Anri Sala macht Kunsthaus Bregenz zum Instrument
In der untersten Etage des KUB wartet die musikalische Wand "All of a Tremble (Conducted Lines)" auf Zuhörer. Eine Tapetendruckwalze, zum Spielautomaten umfunktioniert, macht die Unebenheiten der Betonwand hörbar, eine Reverenz auf das Material des Zumthor-Baus, der in der Sala-Schau von Tönen durchdrungen wird. Geradezu verlieren könnte man sich in der Arbeit "If and Only If" (2018). In der im KUB raumgreifend präsentierten Video-Arbeit, eine der bekanntesten Salas, geben zwei den Bratschenbogen hochkriechende Schnecken das Tempo von Strawinskys "Elegie für Viola solo" vor, eine poetische Auszeit von achteinhalb Minuten Länge. Die Erfassung und Eroberung der Welt untersucht der in Berlin lebende Sala in unbetitelten Tusche- und Rostzeichnungen von Ländern wie Kalifornien, Kuba oder Japan, die sich, den ihnen gegenübergestellten historischen Tierdarstellungen gleich, am Papier winden.
Eine scheinbar selbstspielende Trommel hängt in der 2021 entstandenen Arbeit "H(a)unted in the Doldrums" frei schwebend im Treppenhaus. Eine Stimme, deren Frequenzen über eingebaute Lautsprecher die Trommelstöcke in Bewegung setzen, lässt das hautbespannte Instrument ertönen. Sie verliest Namen von Menschen mit Albinismus, die in Tansania gejagt und Opfer von Verstümmelungen wurden. Eine eigentümliche Faszination auf den Betrachter übt die eigens für das KUB entworfene Arbeit "Day Still Night Again" aus, die die Betonwände über eine Mehrkanal-Projektion wie eine zweite Haut zum Leben erweckt, gekoppelt an die Klänge des Hauses. KUB-Direktor Thomas D. Trummer zeigte sich "sehr stolz" und sprach von einem "künstlerischen und ästhetischen Meisterwerk", das die Unverwechselbarkeit des KUB zeige.
Denn das Werk korrespondiert mit der 2021 entstandenen Video-Arbeit "Time No Longer" im darüberliegenden Geschoß. Am Screen schwebt dort ein alter Plattenspieler, wie vergessen, schwerelos in einer menschenleeren Raumstation. Am Plattenteller dreht sich während der Rotation um die Erde das "Quartett für das Ende der Zeit" von Olivier Messiaen (1940). Der Tonarm dirigiert sein eigenes Spiel, springt von einer Stelle zur anderen, ein geradezu dystopisches Bild. Musik ist bei dem in Paris ausgebildeten Sala nicht zur Unterhaltung, Stimmungserzeugung oder Untermalung da, sie ist vielmehr zentrale Majestät seiner Arbeiten. Das Hör- und Seh-Erleben sind existenzieller Teil der Werke bzw. erzeugen die Betrachter diese erst durch ihre Präsenz und Wahrnehmung. Salas Arbeiten stellen die Frage nach der Macht von Klängen, nach ihrer Fähigkeit zur Manipulation und wie sie Erinnerungen und Gefühle triggern.
Er fühle sich im Kunsthaus Bregenz intuitiv zu Hause, weil es für ihn im KUB um Erfahrungen, nicht um Diskurs, gehe, so der Künstler am Donnerstag bei der Presseführung. "Sie werden wiederkehrende Motive entdecken, Zeit, Weg und Bewegung, Tiere, Rotation", beschrieb KUB-Direktor Trummer die Schau. Ergänzt wird die technisch aufwendig produzierte KUB-Sommerausstellung von einer Kooperation mit den Bregenzer Festspielen, der für 19. Juli geplanten Uraufführung der Oper "Wind" des aus dem Bregenzerwald stammenden Alexander Moosbrugger. In diesem Werk spielen experimentell-musikalische Phänomene, beispielsweise von riesigen Orgelpfeifen erzeugt, ebenfalls eine Rolle.
(S E R V I C E - Ausstellung Anri Sala von 17. Juli bis 10. Oktober. Erweiterte Eröffnung am 16. Juli, 15.00 bis 20.00 Uhr; weitere Informationen unter www.kunsthaus-bregenz.at)
Zusammenfassung
- Ton, Bewegtbild und Architektur bilden bei Anri Sala eine Einheit.
- Mit einem Jahr Verspätung aufgrund der Pandemie zeigt der 1974 in Tirana geborene Künstler nun ab 17. Juli im Kunsthaus Bregenz seine Werke, die sich, zumeist in Videos, mit Klang-Phänomenen beschäftigen.
- Musikinstrumente werden bei ihm zu Akteuren, organische und anorganische Körper zu Instrumenten, die sich vom Klang durchdrungen verändern.