Österreich - Das Land der tiefsitzenden Frauenfeindlichkeit
Laut einer erschreckenden Studie der Europäischen Agentur für Grundreche (FRA) aus dem Jahr 2014 wird jede fünfte Frau in Österreich mindestens einmal in ihrem Leben Opfer körperlicher und/oder sexueller Gewalt. Bei dem Täter handelt es sich meist um den Ehemann, Lebensgefährten, Ex-Mann oder ein anderes männliches Familienmitglied. Jede dritte Frau musste seit ihrem 15. Lebensjahr eine Form sexueller Belästigung erfahren, jede siebte Frau ist von Stalking betroffen. Das sind nur wenige der Fakten, veröffentlicht auf der Website des Vereins "Autonome Österreichische Frauenhäuser" (AÖF), die aufzeigen, wie hoch die Gewaltrate gegen Frauen in Österreich ist.
Mit Stand 08. August gab es dieses Jahr bereits 22 Femizide, 21 Frauen wurden Opfer eines Mordversuches oder schwerer Gewalt. Im Jahr 2021 waren es 29 Femizide.
"Partnergewalt und häusliche Gewalt ist immer noch ein sehr unsichtbares Problem. Es kommt in allen sozialen Schichten, Communities und Religionen vor. Betroffen von dieser Gewalt sind insbesondere Frauen und Kinder", erklärt Eva Zenz vom Verein "Autonome Österreichische Frauenhäuser" (AÖF) im Gespräch mit PULS 24. Dabei werde zwischen verschiedenen Formen der Gewalt unterschieden: Körperliche Gewalt, Sexuelle Gewalt, Psychische Gewalt, Ökonomische Gewalt sowie Cybergewalt.
Eine tiefsitzende Frauenfeindlichkeit
Wenn es um gegen Frauen gerichtete Gewalt geht, befinde sich Österreich im EU-Vergleich an der Spitze, erklärt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des AÖF, im PULS 24 Interview mit Anchor Daniel Retschitzegger. "Ich glaube, die Ursachen dafür sind, dass wir in Österreich eine ganz große, tiefsitzende Frauenfeindlichkeit spüren. Es gibt einfach so eine hohe Frauenverachtung, das spürt man überall, egal wo man ist. Frauen erleben Gewalt auf allen Plätzen in der Öffentlichkeit. Egal wo Frauen sich bewegen, sie spüren tagtäglich diese Gewalt, diese verbale Gewalt, sexuelle Gewalt und natürlich auch die körperliche Gewalt. Der Weg von psychischer Gewalt hin zur körperlichen Gewalt ist oft nicht sehr weit", so Rösslhumer.
Rösslhumer über Femizide: "Österreich ist im EU-Vergleich an der Spitze"
"Victim Blaming" und patriarchale Männlichkeitsbilder
Das Thema "Gewalt an Frauen" sei immer noch in einem gewissen Ausmaß mit Scham assoziiert, so Zenz. Außerdem soll es auch immer noch zum sogenannten "victim blaming" kommen: Betroffene werden in ihrem Umfeld oftmals für die Gewalttaten verantwortlich gemacht. Damit wird den Opfern vermittelt, "sie wären mit dem Problem allein und müssten damit allein zurechtkommen und die Gewalt aushalten". Das hat zur Folge, dass von Gewalt betroffene Frauen sich oft nicht trauen, sich Hilfe zu holen. Auch erschweren äußere Umstände, wie z. B. eine schwierige finanzielle Situation, die Trennung von einem gewalttätigen Mann.
Auch die "patriarchalen Vorstellungen von Geschlecht" würden eine wichtige Rolle spielen, wenn es um die Entstehung von Gewalt geht. Der AÖF erklärt, dass dies u.a. in der politischen Entwicklung reflektiert wird. So werde die Gewalt an Frauen in Parteien des rechten Spektrums oft verharmlost bzw. allein als "importiertes Problem" dargestellt. Diese Gewalt werde jedoch genauso von "autochthonen" Männern begangen. "Gewalt von Männern gegenüber Frauen wird immer noch viel zu oft im Sinne eines patriarchalen Männlichkeitsbildes mit "Männer sind halt so" abgetan und verharmlost und diese Männer werden auf diese Weise nicht zur Verantwortung für ihr eigenes Verhalten gezogen", erklärt Zenz im Gespräch mit PULS 24.
In Österreich gebe es zwar eigentlich gute Gesetze zum Schutz vor Gewalt, diese würden jedoch oft "nicht wirksam angewendet oder ausgeschöpft werden". So werden z. B. "gefährliche und polizeibekannte Gewalttäter oft auf freiem Fuß angezeigt oder freigesprochen statt in U-Haft genommen zu werden". Dies hätte oft noch schwerere Gewalttaten, bis hin zum Mord der Frau, zur Folge. Für viele Gewaltausübende bleibe die Tat nach wie vor ohne ernsthafte Konsequenzen, so der AÖF.
