Amira Ben Saoud präsentiert ihren Debütroman "Schweben"
APA: Als Kulturjournalistin sind Sie damit konfrontiert, dass täglich Unmengen neuer Bücher erscheinen. Was hat Sie dazu gebracht, diesem stetig wachsenden Stapel ein eigenes hinzuzufügen? Wie viel Selbstbewusstsein braucht es dafür?
Amira Ben Saoud: Ich glaube, die wenigsten Menschen, die zu schreiben beginnen, denken an diesen Stapel, sondern sind schon eher von einem Thema, von einem inhaltlichen Interesse geleitet, das sie nicht loslässt. Man schreibt für sich, scheitert und zweifelt dabei die ganze Zeit - einen Boost fürs Selbstbewusstsein kann man anders sicher einfacher haben. Ein anderes Thema ist dann das Veröffentlichen. Aber auch da weiß ich nicht, ob Selbstbewusstsein das richtige Wort ist: Ich kenne wenige Autoren, Autorinnen, die jemals wirklich zufrieden sind, wenn sie ein Buch abgeben. Das Veröffentlichen scheint mir eher mit Überwindung zu tun zu haben als mit der Überzeugung, dass die Welt auf das eigene Buch gewartet hat. Die Hoffnung kann nur sein, eine Leserinnenschaft zu erreichen bzw. sich zu erschließen, der das, was man schreibt, etwas bedeutet.
APA: Die "Begegnungen", das Nachspielen fremder Personen, das Schlüpfen in andere Identitäten, erinnern an den soeben angelaufenen Kinofilm "Pfau - bin ich echt?" Liegt das Thema in der Luft?
Ben Saoud: Identität ist sicher einer der Begriffe der Stunde - ob man's jetzt politisch betrachtet, die ganzen Kämpfe, die um diesen Begriff im rechten und linken Lager ausgetragen werden, ob man es psychologisch betrachtet - Selbstfindung inklusive dem kapitalistischen Self-Care-Zweig -, oder unter dem Blickwinkel der rasanten technologischen Entwicklungen. Das wirft natürlich die Frage auf, was den Menschen eigentlich ausmacht. Wer sind wir? Wer bin ich? Welche Rolle spiele ich (noch)? Ich freue mich auf den Film, weil er das Thema satirisch angeht - sicher ein spannender Zugang.
Angst vor dem Kontrollverlust
APA: Die Übernahme fremder Eigenschaften, von der Stimme bis zum Aussehen, ist ja auch ein großes Aufgabengebiet der KI. Deep Fakes sind ebenso möglich wie künftiges "Kommunizieren" mit toten Personen. Hat das nur Schreckenspotenzial?
Ben Saoud: Ich bin keine Expertin, aber so wie ich es verstehe, handelt es sich zum jetzigen Zeitpunkt bei Künstlicher Intelligenz ja noch nicht um das, was wir unter echter Intelligenz verstehen, sondern um Datenverarbeitung und Aufbereitung. KI "weiß" und kann noch nichts, mit dem es Menschen nicht gefüttert haben. Das Schreckenspotenzial von KI kommt aus der großen Ungewissheit darüber, wann der Zeitpunkt der tatsächlichen Intelligenz kommen wird und was das dann für die Menschen bedeutet. Es gibt genug Leute, die bereits jetzt immer "bitte" und "danke" zu ChatGPT sagen, weil sie sich davon erhoffen, "verschont" zu werden, wenn "die KI" dann übernimmt. Natürlich passiert das gerade noch mit einem Augenzwinkern, aber die Angst vor diesem unvergleichbaren Kontrollverlust, Frankensteins Monster, ist sehr real. Und sollte es wirklich so kommen, sind Deep Fakes unser geringstes Problem.
APA: Ein anderer Schrecken, nämlich jener der Auswirkungen der Klimakrise, hat in "Schweben" bereits tiefe Veränderungen hinterlassen. Dort sieht das organisierte Zusammenleben der Menschen anders aus, nämlich lokal statt global. Wie ist dieser Motivstrang in das Buch gekommen?
Ben Saoud: Einerseits sicher unter dem Eindruck der Pandemie, in der ich das Buch zu schreiben angefangen habe: Diese gefühlte Eingeengtheit, die Reduktion auf ein paar soziale Kontakte ... Dann aus ganz praktischen Gründen: Ich wollte eine Gesellschaft ohne Internet, und das war eine Möglichkeit (von sicher unzähligen), das umzusetzen. Drittens, weil ich eine Gesellschaft darstellen wollte, die ganz anders organisiert ist, aber trotzdem unter Strukturen, zum Beispiel patriarchalen, leidet, die unserer sehr ähnlich sind.
