Mit 8 Monate altem Sohn zum IS: Österreicherin will zurück

PULS 24 hat Kontakt zu einer Grazerin hergestellt, die 2015 mit ihrem Baby zum sogenannten "Islamischen Staat" nach Syrien reiste. Seit fünf Jahren sitzt sie mit ihrem Sohn in Lagern fest. "Natürlich bereue ich es", sagt Susu T. nun zu PULS 24 - sie will unbedingt zurück. Doch Österreichs Außenministerium ist in solchen Fällen zurückhaltend.

War es Naivität? Liebe? Oder doch islamistische Überzeugung? Diese Fragen sind aus der Ferne nur schwer zu beantworten. Vor rund acht Jahren - im Jahr 2015 - reiste Susu T., wie sie genannt werden möchte, über die Türkei nach Syrien. Ihren damals acht Monate alten Sohn nahm sie mit in jenes Gebiet, das damals der sogenannte "Islamische Staat" (IS) erobert hatte. 

Sprachnachrichten von Susu T.

Noch heute befindet sie sich in Syrien - zuerst im Camp Al-Hol, seit 2020 in Roj, das von kurdischen Behörden kontrolliert wird. Vor den Zuständen in den Camps, die eine absurde Mischung aus Flüchtlingscamp, Gefängnis und Terroristen-Hochburg ist, warnen Hilfsorganisationen seit Jahren. In diesen Camps sind die heute 30-Jährige und ihr heute achtjähriger Sohn seit 2019.

PULS 24 konnte mit ihnen Kontakt aufnehmen. Ihr Fall war der Öffentlichkeit bislang unbekannt. Sie schickte PULS 24 mehrere Sprachnachrichten. "Das Leben im Camp ist einfach katastrophal", sagt sie darin. "Gesundheitlich geht es jedem schlecht". Sie wolle nun unbedingt zurück nach Österreich, zu ihrer Familie, die in Graz lebt. "Ich hoffe wirklich, dass Österreich sich entscheidet und uns zurücknimmt". 

Ich hoffe wirklich, dass Österreich sich entscheidet und uns zurücknimmt

Susu T.

Laut ihren Schilderungen wollte sie eigentlich nie ins Kalifat. "Meine Absicht war nicht, dass ich zum Islamischen Staat gehe", sagt sie. Sie sei ihrem damaligen Ehemann nachgereist. Im Jahr 2014, während T. schwanger war, soll der Mann plötzlich nach Syrien gereist sein. "Ich hab soeben die Grenze zu Syrien überschritten", soll er sie per Telefon informiert haben.

Die Familie war den österreichischen Behörden wegen ihrer Kontakte in die islamistische Szene auch davor schon zumindest bekannt. Dass ihr Mann beim IS sei, will T. von der Polizei erfahren haben. 

"Natürlich bereue ich es"

Im Oktober 2015 machte sie sich schließlich mit ihrem Sohn selbst auf den Weg. Laut eigenen Angaben wollte sie ihren Mann, ein türkischer Staatsbürger, der in Österreich aufwuchs, aber eigentlich in der Türkei treffen und nach Hause bringen. Er soll sie über die Grenze nach Syrien gelockt haben.

Susu T.PULS 24 / zVg

Susu T.

"Natürlich bereue ich es", sagt sie heute dazu. "Ich hätte egoistischer sein sollen, an mich selber denken sollen". 

Im selbsternannten Kalifat war sie vor allem Hausfrau, durfte das Haus nicht alleine verlassen. Eineinhalb Jahre verbrachte die junge Familie in Raqqa. Beim zweiten erfolglosen Fluchtversuch soll der Ehemann im Gefängnis gelandet und dort gestorben sein - so erzählt es zumindest Susu T. Überprüfen lassen sich ihre Angaben nicht. 

Im Jahr 2019 - der sogenannte Islamische Staat verlor die meisten Gebiete - gelang T. ein Rückreiseversuch. Schlepper sollen die Grazerin und ihren Sohn allerdings an kurdische Behörden übergeben haben, die die Camps Al-Hol und Roj im Dreiländereck zwischen Syrien, Türkei und Irak leiten. 

"Es ist dreckig hier, es ist Müll überall"

Sie schildert von Abgasen, die über das Camp ziehen würden. Oft könne man nicht richtig atmen, viele hätten Asthma. Lebensmittel würde man "nicht gerade viel" bekommen. Das seien auch die Gründe, "dass wir öfter krank sind". "Jede zweite Woche ist immer irgendwer krank. Es ist dreckig hier, es ist Müll überall", sagt T. 

