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Fesselndes "TOXIC. Britney über Spears" in Bregenz

"TOXIC. Britney über Spears" lautet der Titel des neuen Stücks der Vorarlberger Autorin Daniela Egger. Was das Uraufführungspublikum am Samstag am Vorarlberger Landestheater bejubelte, ist viel mehr als die Biografie einer Pop-Ikone, es ist ein komplexes Werk über paternalistische Strukturen, eine fragwürdige Justiz, die Pop-Industrie und Medienethik. Regisseurin Agnes Kitzler braucht nur zwei Akteure, um die Themen fesselnd auf den Punkt zu bringen.

Um diesem Werk etwas abgewinnen zu können, muss man kein Fan der Musik von Britney Spears sein. Mit ihr in Berührung gekommen ist die ältere wie die jüngere Generation ebenso wie mit Medienberichten über das Privatleben der Künstlerin. Geboren 1981, aufgewachsen im US-Bundesstaat Louisiana und bereits als Teenager zum Weltstar geworden, verdiente sie zuweilen eine Million Dollar pro Woche, stand als erwachsene Person aber 13 Jahre lang unter der Vormundschaft des Vaters.

Daniela Egger legt den Fokus auf die Mechanismen, die abgelaufen sein müssen, wenn eine Frau entmündigt und rund um die Uhr überwacht wird, während sie sich weiterhin ein Millionenvermögen erarbeitet. Geschnappt haben es sich die eigenen Eltern, der Vater ihrer Kinder und skrupellose Anwälte, die auf der Basis fragwürdiger Gesetzeslagen aus Entmündigungen ein Geschäftsmodell entwickelten. "Ihr Umfeld ist in die Gier gekippt", bemerkte die Schriftstellerin dazu im Gespräch mit der APA, in dem sie auch ihre Berührtheit über die Umsetzung ihres Textes durch Regisseurin Agnes Kitzler zum Ausdruck brachte.

Kitzler folgt der Intention der Autorin insofern, als sie auch dann nicht ins nach Betroffenheit heischende Dokumentartheater abdriftet, wenn die Schauspielerin Maria Lisa Huber als Britney Spears konkret von tragischen Vorfällen erzählt. Etwa von der Beendigung einer Schwangerschaft, zu der sie ihr damaliger Partner, der Sänger Justin Timberlake, überreden konnte, vom Eindringen einer Polizeispezialeinheit in den Raum, in dem sie sich mit ihrem Sohn nach der kurzen Zeit, in der sie ihn bei sich haben durfte, eingeschlossen hatte, von der Einweisung in die Klinik in gefesseltem Zustand, von der Verabreichung von Medikamenten gegen ihren Willen, und von der Familie, die sie aussaugte.

"Die Vormundschaft meines Vaters zu akzeptieren, war der einzige Weg für mich, meine Kinder sehen zu können", lässt Daniela Egger sie sagen. Laszive Bewegungen verweisen nicht nur auf die Ästhetik ihrer Bühnenshows, sie schaffen Distanz und deuten auch auf einige Ambivalenz im Verhalten der Künstlerin. Auch auf die Tatsache, dass Britney Spears im rechtlichen Sinn Opfer wurde, dass das Ausmaß einer Opferrolle aber auch dem Projektionswillen des Publikums unterliegen kann. Das ist psychologisch im Text sowie von der Regie fein herausgearbeitet und wird von Maria Lisa Huber bestens vermittelt.

Dass die Schauspielerin musikalisch sehr versiert ist, lässt eine Umsetzung mit vielen Songs zu. Dabei nie ein Imitat abgeliefert zu haben, ist bewundernswert und gleichsam unterhaltend. Auch dieser Aspekt kommt bei aller Ernsthaftigkeit nicht zu kurz, und der zum wahren Multitalent gewordene Nurettin Kalfa macht in seinen vielen Rollen die Erbärmlichkeit, die Schamlosigkeit und die Niederträchtigkeit von überwiegend männlichen Personen im toxischen Umfeld der Pop-Ikone greifbar.

In der vorletzten Spielzeit wurde am Vorarlberger Landestheater zudem das Stück "Zwei Frauen, ein Leben" von Daniela Egger uraufgeführt. Erzählt wird von der Arbeit des aus der Türkei stammenden Lyrikers und Rundfunkredakteurs Kundeyt Şurdum. Für das weitere Auftragswerk "TOXIC. Britney über Spears" hat die Vorarlberger Autorin neben der Beschäftigung mit der Autobiografie von Britney Spears umfangreiche Recherchen angestellt.

Das Bühnenbild von Marina Deronja mit Ausstellungskojen unterstreicht ihre Auseinandersetzung mit den medialen Bildern und den Vorgaben der Pop-Industrie, denen Britney Spears zu entsprechen hatte. Die Figur eines Historikers, der vom Niedergang des Patriarchats spricht, dient der Einbettung der Handlung in gesellschaftliche Emanzipationsprozesse. Kampfbereit mit einem mythologischen Speer verlässt Maria Lisa Huber die Bühne, läuft hinaus in die Stadt. Sie trägt dabei nicht das Outfit aus dem titelgebenden Video zu "Toxic", sondern zu "I did it again", in dem sie sich selbstbewusst zeigt. Ein anregendes Bild zum Erwerb von Medienkompetenz Heranwachsender und ein guter Schluss eines starken Stücks.

(Von Christa Dietrich/APA)

(S E R V I C E - "TOXIC. Britney über Spears" von Daniela Egger. Inszenierung: Agnes Kitzler; Ausstattung: Marina Deronja; Mit Maria Lisa Huber, Nurettin Kalfa. Weitere Aufführungen am 21. Dezember, 3., 5., 10. und 12. Jänner in der Box am Vorarlberger Landestheater in Bregenz: www.landestheater.org)

ribbon Zusammenfassung
  • Das Theaterstück 'TOXIC. Britney über Spears' von Daniela Egger beleuchtet die Entmündigung und Überwachung der Pop-Ikone Britney Spears, die trotz Millioneneinnahmen 13 Jahre unter der Vormundschaft ihres Vaters stand.
  • Regisseurin Agnes Kitzler inszeniert das Werk mit nur zwei Schauspielern und vermeidet dabei Betroffenheitstheater, während Maria Lisa Huber die Ambivalenz von Spears' Opferrolle eindrucksvoll darstellt.
  • Das Bühnenbild von Marina Deronja thematisiert die mediale Darstellung von Britney Spears und reflektiert die patriarchalen Strukturen der Pop-Industrie.