Einmal IS und kein Zurück: Die Geschichte der Maria G.
Das Jahr 2014 im Westen: Sebastian Kurz ist der jüngste Außenminister der Welt, Großbritannien Teil der EU und die Tweets von Donald Trump den meisten egal. Im Nahen Osten hingegen leiden Syrien und der Irak unter dem blutigen Feldzug der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS). Am 29. Juni rufen die Dschihadisten ein "Kalifat" aus und locken (jugendliche) Männer und Frauen aus der ganzen Welt mit ihrer digitalen Propaganda nach Syrien. Tausende folgen dem Ruf, hunderte aus Österreich. Auch Maria G. aus Salzburg.
Fahrt nach Syrien "wie Urlaub"
Es ist ein Samstag im selben Jahr, als sich die damals 17-Jährige von Salzburg aus auf den Weg nach Syrien macht. Die Familie trifft sich zum Grillen, erzählt ihre Mutter Susanne PULS 24-Chefreporterin Magdalena Punz. Als sie etwas aus dem Keller holt, findet sie ihre Tochter Maria weinend auf der Treppe sitzen. Eine große schwarze Sonnenbrille vor den Augen. "Es passt eh alles", habe sie gesagt. Sie würde aber jetzt in die Moschee gehen. Wie so oft in den letzten Monaten.
Maria kam über ihren damaligen Freund mit dem Islam in Berührung, konvertierte für ihn und landete – ohne ihn – in islamistischen Kreisen. Die Eltern bemerkten eine Veränderung, aber keine Radikalisierung. "Am Samstagabend hat sie sich dann nochmal per SMS gemeldet und geschrieben, wir sollen uns keine Sorgen machen, sie schläft bei einer Freundin", erzählt ihre Mutter. Am Sonntag habe sie sich nicht gemeldet, die Mutter begann, sich Sorgen zu machen. Am Abend dann ein Anruf von einer fremden Nummer: "Mama, ich bin grad im Auto und fahre von der Türkei nach Syrien. Es ist wie Urlaub." Die Eltern sind am Boden zerstört, fühlen sich, "als würden wir unser Kind verlieren. Für immer". Sie gehen zur Polizei, bleiben mit dem Verfassungsschutz in Kontakt.
Maria ist eine von 334 aus Österreich stammenden Personen, die bis Ende 2020 in das Gebiet des IS gereist sind bzw. reisen wollten. Es sind zumindest die, die dem Verfassungsschutz bekannt sind. Laut unbestätigten Informationen starben mindestens 72 Personen, 95 kamen wieder zurück nach Österreich. Ende 2020 sollen sich noch 104 Dschihad-Reisende im Kriegsgebiet befunden haben.
Schulpflichtiges Kind
Der Kontakt wird weniger. Nur sporadisch meldet sich Maria bei ihren Eltern. Wenn, dann reden sie über banale Dinge. Maria fragt nach Rezepten, erzählt vom Einkaufen auf dem Markt. Nichts Weltbewegendes, nichts über die Gräueltaten des IS. Ihre Eltern sind einfach nur froh zu wissen, dass "sie noch lebt". Maria wird schwanger, zwei Jahre später erneut. Ihre Kinder sind mittlerweile vier und sechs Jahre alt, in Österreich schulpflichtig. Aber sie sind nicht in Österreich. Sie befinden sich seit 2019 im kurdischen Lager Al-Roj im Nordosten von Syrien an der Grenze zur Türkei. Das weiß auch das Außenministerium. Dennoch gibt es einen aufrechten Fahndungsaufruf, mit der Bitte um Hinweise zu Maria G. Sie ist dort nicht die einzige mit österreichischem Pass. Laut Außenministerium sollen sich in den beiden Lagern Al-Roj und Al-Hol "weniger als zehn österreichische Staatsbürger:innen" befinden – "rund die Hälfte davon sind Kinder".
In den beiden überfüllten Lagern Al-Roj und Al-Hol befinden sich laut Schätzungen der NGO "Save the Children" etwa 40.000 Kinder aus über 60 verschiedenen Ländern. Gewalt ist an der Tagesordnung. Auch der heimische Verfassungsschutzbericht spricht von "humanitär prekären Verhältnissen" und warnt davor, "dass die desolaten Verhältnisse zur erneuten Radikalisierung beitragen".
"Die Kinder sind ihr ein und alles"
Die Eltern von Maria reisen zweimal nach Syrien und in das Lager Al-Roj. Beim ersten Versuch finden sie ihre Tochter nicht, erzählt Vater Markus. Beim zweiten Mal klappt es. Für eine Stunde dürfen sie ihre Tochter treffen, ihre beiden Enkelkinder kennenlernen. "Es war einfach schön, sie wieder spüren zu können, sie wieder sehen zu können, sie wieder greifen zu können."
Maria tue es leid, nach Syrien gereist zu sein. "Sie bereut es auf alle Fälle", erzählt ihr Vater. Hat sie dem IS abgeschworen? Das habe sie den Eltern nicht persönlich mitgeteilt, "aber das haben wir von anderen Personen gehört". Seit etwa dreieinhalb Jahren versuchen die Eltern wieder eine Genehmigung für den Besuch zu bekommen. Ebenfalls solange versuchen sie, ihre Tochter und die Enkelkinder zurück nach Hause zu bringen. "Für eine Rückholung ist immer eine individuelle Einzelfallprüfung in Abstimmung mit den zuständigen österreichischen Stellen erforderlich", erklärt das Außenministerium dazu gegenüber PULS 24. "Bei einer Rückholung von Kindern ist immer die Zustimmung der Mütter erforderlich", wird weiter ausgeführt.
"Die Kinder sind ihr ein und alles", erzählen die Eltern von Maria. Sie würde sie im Lager schützen, regelrecht abschotten. Maria habe Angst, dass "ihr was angetan wird, oder die Kinder im Camp radikalisiert werden". Maria nennt es in einer den seltenen Sprachnachrichten "etwas Falsches lernen". Warum also die Kinder nicht nach Österreich in Sicherheit bringen? Kinder hätten ein Recht auf ihre Mutter und die Mutter ein Recht auf ihre Kinder, erklärt ihr Vater. Zudem seien sie für die Enkelkinder Fremde. Doris Hawelka, die Anwältin der Familie G., argumentiert mit dem Kindeswohl. Es könne diesem nicht entsprechen, "einen Vierjährigen und einen Sechsjährigen, die ob der Umstände zu 100 Prozent traumatisiert sind, von der einzigen Bezugsperson (…) zu trennen und sie in eine fremde Welt zu bringen".
Sprachnachricht von Maria G. aus dem Lager in Syrien
Österreich brachte zuletzt im Juli 2022 zwei Kinder aus Syrien zurück – in Summe waren es bisher vier. Frankreich holte vor kurzem 35 Kinder und 16 Mütter, Deutschland im März zehn Frauen und 27 Kinder. Den meisten Erwachsenen blüht bei ihrer Einreise eine Festnahme und Gerichtsverhandlung. Auch in Österreich. Auch Maria G.
Haft bei Einreise
Dem ihr blühenden Prozess ist sich die mittlerweile 25-Jährige bewusst. Damit würde sie rechnen. "Wenn das in Österreich Gesetz ist, dann muss sie sich dem Gesetz auch stellen, das ist für sie keine Frage", sagen ihre Eltern. Ganz verstehen können es aber offenbar weder ihre Eltern, noch Maria: "Sie hat halt gekocht, sie hat halt die Hausarbeit gemacht plus die Kinder." Dafür eine Anzeige? Nicht für die Hausarbeit, laut Fahndungsaufruf steht die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Raum. Der Strafrahmen dafür liegt bei bis zu zehn Jahren Haft. Auch die Anwältin bestätigt, dass Maria weiß, was in Österreich auf sie zukommen wird. Gleichzeitig wirft sie den heimischen Behörden Untätigkeit vor. Das sei klar menschenrechtswidrig, denn Rückholungen seien durchführbar. Und auch das Argument der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sei "nicht stichhaltig". Es "gibt viele Straftäter in Österreich, von denen Gefahren ausgehen. Diese bringen wir üblicherweise in Gefängnissen unter". Das Lager Al-Roj ist quasi ein Gefängnis – besonders für die Kinder, die sich ihre Eltern nicht ausgesucht haben.
Die exklusive Reportage "Die Eltern der österreichischen IS-Töchter" von PULS 24-Chefreporterin Magdalena Punz: Vor einigen Jahren haben sich junge Österreicherinnen nach Syrien abgesetzt und dort der Terrormiliz "Islamischer Staat" angeschlossen. Einige von ihnen sind wieder nach Österreich zurückgekehrt, andere sind verstorben oder sitzen bis heute in kurdischen Gefangenenlagern in Syrien fest. Wie geht es den zurückgelassenen Familien in Österreich mit diesem Schicksal? Und wieso werden jene festsitzenden Frauen und ihre Kinder nicht nach Österreich zurückgeholt?
Am Freitag, den 16. September, zeigt PULS 24 um 18 Uhr die Langversion der Reportage "Die Eltern der österreichischen IS-Töchter".
Zusammenfassung
- Die Salzburger Konvertitin Maria G. schloss sich als 17-Jährige dem "Islamischen Staat" in Syrien an. Seit 2019 lebt sie gemeinsam mit ihren zwei Kindern in einem kurdischen Lager und möchte zurück nach Hause.