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Ab ins "Schmusiversum": Schmusechor lädt zum Neujahrskonzert

Sie sind das, was man umwerfend nennen kann: Steht der Schmusechor in all seiner Pracht auf der Bühne, ist das ein popmusikalisches Fest für Aug' und Ohr. 2014 von Verena Giesinger gegründet, hat sich das Kollektiv einen festen Platz im heimischen Musikzirkus ersungen. Mit einem Livealbum ist Anfang Dezember der erste Tonträger erschienen. "Ein großer Meilenstein!", freute sich die Chorleiterin kurz vor dem Neujahrskonzert, das ihre Gruppe ins Wiener Volkstheater führen wird.

Angefangen hat alles vor zehn Jahren. "Es war gar kein bewusster Plan, sondern ist eher passiert", erinnerte sich Giesinger im APA-Gespräch. Sie war zu jener Zeit auf der Suche nach einem Chor, habe aber keinen gefunden, der wirklich gepasst hätte. "Dann habe ich mit ein paar Freund:innen vereinbart, dass wir uns im Schlafzimmer meiner WG in Meidling treffen und dort singen. Aus diesem Plan ist dann 'talk of town' geworden", lachte sie. Relativ bald sei das Schlafzimmer zu klein geworden, und mit der steigenden Kopfanzahl wuchsen die Ambitionen des Chors, der heute mehr als 45 Personen umfasst: "Es gab ein großes Interesse an einem neuen Chor, einem neuen Format."

Diesen Anspruch erfüllt der Schmusechor in jeglicher Hinsicht. Das beginnt schon beim Repertoire, zu dem große Popsongs wie Miley Cyrus' "Flowers" ebenso gehören wie das mitreißende "Dissolve Me" der Indie-Querdenker Alt-J, reicht über die ausgefallenen Kostüme und Bühnenchoreografien bis zur politischen Positionierung, die sich auch in einem queerfeministischen Neujahrskonzert im WUK ausdrückte. Am 3. und 4. Jänner gibt es davon ein Update, wenn der Chor im Volkstheater seine Stimmen erheben wird. Beide Auftritte, die man auch als Gegenentwurf zum immer noch männlich dominierten Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker begreift, sind bereits ausverkauft.

All das unterstreicht den Weg zur Professionalisierung, den der Schmusechor seit seiner Gründung durchlaufen ist. "Es war kein learning by doing, sondern eher doing by doing", schmunzelte Giesinger. "Der Schmusechor definiert sich in vielen Teilen dadurch, dass wir viel aus dem Gefühl heraus machen. Durch das Verbalisieren von großen Ideen entstehen plötzlich Dinge." Das Publikum habe "schneller verstanden, wie professionell wir eigentlich schon sind. Wir haben uns relativ lange als Hobbychor bezeichnet." In vielen Bereichen habe man "Pionier:innenarbeit" geleistet. "Wir tauchen in verschiedene Bühnen ein. Dieses Format gibt es eigentlich nicht, weshalb wir uns diese Strukturen ständig selber erfinden müssen."

Wie aber schaut der Alltag im Schmusechor aus? "Das kommt sehr aufs Projekt an", erzählte Marlene Stocker, die seit acht Jahren zum Kollektiv gehört. Bei so großen Vorhaben wie dem Neujahrskonzert "kann es schon vorkommen, dass man sich häufiger in der Woche trifft". Das umschließe neben dem Singen auch andere Bereiche wie Kostüme, Make-up oder Social Media, für die es eigene Teams innerhalb des Chors gibt. Diese seien immer wieder im Austausch mit Giesinger, die laut Stocker "den Überblick behält und alles koordiniert". Also kein kreatives Chaos, sondern viel Organisation. "Den Idealismus muss man irgendwann gehen lassen", nickte die Chorleiterin. "Lange hatte ich das Bedürfnis, daran festzuhalten, dass wir ohne Hierarchie und Struktur arbeiten können. Aber das geht bei der Größe irgendwann nicht mehr." Klare Rollen- und Entscheidungsverteilungen würden auch extrem entlasten, obgleich alle mitgenommen werden sollen. "Da einen zärtlichen Mittelweg zu finden, an dem reiben wir uns ständig", lachte Giesinger.

