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Filmemacher Saeivar: Tanz ist "die Waffe der Gen Z" im Iran

In "Shahed - The Witness" erzählt der iranische Regisseur Nader Saeivar die Geschichte einer Frau, die ihren Blick nicht abwendet. Die pensionierte Lehrerin Tarlan wird Zeugin eines Verbrechens im frauenverachtenden Regime des Iran und kämpft verbissen für Gerechtigkeit. Mit der APA sprach Saeivar, der seinen Film dieser Tage auf der Viennale präsentierte, über den Anstoß zu seinem Projekt, die Rolle des Tanzes im Widerstand und seine düstere Prognose für den Nahen Osten.

APA: Wie hat das Filmprojekt begonnen?

Nader Saeivar: Es gab einige Ereignisse, die mich in diese Richtung bewegt haben. Ganz speziell aber die Protestbewegung "Frau, Leben, Freiheit", die vor zwei Jahren begonnen hat (nach der Ermordung von Mahsa Amini, Anm.), die uns alle sehr beschäftigt hat. Ich wollte unbedingt darauf reagieren. Und als Regisseur ist meine einzige Möglichkeit zur Reaktion, einen Film zu machen.

APA: Im Abspann zeigen Sie Aufnahmen von tanzenden Frauen in den Straßen, aber auch Sequenzen, die die Polizeibrutalität gegen die Protestierenden im Iran dokumentieren. Wie beurteilen Sie die Situation aktuell?

Saeivar: Ich möchte das metaphorisch beschreiben: Stellen Sie sich ein Ehepaar vor, das sich schon die längste Zeit verachtet und hasst, aber aus verschiedenen Gründen gezwungen ist, trotzdem gemeinsam in einem Haus zu leben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eines Nachts entweder der Mann die Frau oder die Frau den Mann im Schlaf ermordet. Wer wen umbringt, ist offen. So ähnlich sehe ich die Situation im Moment in meinem Land. Die Regierung ist sozusagen der Mann, der die ganze Macht und Kontrolle in der Hand hat, wodurch Druck auf die Frau ausgeübt wird. Sie lässt sich das wiederum gefallen, weil sie keine andere Möglichkeit zum Überleben sieht.

APA: Im Film steht die pensionierte Lehrerin Tarlan im Fokus, die politisch sehr engagiert ist und Zeugin des Mordes ihrer Ziehtochter wird. Wieso haben Sie ihre Perspektive gewählt?

Saeivar: Für mich ist die Berufsgruppe der Lehrenden eine sehr zuverlässige Erzählfigur. Einerseits haben sie durch ihren Beruf sehr viel Wissen, aber auch einen guten Überblick über die gesamte Gesellschaft. Wer in einer Firma oder einem Büro arbeitet, ist immer mit einer bestimmten Schicht konfrontiert. Die Lehrerinnen und Lehrer sind hingegen viel mehr in der Gesellschaft verankert. Das fand ich als Hauptfigur sehr interessant. Nicht nur die Generation Z, sondern auch insbesondere die pensionierten Lehrerinnen sind als Aktivistinnen sehr engagiert und kämpfen für ihre Rechte, ebenso die Gewerkschaft. Deren Mitglieder sind auch hohem Druck ausgesetzt und werden oft verfolgt. Das ist eine sehr kämpferische Berufsgruppe.

APA: Ein zentrales Gestaltungselement im Film ist der Tanz: Die Eröffnungssequenz zeigt eine beinahe idyllisch anmutende Probe mit mehreren Generationen von Frauen, während am Ende die Enkelin der Hauptfigur in die Straßen hinaus tanzt, was einen märchenhaften Charakter aufweist. Welche Funktion erfüllt der Tanz in Ihrem Film?

Saeivar: Tanz ist in den letzten zehn, zwölf Jahren zur Waffe der Gen Z geworden im Widerstand. Damals hat es angefangen, dass junge Frauen und Mädchen Videos von ihren Tänzen online über die Sozialen Medien geteilt haben. Das hat sich fortgesetzt und ist auch in die Protestbewegung eingeflossen, wo es ein zentrales Element wurde. Es ist also nicht meine persönliche Präferenz, es entspricht einfach der Realität der Ereignisse, der ich getreu werden wollte.

APA: Ist der Film auch ein Versuch zu zeigen, dass der Kampf für mehr Frauenrechte im Iran generationenverbindend wirkt?

Saeivar: Es gibt eine Sequenz, in der man Tarlan von oben sieht. Auf ihrem Schoß sitzt ihre Ziehtochter, ihre Verlängerung ist wiederum die Enkelin. Tarlan ist sozusagen der Baum, von dem die Zweige ausgehen. Sie ziehen all ihre Kraft und Energie vom Stamm. Es ist das Glück und Privileg der Jungen, dass die Frauen der Generation, die 1979 schon gekämpft und den Widerstand begonnen hat, immer noch leben und ihre Weisheit und Kraft weitergeben können. So kämpfen die Generationen Seite an Seite.

APA: Seit mehr als einem Jahr werden die Schlagzeilen von der zunehmenden Eskalation im Nahen Osten dominiert. Zuletzt haben sich auch die Spannungen zwischen dem Iran und Israel verschärft. Wie beurteilen Sie die Lage? Kann es mittelfristig zu einer Beruhigung oder gar Frieden kommen?

Saeivar: Dazu möchte ich ein polnisches Sprichwort zitieren: Wenn zwei Elefanten miteinander kämpfen, sind es die Grashalme, die dabei zertrampelt werden. Was hier stattfindet, ist meiner Meinung nach ein Machtspiel, das zwischen Putin und Biden begonnen hat. Mittlerweile ist auch China involviert. In diesem Gefüge ist der Iran zu einem Spielball geworden. Ich fürchte, die Kriege werden sich noch ausweiten. Mitunter auch deshalb, weil die Wirtschaft im Westen stark von diesen Konflikten profitiert. Die westlichen Mächte gießen weiter Öl ins Feuer. Zudem gibt es die inneren Konflikte in der Region. Gäbe es die Auseinandersetzung zwischen Israel, Palästina und dem Iran nicht, hätten wir in naher Zukunft wohl einen Krieg zwischen Schiiten und Sunniten. So gesehen glaube ich, dass es nur noch schlimmer und schlimmer wird. Der Nahe Osten ist wie ein riesengroßes Minenfeld, auf dem die zerstörerischsten Minen noch lange nicht explodiert sind.

(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)

(S E R V I C E - Ein Kinostart für "Shahed - The Witness" ist für 2025 geplant. www.viennale.at/de/film/shahed)

ribbon Zusammenfassung
  • Der iranische Filmemacher Nader Saeivar präsentiert mit 'Shahed - The Witness' einen Film, der von der Protestbewegung 'Frau, Leben, Freiheit' inspiriert wurde, die vor zwei Jahren nach der Ermordung von Mahsa Amini begann.
  • Im Fokus steht die pensionierte Lehrerin Tarlan, die als Zeugin eines Verbrechens im frauenverachtenden Regime des Iran für Gerechtigkeit kämpft.
  • Tanz wird im Film als Ausdrucksform und Widerstandsinstrument der Generation Z dargestellt, was die Realität der Protestbewegung widerspiegelt.
  • Saeivar sieht die politische Lage im Iran als instabil und vergleicht sie mit einem metaphorischen Kampf zwischen einem Ehepaar, das gezwungen ist, zusammenzuleben.
  • Eine düstere Prognose für den Nahen Osten wird gezeichnet, da Saeivar die Region als ein Minenfeld beschreibt, das von geopolitischen Spannungen geprägt ist.