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Deichkind luden in Wien zur kollektiven Eskalation

Es dürfte mittlerweile wohl jeder mitbekommen haben: Sind Deichkind in der Stadt, dann gibt es Krawall und Remmidemmi auf höchstem Niveau. Die Hamburger Band, die es sich zwischen Electro, Hip-Hop und Dadaismus bequem gemacht hat, funktioniert auch auf der aktuellen Tour zum Album "Neues vom Dauerzustand" wie eine gut geölte Partymaschine, die nichts aufhält. Davon konnten sich Mittwochabend 10.000 wild feiernde Fans in der Wiener Stadthalle überzeugen.

Es war gewissermaßen die Rückkehr der Eskalation. Nicht erst seit gestern gibt es bei Deichkind-Shows reichlich Bühnenaction, aufwendige Choreografien und massig Papierschlangen, die in die Menge geschleudert werden. Aber der Reihe nach. Zunächst wurde nämlich zurückgeblickt, und zwar aus der Sicht des Publikums. Verwackelte Handyaufnahmen von älteren Konzerten wurden kurz nach 20.00 Uhr auf jenen Vorhang projiziert, der immer wieder das kunterbunte Treiben verdecken sollte. Bei einer wilden Sause braucht es schließlich auch Verschnaufpausen.

Zunächst aber ging es mit Knallern wie "So 'ne Musik" oder "Geradeaus" ab durch die Mitte. Die Deichkinder ließen nichts anbrennen und motivierten, flankiert von den bereits bestens etablierten, sich quer über die Bühne bewegenden Säulen, die dicht gedrängten Reihen. Trotz Tourauftakt war von Anlaufschwierigkeiten kaum etwas zu merken, Schrittabfolgen und Gestaltungselemente griffen nahtlos ineinander. Die Frage "Wien, habt ihr ein bisschen Bock?" durfte als rhetorisch betrachtet werden. Die Antwort wussten die Beteiligten auf beiden Seiten des Bühnengrabens schon im Vorhinein.

Somit stand einer knapp zweistündigen Party mit nur wenig Tempozüglern nichts im Weg. "Die Welt ist fertig" konnte trotz eines Alters von acht Jahren als immer noch gültiger Kommentar zur Politikverdrossenheit gelesen werden, das neue "In der Natur" veranschaulichte auf schmerzliche Weise unser zwiespältiges Verhältnis zu Fauna und Flora. Was da draußen kreucht und fleucht will uns ja nur an den Kragen, oder? Also lieber Fake News und Verschwörungstheorien nachhängen, wie im großartigen "Wer sagt denn das?", bei dem die zuvor in bunten Farben gehaltene Deichkind-Welt in strenges Schwarz-weiß getaucht wurde.

Zu diesem Zeitpunkt war der Ritt auf einem luxuriös aussehenden mechanischen Bullen bereits absolviert. Wenn schon auszucken, dann mit Stil, dachte sich die Band wohl, die im Kern zwar eigentlich nur aus Philipp Grütering, Henning Besser und Sebastian Dürre besteht, live aber auf bis zu 20 Leute anwuchs. Sonst bekommt man eine "Bude voll People" eben auch nicht hin. Nach wie vor versteht es die Gruppe, simpel gehaltene, aber ungemein eingängige Electrosounds mit vielschichtigen Texten zu kombinieren, die in ihrer Parolenhaftigkeit schnell zu geflügelten Wörtern werden. Man denke nur an - klarerweise heftig akklamierte - Hits wie "Arbeit nervt".

Nun könnte man argumentieren, dass sich die aktuelle Show von Deichkind nur in kleinen Teilen von den zuletzt vorgelegten Auftritten unterscheidet. Tatsächlich waren bei vielen Stücken bekannte Inszenierungen auszumachen, von überdimensionalen Rucksäcken bis zum kollektiven Trampolinspringen. Aber wenn Akrobatik bei Helene Fischer funktioniert, wieso sollte eine gesellschaftskritische Partytruppe darauf verzichten? Eben. Mit solchen Leuten geht man gern ans "Limit" wie im gleichnamigen Song. Oder auch darüber hinaus.

Letztlich war dieser erste Deichkind-Abstecher der aktuellen Tour, die den bunten Tross in den kommenden Wochen quer durch Deutschland (und einmal in die Schweiz) führt, ein nostalgisch unterfütterter Abend, der in den richtigen Momenten mit dezenten Neuerungen aufwarten konnte. Denn man muss ganz ehrlich sagen: Auf "Remmidemmi" oder "Bück dich hoch" will man bei einem Deichkind-Konzert schließlich nicht verzichten, oder? Da kann das neue Material den Qualitätslevel hoch halten, wie es will. Insofern bleibt die Band selbst ihr bester Kritiker: Dieses Konzert war "leider geil".

(S E R V I C E - www.deichkind.de)

ribbon Zusammenfassung
  • Es dürfte mittlerweile wohl jeder mitbekommen haben: Sind Deichkind in der Stadt, dann gibt es Krawall und Remmidemmi auf höchstem Niveau.
  • Trotz Tourauftakt war von Anlaufschwierigkeiten kaum etwas zu merken, Schrittabfolgen und Gestaltungselemente griffen nahtlos ineinander.
  • Da kann das neue Material den Qualitätslevel hoch halten, wie es will.
  • Insofern bleibt die Band selbst ihr bester Kritiker: Dieses Konzert war "leider geil".