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Im düsteren Nebel: Rasches "Iphigenie" im Akademietheater

Ein riesiges, sich unablässig drehendes Scheibenpodest, eine durch den Raum schwebende Neon-Säule und sehr viel Nebel: Die Welt, in die Ulrich Rasche seine "Iphigenie auf Tauris" setzt, ist düster - und ganz einer Insel entsprechend - isoliert. Rasches großes Maschinentheater, wie man es aus den "Bakchen" von 2019 kennt, ist am Freitag im Akademietheater einer radikalen Reduktion gewichen, in der allein die Sprache im Fokus steht. Eine zweieinhalbstündige Konzentrationsübung.

Er sehe sich immer noch als Aufklärer, hatte der deutsche Regisseur im Vorfeld im APA-Interview erklärt. Auch wenn das 1779 entstandene Goethe-Drama seine Längen habe, sei gerade der aus dem Humanismus stammende Aufruf zu gewaltfreier Kommunikation, wie sie Iphigenie vollführt, "angesichts der Gleichgültigkeit und Verrohung" in der gegenwärtigen Gesellschaft ein schlagender Grund, das Stück zu zeigen. Um das gewaltvolle Drängen der männlichen Figuren, die alle mit dem Ziel, nur ihre eigenen Vorteile zu sichern, auf Iphigenie einreden, zu verdeutlichen, hat Rasche die Männeranzahl in seiner Inszenierung verdoppelt. Und so steht eine überlegene, sich aber im Laufe der pausenlosen Inszenierung kaum entwickelnde Julia Windischbauer bis zu acht Männern gegenüber, die sie auf der Drehbühne wahlweise im rhythmischen Gleichschritt der bedrohlich-düsteren Live-Musik verfolgen oder sich ihr aber in den Weg stellen. Ein ständiges Spiel mit Nähe und Distanz, das bisweilen eine große Kraft entwickelt.

Während Windischbauer im eng anliegenden, hoch geschlossenen weißen Kleid quasi als Lichtgestalt ihre Einsamkeit auf Tauris beklagt und sich nach ihrer Familie sehnt, schleichen sich Daniel Jesch als fordernder König Thoas und seine Mannen in schwarzen Netzoberteilen und Röcken werbend an sie heran, um sie zu einer Heirat zu überreden. Doch als Iphigenies Bruder Orest (hervorragend: Ole Lagerpusch) und seine Gefolgschaft (angeführt von Maximilian Pulst als Pylades) auftauchen, um dem Orakelspruch folgend das Bildnis der Göttin Diana zu rauben, erfährt Iphigenie vom Fall Trojas und der familiären Tragödie in ihrer Heimat. Sobald die Geschwister Iphigenie und Orest einander zu erkennen geben, steht allein die Flucht aus Tauris im Zentrum, die Iphigenie schließlich mit der für Rasche so schlagenden offenen Kommunikation mit Thoas erreicht.

Doch an diesem späten Höhepunkt hat das Publikum schon einiges an Aufmerksamkeit eingebüßt, hüllt doch die in Nebel getauchte Dunkelheit das Geschehen weitgehend ein. Der unablässig fließende Blankvers, der von Windischbauer bisweilen überartikuliert wird, macht es in Kombination mit der gleichmäßigen Bewegung auf der Drehbühne auf Dauer zur Herausforderung, der Handlung noch zu folgen (so man sie nicht in groben Zügen im Gedächtnis parat hat). Als großer Lichtblick dieser streng durchkomponierten Inszenierung entpuppt sich Lagerpusch, der als von Krieg und Muttermord gebrochener Mann in an Egon Schiele gemahnenden Verrenkungen der Gliedmaßen mit nacktem Oberkörper zur tragischen Figur wird. Er ist es, der sprachlich ausbrechen darf, der mit Verlangsamungen und gedehnten Pausen den dahinplätschernden Text aufbrechen darf und Windischbauer bisweilen die Show stiehlt.

Ob diese "Iphigenie auf Tauris" tatsächlich dazu taugt, dem Publikum in unserer Welt der verhärteten Meinungen und Weltanschauungen den Spiegel vorzuhalten und das Miteinander-Reden als erstrebenswerte Lösung zu verankern, bleibt aufgrund der strengen Intellektualität des Abends fraglich. Einmal mehr verlangt Rasche seinen sich ständig in Bewegung befindlichen Schauspielern körperlich alles ab, das artifizielle Setting lässt den Funken jedoch allzu selten ins Publikum überspringen. Entsprechend verhalten fiel der Applaus für die Regie aus, während das Ensemble für seinen Marathon gewürdigt wurde. Oder wie es eine Besucherin formulierte: "Ihre täglichen 10.000 Schritte haben sie damit sicher."

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Iphigenie auf Tauris" von Johann Wolfgang von Goethe im Akademietheater. Regie und Bühne: Ulrich Rasche, Kostüme: Sara Schwartz. Musik: Nico Van Wersch. Mit u.a. Julia Windischbauer, Daniel Jesch, Ole Lagerpusch, Maximilian Pulst und Enno Trebs. Weitere Termine: 25. und 29. Februar sowie am 10. und 23. März. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • 'Iphigenie auf Tauris' im Akademietheater, inszeniert von Ulrich Rasche, hebt sich durch ein drehendes Scheibenpodest und viel Nebel hervor; die Sprache steht im Mittelpunkt der zweieinhalbstündigen Aufführung.
  • Julia Windischbauer als Iphigenie und eine verdoppelte Anzahl männlicher Figuren betonen das Thema gewaltfreier Kommunikation, während Ole Lagerpusch als Orest sprachlich glänzt.
  • Das Publikum zeigte sich geteilter Meinung, mit verhaltenem Applaus für die Regie und Anerkennung für das Schauspielensemble; weitere Vorstellungen finden am 25. und 29. Februar sowie am 10. und 23. März statt.