"Hin & weg"-Theaterfestival in Litschau mit Babymammut
Es dürfen wieder Scherze gemacht werden. Auch, wenn es absichtlich schlechte Scherze sind. Mit "The Deadpan Dynamites - The Art of the Gag" der Gruppe Toxic Dreams eröffnete am Freitagabend das Theaterfestival "Hin & weg" im Herrenseetheater in Litschau. Und statt eines Babyelefanten gesellte sich ein Babymammut zu den beiden traurigen Komikern Yosi Wanunu und Roland Rauschmeier auf der Bühne.
Impresario Zeno Stanek hat schon mit der Corona-bedingt adaptierten Ausgabe seines Schrammel.Klang.Festivals bewiesen, dass sich auch unter den Bedingungen der neuen Normalität außergewöhnliche Kulturereignisse auf die Beine stellen lassen. Und auch für seine bis 16. August dauernden "Tage für zeitgenössische Theaterunterhaltung" gilt nun: Abstand halten, Kontaktdaten hinterlassen, Körperkontakt vermeiden. "Wir verarmen ohne Umarmen", proklamierte Stanek zwar in seiner Eröffnungsrede, in der er zumindest verbal alle Distanziertheit aufgab ("Seid umschlungen!") und die Partnerschaft zwischen Akteuren und Publikum beschwor: "Wir brauchen Sie und Sie brauchen uns!"
Die (neben Stanek und dem für das Musikprogramm zuständigen Ernst Molden) künstlerische Co-Leiterin Katharina Stemberger versuchte, mit einer kurzen Lesung eines Textes des aus politischen Gründen zu lebenslanger Haft verurteilten türkischen Autors Ahmet Altan, die "Verhältnismäßigkeit" zurechtzurücken: Wer angesichts der Corona-Pandemie hierzulande in Panik und Kopflosigkeit verfallen sei, möge sich wirklich schlimme Schicksale vor Augen führen. Im Übrigen gelte: Nur gemeinsam und nur mit Mut, Zuversicht und Courage käme man aus dieser Krise wieder heraus.
Mit seinen zahllosen ungewöhnlichen Schauplätzen - von den Naturbühnen am Herrensee über Stadl und Fabriken bis zu Wohnzimmern ortsansässiger Familien -, an die 140 Veranstaltungen und zahlreichen Workshops fühlt sich die dritte Auflage des Festivals gar nicht viel anders an als die Vorläufer. Doch etwas abseits des Trubels stehen kreisförmig gruppiert fünf Boxen mit je einer Glasfront. Hier haben fünf Mitglieder der Gruppe kollekTief (Alina Schaller, Anna Marboe, AntoN Widauer, Felix Kammerer und Tilman Tuppy) am 1. August Quartier bezogen und leben, schlafen, essen und arbeiten öffentlich, aber ohne hautnahen Kontakt zu einander und zum Publikum.
"Bitte nicht berühren" nennt sich das Isolationsprojekt, das von einem strikten Zeitplan strukturiert wird, der vom Weckruf um 9 Uhr bis zu abendlichen gemeinsamen "Ritualen" und Performances reicht. In den Boxen, die in ihrer Größe, aber auch in ihren Einrichtungen spartanischen "Tiny Houses" gleichen, erleichtern Mikrofone die Kommunikation untereinander und mit dem Publikum, und eine Performerin hat bereits eine Möglichkeit gefunden, in dieser Zoo-Situation doch Privatheit herzustellen: Sie hat die Glasfront von innen mit A4-Seiten beklebt, um sich zumindest vorübergehend vor Blicken zu schützen. Nach zwei Wochen soll das Projekt in eine Abschlussperformance münden.
Bis dahin gibt es noch zahllose Gespräche (morgens in der "Teelöffel-Lounge", abends rund um den Feuerkorb), szenische Lesungen, Gastspiele, einen der niederösterreichischen Autorin Magda Woitzuck gewidmeten Hörspiel-Schwerpunkt, Konzerte, Workshops und sogar Yoga-Sessions. Vor allem aber gibt es eine einzigartige Stimmung.
Als etwa am Eröffnungsabend Hamlet und die dem Wasser entsteigende Ophelia in der Uraufführung "Hamlet muss weg", einer Shakespeare- und Heiner-Müller-Paraphrase von Thyl Hanscho, über die Schlechtigkeit der Welt und die verdammungswürdige Herrschaft des alten, weißen Mannes räsonieren und Ophelia, nachdem sie großformatige Fotos von Männer-Monstern wie Wolfgang Prikopil, Harvey Weinstein oder Donald Trump traktiert hat, die Zuschauer zu einer kleinen Wanderung lädt, dann ist man für Momente tatsächlich "hin und weg". Vor einem die verzweifelte Ophelia, neben einem das Geplätscher des nächtlichen Sees, über einem der herrliche Waldviertler Sternenhimmel und aus der Ferne die Sounds der Wiener Gruppe Kahlenberg, die im Herrenseetheater soeben ihr Konzert begonnen hat: Das gibt es nur in Litschau.
Zusammenfassung
- "Wir verarmen ohne Umarmen", proklamierte Stanek zwar in seiner Eröffnungsrede, in der er zumindest verbal alle Distanziertheit aufgab
- und die Partnerschaft zwischen Akteuren und Publikum beschwor: "Wir brauchen Sie und Sie brauchen uns!"
- "Bitte nicht berühren" nennt sich das Isolationsprojekt, das von einem strikten Zeitplan strukturiert wird, der vom Weckruf um 9 Uhr bis zu abendlichen gemeinsamen "Ritualen" und Performances reicht.