Höheres Budget notwendig
"Seitens der Politik wäre das Wichtigste eine langfristige und gesicherte Finanzierung, für eine echte Gleichstellungs- und Gewaltschutzpolitik", fordert der AÖF. Das Budget des Frauenministeriums und spezifisch der Bereich für Gewaltschutz und -prävention sei grundsätzlich und auch im Vergleich zu anderen Ressorts und Ministerien viel zu niedrig. Die Budgeterhöhung vom Frühjahr 2021 um 24,5 Millionen Euro sei leider "nur ein Tropfen auf den heißen Stein". Aufgrund der hohen Folgekosten von Gewalt brauche es eine Erhöhung der Mittel für das Frauenministerium – inflationsangepasst – auf 228 Millionen Euro.
Der AÖF plädiert außerdem dafür, dass langfristige österreichweite Bewusstseinskampagnen gegen Gewalt an Frauen dringend finanziert werden müssen. Besonders wichtig sei dies, um die Frauenhelpline 0800 222 555 breiter bekannt zu machen. Es sei wichtig, dass diese in allen Haushalten, ähnlich wie der Notruf der Polizei oder Rettung, bekannt ist. Auch brauche es 3.000 zusätzliche Vollzeit-Arbeitsstellen im Gewaltschutzbereich und in der Gewaltprävention, also in Frauenhäusern, Beratungsstellen usw.
Es brauche "Fallkonferenzen bei gefährlichen Tätern" und regelmäßigen Informationsaustausch zwischen den Behörden und den Opferschutzeinrichtungen. Durch verpflichtende Schulungen für Polizei und Justiz zum Thema "Häusliche Gewalt" und "Partnergewalt" sollte eine gewissen Sensibilität erreicht werden, so die Forderungen des AÖF.
Langfristige Bewusstseinsarbeit für eine gesellschaftliche Veränderung
"Um gesellschaftliche Veränderungen zu schaffen, braucht es flächendeckende langfristige Bewusstseinsarbeit", erklären Vertreterinnen des AÖF. Dies könne u.a. durch Projekte, wie dem Nachbarschaftsprojekt "StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt" erreicht werden. Dabei handelt es sich um ein Projekt, dass der Verein AÖF aktuell in mehreren Bezirken in ganz Österreich durchführt. Unter anderem gibt es Standorte in Innsbruck, Bregenz, Linz, Wels, Amstetten, Oberwart, Klagenfurt, Völkermarkt, sowie in den Wiener Gemeindebezirken Wieden, Mariahilf, Favoriten und Meidling.
"StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt" ist ein nachhaltiges und zukunftsorientiertes Gesamtpaket in der Gewaltprävention, zu dem alle Menschen, insbesondere Nachbar:innen eingeladen und befähigt werden, sich aktiv gegen Femizide, häusliche Gewalt an Frauen und Kindern, sowie Partnergewalt zu engagieren. Es ist ein Projekt, das sich explizit und direkt an die Zivilgesellschaft wendet, diese aktiv einbindet und ihnen konkrete und anwendbare Handlungsmöglichkeiten aufweist, um sie zu involvieren und zu zeigen, was jeder einzelne beitragen kann, um Partnergewalt an Frauen zu stoppen. Entsprechend ist StoP auch ein Appell an die österreichische Zivilgesellschaft sich aktiv einzusetzen und sich eindeutig und klar gegen Gewalt an Frauen und Kindern zu positionieren. Mit StoP lernen Nachbar:innen eine Nachbarschaft aufzubauen, in der Gewalt keinen Raum mehr hat.
Lang- und mittelfristiges Ziel sei es, StoP in jeder Stadt, Gemeinde und in jedem Bezirk Österreichs zu etablieren, damit Partnergewalt an Frauen und Kindern keine Chance gegeben wird. Zur erfolgreichen Realisierung des Projektes genüge jedoch keine einmalige Finanzierung. Vielmehr bedarf es einer Sicherstellung einer weiteren, langjährigen Finanzierung des Projektes.
Sind Sie in einer Krisensituation? Hier finden Sie Hilfe:
Von Gewalt betroffenen Frauen steht zu jeder Tages- und Nachtzeit die Telefonnummer 0800 222 555 mit Expertinnen zur Seite. Eine Online-Beratung ist - parallel zur telefonischen Beratung - täglich in der Zeit von 15.00 bis 22.00 Uhr unter www.haltdergewalt.at erreichbar. Weitere Informationen unter www.frauenhelpline.at
Nummer Polizei: 133 oder 112 (Euronotruf)
SMS Polizei: 0800 | 133 133 (auch Notruf für Gehörlose)
Frauenhelpline: 0800 | 222 555
Frauennotruf
Frauenhäuser
Gewaltschutzzentren / Interventionsstellen
Zusammenfassung
- Bereits 22 Femizide gab es dieses Jahr, und es ist erst August.
- Im EU-Schnitt ist Österreich einer der Spitzenreiter, wenn es um das Thema "Gewalt an Frauen" geht.
- PULS 24 hat mit Vertreterinnen des Vereins "Autonome Österreichische Frauenhäuser" (AÖF) über die Ursachen sowie über die notwendigen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen gesprochen.
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