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Chemnitz erhofft sich als Kulturhauptstadt Imagegewinn

Industrialisierung, Zerstörung, plattenarchitektonische Auferstehung, Kunstmetropole: Chemnitz sei eine Stadt, "die sich schon oft neu erfunden hat", sagt Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD). Als Europäische Kulturhauptstadt 2025 erhofft sich die mit 250.000 Einwohnern drittgrößte sächsische Stadt einen nachhaltigen Imagegewinn. Chemnitz will mehr sein als Ort von Neonaziaufmärschen.

Am kommenden Samstag startet das Kulturhauptstadtjahr mit einem Straßenfest und einem Festakt, zu dem unter anderem Bundespräsident Frank Walter Steinmeier erwartet wird. "Chemnitz ist deutlich mehr als Nischel und Platte", sagt Schulze mit Blick auf die bekannteste Sehenswürdigkeit der Stadt, den überdimensionierten Karl-Marx-Kopf. Der Oberbürgermeister sieht das Kulturstadtjahr als "wunderbare Chance, denn verstecken müssen wir uns nicht".

Chemnitz, am Fuß des Erzgebirges gelegen, wurde über Jahrhunderte geprägt durch Textilproduktion und Maschinenbau. Die Industriestadt galt als das "sächsische Manchester". Der Automobilkonzern Auto-Union hatte hier seit 1936 seinen Sitz.

Die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg veränderten das Stadtbild nachhaltig. Das Zentrum und angrenzende Wohngebiete wurden weitgehend zerstört. Seit DDR-Zeiten prägten vor allem Plattenbauten das Bild von Karl-Marx-Stadt, wie Chemnitz von 1953 bis 1990 hieß. Die Wende mit dem Verlust Tausender Arbeitsplätze zwang die Stadt erneut zur Transformation.

Chemnitz will aus dem Schatten der anderen sächsischen Metropolen treten und dem Glanz und Gloria Dresdens sowie der Boomstadt Leipzig seine "Machermentalität" und Kreativität entgegensetzen. Unter dem Motto "C the Unseen" (Sieh das Unsichtbare) - mit 150 Projekten und mehr als tausend Veranstaltungen präsentiert sich Chemnitz im Kulturstadtjahr zusammen mit 38 Kommunen im Umland als "überraschender Ort im Osten Deutschlands". Gemeinsam mit Chemnitz sind Nova Gorica in Slowenien und das italienische Görz in diesem Jahr Kulturhauptstädte.

Chemnitz haderte lange mit seinem Image, dabei bietet die Stadt eine lebendige und beeindruckende Kulturszene. Dazu gehören nicht nur die Kunstsammlungen unter anderem mit Werken expressionistischer Künstler. Auch alte Industriebauten bieten Raum für Kreativität und Projekte - wie die zur Zentrale für Chemnitz 2025 umgebaute historische Hartmannfabrik.

Eine geplante Schau widmet sich dem norwegischen Maler Edvard Munch, der Purple Path im Umland präsentiert zeitgenössische Kunst, und das Projekt "3000 Garagen" befasst sich mit den tausenden zu DDR-Zeiten gebauten Garagen und ihren Geschichten. Als ein Schwerpunkt gilt die Europäische Werkstatt für Kultur und Demokratie, die mit vielen kleinen Projekten in das Programm einfließt - mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft zu stärken.

Nach der Entscheidung für Chemnitz als Kulturhauptstadt im Jahr 2020 sagte die damalige Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD): "Wir wollen zeigen, dass wir so viel mehr sind als die Bilder von Naziaufmärschen, die im August 2018 um die Welt gegangen sind."

Damals geriet die sächsische Stadt wegen ausländerfeindlicher Demonstrationen und gewalttätiger Ausschreitungen in die Schlagzeilen, nachdem dort am Rande des Stadtfests ein 35-jähriger Mann erstochen worden war. Ein Syrer wurde wegen der Tat zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Gewalttat hinterließ tiefe Wunden und einen Riss in der Stadtgesellschaft.

Als Kulturhauptstadt will Chemnitz die Menschen aus der "stillen Mitte" zurückgewinnen, die sich aus der politischen Debatte zurückzogen, und kulturelle Vielfalt sowie Weltoffenheit präsentieren.

Gleich zur Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres wird dies auf die Probe gestellt. Denn während ein Bühnenprogramm in der Innenstadt, der Festakt im Opernhaus und die Eröffnungsshow am Abend zehntausende Menschen in ihren Bann ziehen werden, will an diesem Tag auch die rechtsextremistische Partei Freie Sachsen aufmarschieren.

Für Oberbürgermeister Schulze ist es daher wichtig, "dass alle Chemnitzerinnen und Chemnitzer und unsere Gäste mit ihrer Anwesenheit am 18. Jänner in unserer Innenstadt zeigen können, was für eine wunderbare weltoffene, bunte und vielfältige Stadt Chemnitz ist".

(Von Andrea Hentschel/AFP)

ribbon Zusammenfassung
  • Chemnitz, mit 250.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Sachsens, wird 2025 Europäische Kulturhauptstadt und plant über 150 Projekte sowie mehr als tausend Veranstaltungen, um sein Image zu verbessern.
  • Das Kulturhauptstadtjahr startet mit einem Straßenfest und einem Festakt, an dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilnimmt, während gleichzeitig die rechtsextreme Partei Freie Sachsen einen Aufmarsch plant.
  • Unter dem Motto 'C the Unseen' möchte Chemnitz seine kulturelle Vielfalt zeigen und die 'stille Mitte' der Gesellschaft zurückgewinnen, während die Europäische Werkstatt für Kultur und Demokratie ein zentrales Element des Programms ist.