"Die Klimakatastrophe ist bereits passiert"
APA: Was sind Ihre persönlichen Gedanken zur Klimakrise?
Ben Saoud: Es stört mich massiv, dass in unseren Breiten auf eine Weise davon gesprochen wird, als wäre diese Krise etwas, das "kommen wird", das man "aufhalten könnte". Natürlich bin ich auch der Meinung, dass jede erdenkliche Maßnahme getroffen werden sollte, um noch Schlimmeres zu verhindern, aber wir sollten bitte nicht vergessen, dass die Auswirkungen dieser Krise, eigentlich Katastrophe, das Leben so vieler Menschen bereits zerstört hat. Steigender Meeresspiegel und Inseln, die versinken, schmelzender Permafrost, Wüstenbildung ... Die Klimakatastrophe ist bereits passiert, sie passiert jeden einzelnen Tag.
"Den physikalischen Gesetzen nicht verpflichtet ..."
APA: Ihr Roman heißt nicht "Begegnungen", sondern "Schweben". Mit dieser Fähigkeit mancher Menschen, sich über die Dinge zu erheben, kommt eine Art magischer Realismus dazu. Was war der Reiz dabei?
Ben Saoud: Auf einer ganz persönlichen Ebene hat es mich nach zehn Jahren im faktenbasierten Journalismus einfach sehr gereizt, die Möglichkeiten der Fiktion auszuschöpfen, der Realität und ihren physikalischen Gesetzen nicht verpflichtet zu sein. Das Schweben ist im Kontext dieses, wie ich hoffe, sehr atmosphärischen Buchs, ein tolles "Werkzeug", weil sich so viele Gefühle damit verbinden lassen, wohlige Leichtigkeit auf der einen, Unsicherheit und den Boden unter den Füßen zu verlieren auf der anderen Seite.
APA: Und dann gibt es ja noch diese Psychothriller-Ebene, die direkte Konfrontation von Menschen, deren Pendel zwischen Jämmerlichkeit und Gewalttätigkeit ausschlagen kann. Ist diese - auch stilistische - Vielschichtigkeit etwas, was Sie als Autorin angestrebt haben?
Ben Saoud: Es geht auf allen Ebenen dieses Romans um Ungewissheit und um die Frage, wie man mit ihr umgeht - Jämmerlichkeit und Gewalttätigkeit sind da vielleicht nicht die besten, aber relativ bewährte Coping-Strategien.
APA: Haben Sie Blut geleckt und damit eine neue Karriere als Autorin begonnen - oder warten Sie erst mal die Reaktionen ab?
Ben Saoud: Sie meinen, ob ich die Flinte ins Korn werfe, wenn alle es verreißen? Nein. Ich habe lange damit gehadert, ob das der richtige Weg ist, aus ganz existenziellen Gründen: Man begibt sich ja freiwillig in eine prekäre Situation, in der man ziemlich auf sich allein gestellt ist. Umso wichtiger ist es, sich irgendwann als Autorin zu definieren und sich auch selbst in dieser Rolle ernstzunehmen - oder es zumindest zu versuchen.
(Die Fragen stellte Wolfgang Huber-Lang/APA)
ZUR PERSON: Amira Ben Saoud, geboren 1989 in Waidhofen/Thaya, studierte Klassische Philologie, Kunstgeschichte und Komparatistik in Wien. Sie war Chefredakteurin des Popkulturmagazins "The Gap" und Kulturredakteurin bei der Tageszeitung "Der Standard".
(S E R V I C E - Amira Ben Saoud: "Schweben", Zsolnay Verlag, 192 Seiten, 23,70 Euro, ISBN 978-3-552-07520-7, Buchpräsentation: Dienstag, 18.3., 18.30 Uhr, Wien Museum, Wien 4, Karlsplatz 8)
Zusammenfassung
- Amira Ben Saoud stellt am 18. März ihren Debütroman 'Schweben' im Wien Museum vor.
- Der Roman spielt in einer Zukunft, in der die Klimakatastrophe die Globalisierung beendet hat.
- Thematisch behandelt 'Schweben' das Schlüpfen in fremde Identitäten und die Gefahren der Künstlichen Intelligenz.
- Ben Saoud kritisiert die Vorstellung, dass die Klimakatastrophe noch verhindert werden könnte, und sieht sie als bereits geschehen.
- Der Roman kombiniert magischen Realismus mit Psychothriller-Elementen und wird im Zsolnay Verlag veröffentlicht.