Tiroler Ermittler über Tsunami-Einsatz: "Bilder bleiben"
Der ehemalige stellvertretende Leiter des Tiroler Landeskriminalamts war wenige Tage nach der durch ein massives Erdbeben ausgelösten Katastrophe als Einsatzleiter des erst kurz zuvor ins Leben gerufenen österreichischen DVI-Teams (Disaster Victim Identification) nach Thailand gereist. Den Anstoß zur Gründung der Spezialeinheit hätten "maßgeblich" seine Erfahrungen beim Einsatz nach der Lawinenkatastrophe von Galtür in Tirol im Jahr 1999 gegeben, erzählt der mittlerweile pensionierte 68-jährige Ermittler. Damals sei in ihm die Erkenntnis gereift, dass es bei einer größeren Anzahl an Toten eine "professionelle Herangehensweise" benötige.
"Ich werde den Stefanitag 2004 nie vergessen", erinnerte sich Hundertpfund. Er habe aus dem Rundfunk von der Flutwelle erfahren und bereits früh geahnt, dass es zu einem Einsatz kommen könnte. Wenig später folgte ein erster Anruf aus dem Innenministerium, am 28. Dezember der Abflug des schlussendlich 13-köpfigen Teams von Wien nach Thailand. Neben zehn Kriminalbeamten waren auch zwei Gerichtsmediziner, ein forensischer Odontologe sowie "eine gewisse Anspannung" mit an Bord. Er habe damals jedoch "nicht annähernd absehen können, was uns erwartet", meinte Hundertpfund rückblickend.
Die nicht identifizierten Toten seien damals bei Tempelanlagen aufbewahrt bzw. zu diesen gebracht worden. Bei der ersten Tempelanlage sei das österreichische DVI-Team am Rande eines "vom Dschungel bewachsenen Areals" tätig gewesen. Die Arbeit habe das Team erst in der prallen Sonne verrichten müssen, dann hätten Thailänder bei der Errichtung einer provisorischen Bedachung sowie einer Stromleitung geholfen. Mitgebrachte Baumwollmäntel habe man selbst gekürzt und so halbwegs tropentaugliche Arbeitskleidung geschaffen und so zu Silvester 2004 den ersten Arbeitstag verbracht.
Als wenige Tage später keine Leichen mehr angeliefert wurden, machten sich die Österreicher nach Khao Lak auf. Erst suchte man die falsche Tempelanlage auf und fand dort hunderte Leichen mit auf der Brust abgelegten Trockeneisblöcken vor. Einheimische hätten sich mit Sprühgeräten einen Weg gebahnt und einen "schier aussichtslosen Kampf" gegen den Ungezieferbefall geliefert. Durch die verdunstenden Eisblöcke habe sich ein Nebel ausgebreitet, über allem sei ein bestialischer Gestank gehangen, erzählt Hundertpfund.
Bei der eigentlich für das österreichische Team als Einsatzort vorgesehenen Tempelanlage habe man dann bereits eine von anderen Teams provisorisch eingerichtete Obduktionsstraße vorgefunden. Anfangs sei die Situation jedenfalls "chaotisch und nicht strukturiert" gewesen, erst drei Wochen nach dem Unglück habe sich durch den internationalen Einsatz eine Struktur etabliert.
Die Leichen der Opfer seien indes "mehrere Tage der Tropenhitze ausgesetzt" gewesen, was einen "relativ schnell anlaufenden Verwesungsprozess" in Gang gesetzt hätte. Diese seien also in einem so schlechten Zustand gewesen, dass keine Gesichter mehr erkennbar gewesen waren. Zwar gehe es bei Opferidentifizierung generell nicht um eine visuelle Identifikation, aber auch die primären Erkennungsmerkmale wie Fingerabdrücke, DNA oder Zahnstatus seien bei fortschreitender Verwesung nicht mehr einfach feststellbar, erläuterte der mittlerweile pensionierte Kriminalbeamte. Dadurch, dass etliche Leichen lange im Wasser gelegen seien, habe man diesen etwa die Haut an den Fingern abziehen können und diese über die Handschuhe von Beamten stülpen müssen, um so Fingerabdrücke erfassen zu können.
Dass ein solcher Einsatz eine "große psychische Belastung" darstelle, würde man erst gar nicht bemerken, erzählt Hundertpfund. Der teilweise auch derbe Austausch mit Kollegen danach helfe jedenfalls bei der Verarbeitung: "Man darf das nicht in sich hineinfressen". Es hätte auch zwei Kollegen gegeben, die sich der Situation nicht gewachsen gesehen und den Einsatz abgebrochen hätten. Das Team habe zudem versucht, mit Angehörigen "möglichst wenig Kontakt" zu haben, um einen gewissen Abstand wahren zu können. Einzig bei einer Gedenkveranstaltung mehrere Monate nach dem Unglück habe man versucht, möglichst viele Fragen von Angehörigen zu beantworten - auch wenn man "vorsichtig" gewesen sei, was man diesen zumuten hätte können.
Er habe in insgesamt fünf Entsendungen sechs Monate in Thailand verbracht, sagte Hundertpfund. Alle vermissten Österreicher seien schlussendlich erfolgreich identifiziert worden. Dies sei ein "großes Glück" gewesen. Bei anderen Nationen seien Vermisste nicht gefunden worden und wohl im Meer verloren gegangen. Nicht identifizierte Leichen seien in mit Nummern versehenen Gräbern bestattet worden. Das habe im Falle der österreichischen Opfer erfolgreich verhindert werden können. Damit habe man den Opfern auch "Würde und einen wesentlichen Teil der Persönlichkeit" zurückgegeben sowie Angehörigen den Abschluss erleichtert, zeigte sich der Ermittler zufrieden.
Durch Einsätze wie jenen in Thailand werde einem jedenfalls vor Augen geführt, "dass der Mensch vergänglich ist", meinte Hundertpfund. Der Tod sei "Bestandteil des Lebens". "Abgebrüht" sei er durch die Arbeit, die der Kriminalist in den Jahrzehnten danach auch bei anderen Katastrophen durchführte und dies in einem 2022 erschienenen Buch aufarbeitete, jedoch nicht geworden. "Das lässt einen nicht mehr los", betonte Hundertpfund aber rückblickend: "Die Bilder bleiben".
Rund 230.000 Menschen waren im Jahr 2004 gestorben, nachdem ein gewaltiges Erdbeben der Stärke 9,1 vor der indonesischen Insel Sumatra einen Tsunami ausgelöst hatte. 14 Länder wurden damals von bis zu 20 Meter hohen Wellen getroffen. Besonders schwer traf es neben der indonesischen Provinz Aceh, wo zumindest 160.000 Menschen starben, Thailand, Indien und den Inselstaat Sri Lanka. Es war die größte Tsunami-Katastrophe seit Menschengedenken.
Zusammenfassung
- Der Tsunami 2004 kostete 86 Österreichern das Leben, darunter 85 an Thailands Stränden.
- Christoph Hundertpfund leitete das DVI-Team, das alle vermissten Österreicher identifizieren konnte.
- Die Ermittler arbeiteten unter schwierigen Bedingungen in der tropischen Hitze und chaotischen Zuständen.
- Der Einsatz verdeutlichte die psychische Belastung der Beteiligten, die auch nach der Rückkehr anhielt.
- Insgesamt starben rund 230.000 Menschen durch das Beben der Stärke 9,1 und den folgenden Tsunami.