Für Neulinge könne der Chor durchaus "überwältigend" wirken, wie Jasemin Khaleli meinte, die vor etwas mehr als einem Jahr dazustieß. "Ich habe den Chor zwar gekannt, aber wusste nicht ganz genau, worauf ich mich einlasse." Schon der Bewerbungsprozess sei anders als üblich abgelaufen. "Das miteinander Musizieren war eine Station von zwei oder drei, die sozialen Faktoren haben viel Gewicht." Passt man dazu, teilt man die Werte, lässt man sich auf Kostümkonzepte ein und will man seine Komfortzone verlassen? "Ich fand das extrem erfrischend. Es hat mich sehr beflügelt, aber auch ein bisschen überfahren", gestand sie lachend. "So viele Menschen, so viel Expressivität, so viel Lachen. Es ist schon ein Prozess, da einen eigenen Platz zu finden." Der Chor sei letztlich wie "ein flexibles Organ, das sich immer wieder ummoduliert", warf Giesinger ein. "Ein Schmusiversum."

Der musikalische Ausdruck ist dabei nur ein Ziel von vielen, das erreicht werden soll. "Ich persönlich sehe die Chance, dass man hoffnungsvoll bleibt, dass man aktiv und in Bewegung bleibt", betonte Stocker. Die gesellschaftlichen Spannungen, die politische Lage sei überall spürbar. "Das betrifft uns alle." Der Schmusechor will aber auch aktiv werden. "Sich eben nicht alleine zuhause Gedanken machen, wie man mit der Welt gerade umgehen soll", sondern Situationen adressieren, mit denen man unzufrieden sei - wie dem stets männlich dirigierten Neujahrskonzert der Philharmoniker. "Es geht darum, dafür gemeinsam Ideen und Utopien zu kreieren", so die Sängerin, "und an diese auch zu glauben!" Schließlich könne man als Chor Personen erreichen, die möglicherweise eine Scheu vor gewissen Themen haben. "Manchmal wissen wir vielleicht gar nicht, welche Samen wir säen, aus denen irgendwann Blumen werden", ergänzte Giesinger. "Neben der Musik übertragen wir ganz viele Dinge, bewusst wie unbewusst. Einfach durch das, wer wir sind."

Die Konzerte sind jedenfalls Gemeinschaftserlebnisse. Entsprechend sei auch wichtig, "Vulnerabilität und Nähe" zuzulassen, erklärte Stocker. "Es ist eines der schönsten Gefühle, auf der Bühne zu stehen und zu wissen: Ich kann mich auf uns verlassen, ich vertraue auf uns." Das übertrage sich aufs Publikum. "Diese Schicht, mit der man sich im Alltag schützt, wird kurz ein wenig weicher, wodurch die Möglichkeit geschaffen wird, etwas zu verändern und zu wachsen." Insofern gelte es weiterhin, künstlerisch und musikalisch neue Ideen umzusetzen, betonten alle drei unisono. Und das Zehn-Jahres-Jubiläum wird kommendes Jahr auch noch (nach)gefeiert: "Wir erfüllen uns einen Traum und werden ein Schmusical machen", verriet Giesinger.

(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)

(S E R V I C E - www.schmusechor.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Der Schmusechor, 2014 von Verena Giesinger gegründet, hat sich in der österreichischen Musikszene etabliert und zählt über 45 Mitglieder.
  • Anfang Dezember veröffentlichte der Chor sein erstes Livealbum und wird am 3. und 4. Januar ein Neujahrskonzert im Wiener Volkstheater geben.
  • Die Auftritte sind bereits ausverkauft und gelten als Gegenentwurf zum traditionellen Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.
  • Der Chor legt großen Wert auf Organisation und klare Strukturen, um seine innovativen und politisch positionierten Auftritte zu gestalten.
  • Zum zehnjährigen Jubiläum plant der Schmusechor ein besonderes Projekt, ein 'Schmusical'.