Ich will, dass mein Kind zur Schule geht und ein normales Leben hat.

Susu T.

Vor allem würde sie sich Sorgen um ihren Sohn machen: "In der Schule lernt er fast gar nichts". Und sie lasse ihn auch ungern rausgehen, weil sie Angst hat, dass er radikalisiert werden könnte. "Ich will, dass mein Kind zur Schule geht und ein normales Leben hat", so Susu T. in den Sprachnachrichten.

Sollte die Grazerin zurückkehren können, würde ihr in Österreich ein Gerichtsprozess drohen. Ihr wird wohl die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen werden. Dessen ist sich T.  bewusst. Auch, dass sie als mutmaßliche Gefahr wahrgenommen wird, versteht sie. Sie sagt aber: "Ich habe das Recht, vor Gericht zu stehen. Ich muss mich dafür verantworten." Als Staatsbürgerin sei es ihr "Recht, nach Hause zu gehen". 

Zu Hause, da wartet ihre Mutter, die in den 90ern zum Islam konvertierte. PULS 24 traf sie in ihrer Wohnung in Graz. B.T. macht sich Sorgen um ihre Tochter und um ihren Enkel, den sie zum letzten Mal sah, als dieser sieben Monate alt war. Die Zustände im Camp würden ihr selbst in Österreich zu schaffen machen: "Wir haben alles, die ganzen Lebensmittel. (...) Du hast die trockene Wohnung  - und sie hat nichts", sagt sie im Gespräch. 

"Ich konnte nicht wirklich für ihn Oma sein"

"Es zerreißt mich fast, wirklich. Ich konnte nicht wirklich für ihn Oma sein", sagt sie über ihren Enkel - dem auch sie eine bessere Schulbildung wünschen würde. Der Bub würde am Telefon auch sagen, dass er nach Hause wolle. Wenn es gehen würde, würde sie "gleich einen Flieger nehmen und rüberfliegen und sie rausholen". 

"Man sollte ihr die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen"

B. T. im Interview mit PULS 24 Chefreporterin Magdalena Punz

Doch einfach wird es Familie T. nicht gemacht. 2019 sei Susu von einer Hilfsorganisation stellvertretend für das österreichische Konsulat gefragt worden, ob sie heimkehren wolle. Anfang 2023 dann nochmal. Mehrmals schrieb die Familie dem Außenministerium. Doch passiert sei bislang nichts. 

"Jeder schiebt eigentlich alles nur ab", sagt die Großmutter in Graz. Vor allem in den Jahren 2019 und 2020 habe sie "nur herumgeschrieben" und "herumtelefoniert". Nun wisse sie gar nicht mehr, "wo ich hingehen soll".

Außenministerium ist zurückhaltend

Das Außenministerium argumentiert, wie auch zuletzt im Fall der Salzburgerin Maria G., die ebenfalls seit 2019 in Roj ist, dass eine etwaige Rückholung immer eine "individuelle Einzelfallprüfung" sei. Man müsse zwischen der Schutzwürdigkeit der betreffenden Person, der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Person und der Gefährlichkeit einer Rückholung für das österreichische Personal abwägen.

Außerdem müsse man auch den "Grad des Eigenverschuldens betreffend das Geraten in eine 'Notlage'" berücksichtigen. "Bei aller Emotionalität darf nicht vergessen werden, dass sich die Erwachsenen freiwillig einer terroristischen Vereinigung angeschlossen haben", heißt es aus dem Außenministerium auf PULS 24 Anfrage.

Bei aller Emotionalität darf nicht vergessen werden, dass sich die Erwachsenen freiwillig einer terroristischen Vereinigung angeschlossen haben.

Außenministerium

Im Fall Maria G. und ihren Kindern hat man eine solche Rückholung bislang immer formlos abgelehnt. Laut einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts müsse das Ministerium von Alexander Schallenberg (ÖVP) nun aber erneut entscheiden und bis 20. Oktober einen Bescheid ausstellen. Diesen wolle man, sollte er negativ ausfallen, anfechten, kündigte die Anwältin der Familie G., Doris Hawelka, an. Das Außenministerium bot in diesem Fall an, nur die Kinder zurückzuholen, doch die Kinder von der Mutter zu trennen, verstoße gegen das Kindeswohl, so die Anwältin.

Außenministerium bestätigt Kontakt

Im Fall von Susu T. bestätigt das Außenministerium gegenüber PULS 24, dass man mit ihr in Kontakt sei. Zu einzelnen Fällen wolle man sich aber nicht äußern. Trotz der "widrigen und schwierigen Umstände" versuche man, "konsularischen Schutz vor Ort zu leisten, wie es die Umstände erlauben".

