Kalte Räume: Albertina zeigt Ausstellung von Ben Willikens
Als Kind musste Willikens das Bombardement Leipzigs miterleben und verbrachte nach Ende des Kriegs und der Flucht seiner Familie aus der Sowjetischen Besatzungszone einige Zeit in einem Flüchtlingsheim. Als 30-Jähriger begab er sich nach Panikattacken und Psychosen freiwillig in eine geschlossene psychiatrische Anstalt. "Dort erlebte er die Marginalisierung seiner Existenz, die Auflösung des Menschen", so Schröder. Aufenthalte in der "Camera silens", einem vollständig schallisolierten und abgedunkelten Raum, verstörten ihn nachhaltig. "Dass das in den Wahnsinn führt, ist leicht vorstellbar", sagte der Museumschef. Erst die Zuerkennung eines Künstlerstipendiums brachte die Wende, und schon wenige Jahre danach hatte Willikens in Tübingen seine erste Einzelausstellung.
Seine Erfahrungen hätten ihn auch als Künstler tief geprägt, sagte Willikens. "Ich habe mich früh entschlossen, den Menschen auszusparen. Seine Spuren haben mich aber immer interessiert." Diese führten "von der Hölle bis zum Himmel und wieder zurück", "von der Folterkammer zur Kathedrale und wieder zurück". Als "Chronist der Anonymität" habe er sich Räumen und Architekturen zugewandt. Der Mensch sei als Bezug dabei jedoch immer spürbar, führte Schröder aus: "Es genügt eine Tür, einen Sessel oder einen Schlüsselbund zu malen, um etwas über den Menschen auszusagen."
Die gezeigten Werke sind zwischen 1971 und 2021 entstanden. Ein Schwerpunkt bilden die Anstaltsbilder der 1970er-Jahre, in denen er - vor allem als Stipendiat in Florenz und Rom - in bedrückenden Acrylbildern und "kalter Sachlichkeit" (Schröder) Details von Räumen und Gegenständen der Anstalt festhielt. Das "Letzte Abendmahl" war ein Motiv, das Willikens ebenfalls mehrere Jahre lang beschäftigte - für Raumtableaus ohne Akteure. "Gegenräume" sind Räume ohne reale Vorbilder, "Räume der Moderne" das "Gegengift" (so Kuratorin Constanze Malissa) zu den "monochromen Allegorien der Tyrannei": In seinen Bildern der Villa Tugendhat oder des Studios Mondrian bringen Luftigkeit und Farbe Momente einer "Utopie der Freiheit".
Zentral ist aber die jüngst entstandene Serie "ORTE 2", darunter zwei Großformate, die der Albertina jüngst von dem deutschen Industriellen und Kunstsammler Siegfried Weishaupt geschenkt wurden: "Raum 1614" zeigt den Panoramablick von Hitlers Berghof am Obersalzberg auf die umliegende Gebirgslandschaft, "Room 1475" das vom Künstler imaginierte Labor Josef Mengeles in Auschwitz. "Dass es Auschwitz gab, lässt mich an der Möglichkeit einer humanen Zivilisation zweifeln", sagte Willikens. Und Schröder: "Wer hier nicht friert und gleichzeitig vor dieser Schönheit in die Knie geht, hat keinen Zugang zu dem, was Menschsein auch ausmacht."
Ergänzt und erweitert werden die Werke von Ben Willikens durch drei Künstler aus der Sammlung, die ähnliche Themen behandelt oder ähnliche Techniken verwendet haben: Robert Longo, Eduard Angeli und Gottfried Helnwein. Und so begegnet man am anderen Ende der Raumfolge wieder der NS-Herrschaft. Eines der Bilder aus Helnweins "Epiphany"-Serie zeigt NS-Offiziere in einer grausigen Variation auf das "Maria mit dem Kinde"-Thema. Unweigerlich denkt man: Dann bitte lieber ohne Menschen!
(S E R V I C E - "Ben Willikens. Kälte - Räume", Ausstellung in der Albertina, 4. März bis 1. Mai, tgl. 10 bis 18 Uhr, Mittwoch und Freitag bis 21 Uhr. Katalog: 24,90 Euro, www.albertina.at)
Zusammenfassung
- Für Direktor Klaus Albrecht Schröder ist es "eine der schrecklichsten, eine der schönsten, mit Sicherheit aber eine der wichtigsten Ausstellungen in der Geschichte der Albertina": Morgen, Freitag, eröffnet "Ben Willikens: Kälte - Räume".
- Als Kind musste Willikens das Bombardement Leipzigs miterleben und verbrachte nach Ende des Kriegs und der Flucht seiner Familie aus der Sowjetischen Besatzungszone einige Zeit in einem Flüchtlingsheim.