Antisemitismus-Eklat: Entschuldigung der Documenta-Kuratoren
Ein als antisemitisch eingestuftes Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi war nach wenigen Tagen auf der documenta abgebaut worden. Zuvor hatte es schon seit Monaten Antisemitismus-Vorwürfe gegen das kuratierende Kollektiv Ruangrupa aus Indonesien gegeben.
"Wie wir jetzt vollständig verstehen, knüpft diese Bildsprache nahtlos an die schrecklichste Episode der deutschen Geschichte an, in der jüdische Menschen in beispiellosem Ausmaß angegriffen und ermordet wurden", schrieb Ruangrupa weiter über das Werk auf der Website der documenta. "Wir nutzen diese Gelegenheit, um uns über die grausame Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus weiterzubilden und sind schockiert, dass diese Figur es in das fragliche Werk geschafft hat." Das kollektiv hergestellte Banner beziehe sich auf die "ungelöste dunkle Geschichte Indonesiens".
Das Kollektiv bedankte sich zudem für die "konstruktive Kritik und Solidarität", betonte aber auch, dass es sich von anderen nicht fair behandelt fühle: "Wir haben das Gefühl, dass viele der Anschuldigungen gegen uns erhoben wurden, ohne dass zuvor ein offener Austausch und gegenseitiges Lernen angestrebt wurde." Man wolle den "Dialog, mit denen, die uns ehrlich unterstützt haben, an uns geglaubt haben" fortführen. "Wir möchten auch weiterhin mit der Öffentlichkeit, Besuchern und lokalen Basisinitiativen, die unsere Arbeiten ansprechen, ins Gespräch kommen."
Die documenta gGmbH hatte zuvor bereits angekündigt, am kommenden Mittwoch den Dialog mit einem gemeinsam mit der Bildungsstätte Anne Frank ausgerichteten Podiumsgespräch aufzunehmen. Die Bildungsstätte werde zudem "einen Begegnungs- und Informationsstand auf dem Friedrichsplatz etablieren", an dem Besucher und Besucherinnen, aber auch Kunstschaffende in einen Dialog zu Fragen des Antisemitismus und Rassismus kommen könnten, hieß es am Donnerstag auf der Homepage der documenta fifteen.
Man lasse zudem die Ausstellung auf weitere kritische Werke hin begutachten. "Eindeutig antisemitische Darstellungen werden deinstalliert, bei strittigen Positionen eine angemessene Debatte geführt." Außerdem behalte sich die Gruppe das Recht vor, einzelne Künstlerinnen und Künstler auszuladen.
Zuvor hatte die deutsche Kulturministerin Claudia Roth Konsequenzen für die Struktur der Kunstausstellung gefordert. Im Kern will der Bund mehr Einfluss auf die documenta. In dem fünf Punkte umfassenden Plan geht es um Aufarbeitung und Konsequenzen. Grundtenor: Bei der documenta dürfe es "keinen Antisemitismus wie auch keinen Rassismus und keine Formen der Menschenfeindlichkeit geben".
Roth wird in dem Schreiben wie folgt zitiert: "Die Kunstfreiheit ist ein hohes Gut unserer demokratischen Gesellschaft, das ich immer verteidigen werde". Es gebe aber keine Kunstfreiheit ohne den Schutz der Menschenwürde. "Das ist die unverrückbare Grenze." Geschäftsführung und künstlerisches Kuratoren-Kollektiv hätten mehrfach versichert, es werde keinen Antisemitismus auf der documenta geben, kritisierte Roth. "Darauf habe ich vertraut. Dieses Vertrauen ist enttäuscht worden." Die Entfernung des antisemitischen Bildes könne nur ein erster Schritt sein. Weitere Schritte müssten folgen. "Zudem sind jetzt strukturelle Reformen notwendig, um die documenta für die Zukunft neu aufzustellen", so die Ministerin.
"Die documenta-Geschäftsführung wie das Kuratoren-Kollektiv müssen lückenlos aufklären, wie es dazu kommen konnte, dass ein eindeutig antisemitisches Bild überhaupt aufgehängt wurde", hieß es. "Zudem müssen sie sicherstellen, dass keine weiteren antisemitischen Werke auf der documenta ausgestellt werden." Dafür sollen nach dem Willen Roths wissenschaftliche Expertise hinzugezogen und vom Zentralrat der Juden vorgeschlagene Expertinnen und Experten "unbedingt" berücksichtigt werden.
"Die Verantwortlichkeiten zwischen vor allem der Geschäftsführung sowie den Kuratorinnen und Kuratoren sowie auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden und den Gremien müssen klar geklärt und es müssen daraus Konsequenzen gezogen werden", hieß es. Konkrete Rücktrittsforderungen werden nicht gestellt.
Künftig sollen Verantwortlichkeiten "klar abgegrenzt und vereinbart werden". Damit will Roth "die Freiheit der Kunst und des kuratorischen Handelns" sicherstellen und gleichzeitig Verantwortung eindeutig festschreiben. Der Rückzug des Bundes aus dem Aufsichtsrat 2018 bei gleichzeitigem Festhalten an der Bundesförderung wurde als "schwerer Fehler" bezeichnet. Das soll sich wieder ändern. "Eine finanzielle Förderung des Bundes soll deshalb zukünftig mit einer unmittelbaren Einbindung in die Strukturen der documenta zwingend verbunden werden."
Eine grundlegende Strukturreform der documenta sieht Roth als Voraussetzung für künftige Bundesförderung. Sie werde den bisherigen Gesellschaftern von Land Hessen und Stadt Kassel vorschlagen, sich auf eine andere Struktur zu verständigen.
"Es hat sich gezeigt, dass die bisher vor allem lokale Verantwortlichkeit der documenta in einem Missverhältnis steht zu deren Bedeutung als eine der weltweit wichtigsten Kunstausstellungen", heißt es im Plan von Roth. Künftig solle internationale Expertise und Pluralität der hiesigen Gesellschaft eingebunden werden. "Ziel muss sein, dass die nächste documenta wieder ein so inspirierender wie avantgardistischer Ort der zeitgenössischen Kunst in all ihren Dimensionen und Facetten sein kann."
Zusammenfassung
- Das kuratierende Kollektiv der documenta fifteen in Kassel hat sich in einer schriftlichen Stellungnahme für die antisemitischen Darstellungen auf der Weltkunstschau entschuldigt.
- "Wir haben alle darin versagt, in dem Werk die antisemitischen Figuren zu entdecken", schrieb Ruangrupa am Donnerstag.
- Man lasse zudem die Ausstellung auf weitere kritische Werke hin begutachten.
- Im Kern will der Bund mehr Einfluss auf die documenta.