Vier Minderjährige hat Österreich aus Syrien bisher zurückgeholt. Anders als etwa Deutschland, Frankreich, der Kosovo oder die Niederlande, ist man bei Erwachsenen aber sehr zurückhaltend, obwohl die kurdischen Behörden die europäischen Staaten dazu aufriefen, ihre Staatsbürger:innen zurückzuholen. 

Den österreichischen Sicherheitsbehörden sind 328 sogenannte "Foreign Terrorist Fighters" bekannt. Diese Zahl umfasst Personen, die aus Österreich ins Kriegsgebiet ausgereist sind oder daran gehindert werden konnten - wobei die letzte bekannte Ausreise 2018 erfolgte.

"Weniger als zehn Personen" in syrischen Camps

Einige von ihnen sind zurückgekehrt oder nicht mehr am Leben. Elf Personen befinden sich in österreichischen Gefängnissen. Zwischen 70 und 80 Personen sollen sich noch in Syrien und im Irak aufhalten, darunter T., G. und ihre Kinder. Eine weitere Frau ist PULS 24 bekannt. Dem Außenministerium sind "weniger als zehn Personen" bekannt, die in syrischen Camps sind. Man sei mit allen in Kontakt. 

Foreign FightersPULS 24

Die Gefahr all jener, die in den Camps sitzen, einzuschätzen, ist laut Sicherheitsbehörden schwer- da es kaum professionelle Ansprechpartner vor Ort gibt. Welche Gefahr von ihnen bei einer Rückkehr nach Österreich ausgehen würde, ist wohl auch schwer zu sagen. Gutachten, Deradikalisierungseinrichtungen und ein Gerichtsprozess in Österreich würden das wohl eher klären können. 

"Die lokalen Behörden würden am liebsten alle internationalen Staatsanbürger loswerden", sagt Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger, den PULS 24 via Skype im Nordirak erreichte. Die einzige Bedingung sei, dass die männlichen Kämpfer vor Gericht gestellt werden. "Dieses Problem wäre in Österreich ja sowieso nicht gegeben, weil alleine schon die Ausreise zum IS nach österreichischer Rechtsprechung als Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung gewertet wird und auch die Frauen in Österreich alle vor Gericht gestellt werden". 

"Es ist schlicht und einfach dumm, dies nicht zu tun"

"Es liegt ausschließlich am österreichischen Außenministerium, dass das nicht passiert", kritisiert Schmidinger. Das sei sachlich nicht nachvollziehbar, es sei wohl "wahlkampftaktisch nicht sehr populär, zu sagen: 'Wir holen jetzt unsere Terroristen und Terroristinnen zurück'."

Schmidinger, der die Lage in den Camps kennt und dort schon selbst Gespräche mit Österreicher:innen führte, sieht in der Vorgehensweise Österreichs aber eine Gefahr: "Es ist schlicht und einfach dumm, dies nicht zu tun", sagt er. Die Sicherheitslage in Syrien sei "prekär".

Niemand könne garantieren, dass die Personen dort weiter in Haft bleiben. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die irgendwann sowieso freikommen". In den letzten Jahren hätte man die Chance gehabt, diese IS-Angehörigen organisiert zurückzuführen und in Österreich vor Gericht zu stellen. 

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die irgendwann sowieso freikommen.

Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger

Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger im Skype-Interview aus dem Nordirak

Ein weiteres Problem seien die Kinder, die sich nichts zu Schulden kommen haben lassen und daher in Österreich nicht vor Gericht gestellt werden können. "Von denen wird aber ein Teil mit Sicherheit hochgradig ideologisiert nach Österreich zurückkommen, wenn wir jetzt noch fünf Jahre warten", so Schmidinger.

Ein Problem, das auch Susu T. in einer Sprachnachricht an PULS 24 anspricht: "Die Zeit läuft und läuft. Der Kleine wird immer größer und größer. Der muss in die Schule gehen". 

ribbon Zusammenfassung
  • PULS 24 hat Kontakt zu einer Grazerin hergestellt, die 2015 zum sogenannten Islamischen Staat nach Syrien reiste.
  • Seit fünf Jahren sitzt sie mit ihrem achtjährigen Sohn Lagern fest.
  • "Natürlich bereue ich es", sagt Susu T. zu PULS 24 - sie will unbedingt zurück.
  • Doch Österreichs Außenministerium ist in solchen Fällen - im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern - zurückhaltend.
  • Dieses Vorgehen könnte zur Gefahr werden, sagt Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger.