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"Woher wir kommen": Herkunftsgeschichten im Literaturmuseum

Heute, 11:24 · Lesedauer 4 min

Herkunftsgeschichten aus der österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts bis hinauf in die Gegenwart erzählt das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek ab Donnerstag in einer neuen Sonderausstellung. "Woher wir kommen. Literatur und Herkunft" punktet dabei mit einer Vielzahl unterschiedlichster Objekte - vom Dreschflegel bis zum Kinderfoto, von der Puppe bis zum Teelöffel. Und natürlich gibt es jede Menge Manuskripte und Bücher zu sehen.

"Literatur hat immer auch Herkunftsgeschichte erzählt", sagte Literaturmuseumsleiter Bernhard Fetz am Mittwoch bei der Presseführung. Eine neue thematische Welle sei in Folge der "autosoziobiografischen" Bücher von Annie Ernaux, Didier Eribon und Edouard Louis auch im deutschsprachigen Raum zu bemerken. Großformatige Familienfotos und Super-8-Aufnahmen von Ernaux sind in der wie immer hervorragend in die historischen Bücherregale eingepassten Ausstellung sehr präsent.

Die nicht nur aus eigenen Beständen bestrittene und bis 15. Februar 2026 laufende Schau beschränkt sich nicht nur auf österreichische Literatur, sondern weitet - etwa mit dem deutsch-bosnische Autor Saša Stanišic, der Kanadierin Sandy Middleton oder dem Deutschen Christian Baron - mehrmals auch den Horizont. Zu Recht, denn nicht nur in der Literatur werden immer wieder Grenzen überschritten. Migrantische Biografien seien ebenso präsent wie Mehrsprachigkeit, hob Kuratorin Kerstin Putz hervor. So empfängt der Ausstellungstitel zu Beginn des Rundgangs in den 15 in Wiener Schulen am häufigsten gesprochenen Sprachen.

Die zusammengestellte "Galerie der Dinge" sei "in doppelter Hinsicht Herzstück der Ausstellung", sagte Kurator Cornelius Mitterer und meinte dies räumlich wie thematisch. Man sei berührt gewesen "vom beträchtlichen ideellen Wert" der von zehn Autorinnen und Autoren erbetenen Leihgaben, in denen sich exemplarisch Herkunft materialisiere. Von der seit 2012 in Graz lebenden Autorin Nava Ebrahimi sind ihr iranischer wie ihr EU-Pass zu sehen, von dem 1976 nach Wien gekommenen Radek Knapp ein Tennisschläger ("Mein Lieblingsautor ist Rafael Nadal.") und von der seit 2006 in Wien lebenden Barbi Marković ein Krokodil-Medaillon, das auch Eingang in ihr Buch "Die verschissene Zeit" gefunden hat. Die Geschichten, die diese Objekte erzählen, sind nicht nur im begleitenden Katalog, sondern auch in einem aufgelegten mehrsprachigen Reader nachzulesen. Da erfährt man etwa zu einem Gemälde des Vaters der in Südkorea geborenen und seit 1984 in Wien lebenden Anna Kim, wie heute ihre Antwort auf die ihr häufig gestellte Frage "Woher kommst du?" lautet: "Aus einer Künstlerfamilie ..."

Jagdhut mit Gamsbart und Partisanen-Abzeichen

Aufwachsen, Aufbrechen, Zurückkehren, Erinnern und Erfinden lauten die fünf Kapitel, um die sich unzählige Lebensdokumente, Film- und Tonbeispiele und Erinnerungsstücke gruppieren. Nahezu die gesamte Riege der jüngeren österreichischen Literatur scheint hier vertreten. Man findet die Koffer, mit denen Theodor Kramer ins Exil ging, ebenso wie Polaroids von Peter Handke. Die durch berühmte Bücher von Arno Geiger und Monika Helfer bekannt gewordenen Familien sind mit Fotos vertreten, an die Mutter von Florjan Lipuš wird ebenso erinnert wie an den Vater von Maja Haderlap - von Letzterem findet sich ein Jagdhut mit Gamsbart und Abzeichen slowenischer Partisanen.

"Der autobiografische Pakt" (Philippe Lejeune) funktioniert nicht nur zwischen Autoren und Lesern, sondern auch beim Durchwandern der Ausstellung, die vom urbanen wie ländlichen Aufwachsen ebenso erzählt wie vom gelungenen Aufstieg. Der älteste Text der Schau stammt aus 1909, geschrieben von der im proletarischen Milieu aufgewachsenen Adelheid Popp, die zehn Jahre später als erste Frau im österreichischen Parlament sprach. Die Aufsteigergeschichten von Franz Innerhofer und Gernot Wolfgruber sind ebenso vertreten wie die Selbstzeugnisse von Christine Lavant. Und auch erfundene Biografien gibt es, besonders pointiert etwa von H.C. Artmann, der "eine ganze Menge von poetischen Herkunftsgeschichten aus dem Hut gezaubert hat", wie es Bernhard Fetz ausdrückte.

"Herkunfts-Werkstatt"

"Die Ausstellung lädt auch dazu ein, sich mit der eigenen Herkunft auseinanderzusetzen", hob ÖNB-Generaldirektorin Johanna Rachinger hervor. Fragen wie "Wo sind wir zuhause?", "Welche Sprachen sprechen wir?" oder "Was wissen wir über unsere Familiengeschichte?" können im Rahmen von interaktiven Rundgängen bearbeitet werden, in einer "Herkunfts-Werkstatt" lassen sich spielerisch neue Herkünfte erfinden und Foto-Collagen herstellen.

(S E R V I C E - "Woher wir kommen. Literatur und Herkunft", Sonderausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien 1, Johannesgasse 6, 24. April 2025 bis 15. Februar 2026, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr; Ausstellungskatalog erschienen als Band 32 der Reihe "Profile", hg. von Cornelius Mitterer und Kerstin Putz, Zsolnay Verlag, 29,90 Euro, https://www.onb.ac.at)

Zusammenfassung
  • Das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek zeigt ab Donnerstag eine Sonderausstellung über Herkunftsgeschichten in der Literatur, die bis zum 15. Februar 2026 läuft.
  • Es werden Werke von internationalen Autoren wie Saša Stanišic und Sandy Middleton präsentiert, die den Trend zu autosoziobiografischen Büchern widerspiegeln.
  • Besucher können in der 'Herkunfts-Werkstatt' interaktiv ihre eigene Herkunft erkunden; der Ausstellungskatalog ist für 29,90 Euro erhältlich.