dem Schürzenjäger haben dürfte.
Für ihn ist mit einem Balladen deklamierenden Masseur schnell ein Nachfolger gefunden. Der schüchterne junge Mann, eine pfiffige Pudelhündin und ein zurückgelassenes Baby beleben die Villa. Doch die fröhliche Wohngemeinschaft ist dem cholerischen Großneffen der Hausherrin, genannt der Erbschleicher, ein Dorn im Auge. Wie sich dieses Problem löst, sei nicht verraten - nur so viel, dass auf die Pflegerin und die ihr anvertraute Patientin ein Happy End wartet.
Vielschreiberin Noll peilt schon wieder das nächste Projekt an. Als "Botschafterin Weinheims" wählt sie im nächsten Roman ganz explizit ihre Stadt als Ort des Geschehens. Ihre Hoffnung: Vielleicht wird es dann Touristen von nah und fern an die sonnige Bergstraße locken.
(S E R V I C E - Ingrid Noll: "Kein Feuer kann brennen so heiß", Diogenes, 294 Seiten, 24,70 Euro)
Zusammenfassung
- Es ist eine Art Kammerspiel, in das Ingrid Noll die Leser ihres neuen Romans "Kein Feuer kann brennen so heiß" entführt.
- Als Bühne hat sie eine wundervolle Villa mit Garten gewählt, ähnlich der, die sie selbst im baden-württembergischen Weinheim bewohnt.
- Dort lässt Noll, eine der erfolgreichsten deutschen Krimiautorinnen, ihre Figuren agieren.
- Als "Botschafterin Weinheims" wählt sie im nächsten Roman ganz explizit ihre Stadt als Ort des Geschehens.