APA/APA /Theater am Werk/Matthias Heschl

"Die Verlorenen": Wiener Theater am Werk gestartet

Es sind Unterprivilegierte, Strauchelnde, Unglückliche, die über die Bühne schlurfen, in Ecken kauern und vor sich hin starren. Sie könnten aus Gorkis "Nachtasyl" stammen oder aus Stücken von Gerhart Hauptmann - doch es sind "Die Verlorenen" von Ewald Palmetshofer. Mit ihnen hat am Donnerstagabend die neue Direktion des Werk X in Wien-Meidling begonnen, das nun "Theater am Werk" heißt. Ein zwiespältiger Auftakt zwischen großer Ambition und nicht ganz überzeugender Umsetzung.

Das 2019 am Münchner Residenztheater uraufgeführte Stück in Österreichischer Erstaufführung ins Kabelwerk zu bringen, ist ein ehrenwertes und begrüßenswertes Unterfangen, mit dem die neue künstlerische Leiterin Esther Holland-Merten ein Versäumnis der Großbühnen wettmacht. Palmetshofer gehört zu jenen österreichischen Dramatikern der jüngeren Generation, deren Werk hierzulande in jedem Fall zu pflegen ist. Das "Stück des Jahres 2020" ist in seiner harten Diskrepanz zwischen Sozialkritik und Sprachkunst jedoch kein einfaches Unterfangen.

Regisseurin Maria Sendlhofer straffte den Text, der bei der Uraufführung durch Nora Schlocker inklusive Pause zwei Stunden 40 Minuten dauerte, und kam gleich mit einer ganzen Stunde weniger aus. War in München ein beengender und beängstigender weißer Kunstraum Schauplatz für diese Sozialstudie, die die Probleme einer Patchwork-Familie mit dem renitenten halbwüchsigen Sohn ins Zentrum stellt und einige örtliche Outcasts als Randfiguren hinzufügt, setzt Ausstatterin Larissa Kramarek in Wien auf Realismus. Eine Sperrholz-Bühnenlandschaft bietet Wohn-Inseln in unterschiedlicher Höhe als Spielflächen, die mit einigen Möbeln und Requisiten charakterisiert werden.

Aus einer quälenden Studie des Stillstands, bei der familiäre und soziale Miseren Hand in Hand gehen, schält sich ein Familiendrama, das im intensiven Spiel durchaus unter die Haut geht. Jan Thümer und Suse Lichtenberger sind als Harald und Svenja ein neues Ehepaar, das mit Haralds Sohn Florentin (in seiner passiven Renitenz beeindruckend lebensecht: Johannes Brand) seine liebe Not hat. Birgit Stöger als Florentins Mutter hat mit sich selbst genügend Probleme und zieht sich in das leere Haus der Großmutter auf dem Land zurück, wo sie nicht lange allein bleibt, nicht nur, weil der junge Kevin (Thomas Kolle) hier offenbar aus und ein geht. Menschen mit Rollenbezeichnungen wie "Der alte Wolf" (Janusz Cichocki), "Die Frau mit dem krummen Rücken" (Johanna Orsini-Rosenberg) oder "Der Mann mit der Trichterbrust" (Thomas Frank) runden das Bild ab, das immer düsterer wird und im tiefen Schwarz endet.

Die Sprache Palmetshofers bleibt allerdings ein Fremdkörper. Nur in wenigen Momenten erhält die Sprechpartitur ein Eigenleben, treibt selbst die Dinge voran und verrückt sie ein wenig. "Es ist, als müsste man den Menschen beständig vor dem Tod erretten, aus dem Reich der Dinge, vor dem Zugriff der tödlichen Versachlichung, Verminderung und Profanisierung", hat der Autor seinem Stück mitgegeben. "Als müsste man für seine Unsterblichkeit kämpfen, mit Worten seine Auferstehung, seine Aufrichtung herbeireden." Das hat an diesem Abend, der am Ende herzlich akklamiert wurde, nicht funktioniert. Sprache und Sprecher - das kann ein Zwiespalt bleiben, in dem nicht nur "Die Verlorenen" verloren gehen können.

Schon am Freitag geht der Eröffnungsreigen im Theater am Werk weiter: Cosmea Spelleken zeigt in der umgebauten zweiten Spielstätte am Petersplatz ihre eigenwillige Shakespeare-Version "Romeo <3 Julia".

(S E R V I C E - Ewald Palmetshofer: "Die Verlorenen", Inszenierung: Maria Sendlhofer, Bühne und Kostüm: Larissa Kramarek, Choreographie: Olivia Hild, Musik und Sounddesign: Bernhard Eder. Österreichische Erstaufführung im Theater am Werk, Wien 12, Oswaldgasse 35A. Nächste Vorstellungen: 7., 9., 11., 15.10., Karten: 01 / 535 32 00, https://www.theater-am-werk.at/)

ribbon Zusammenfassung
  • Es sind Unterprivilegierte, Strauchelnde, Unglückliche, die über die Bühne schlurfen, in Ecken kauern und vor sich hin starren.
  • Sie könnten aus Gorkis "Nachtasyl" stammen oder aus Stücken von Gerhart Hauptmann - doch es sind "Die Verlorenen" von Ewald Palmetshofer.
  • Das hat an diesem Abend, der am Ende herzlich akklamiert wurde, nicht funktioniert.
  • Österreichische Erstaufführung im Theater am Werk, Wien 12, Oswaldgasse 35A.