Ex-Präsident Tadić kritisiert EU-Politik gegenüber Serbien
Die Studierenden, die ihre Stimme gegen die elementare Ungerechtigkeit und Korruption im Land erhoben hätten, hätten "etwas Neues" in die serbische Politik und Gesellschaft gebracht, sagte Tadić im Interview am Rande einer Westbalkan-Konferenz. "Jetzt brauchen wir auch ein politisches Erwachen dieser jungen Leute, aber da gibt es ein Problem. Sie haben keine politische Erfahrung und keine politischen Fähigkeiten, aber ohne diese ist ein politischer Wandel nicht möglich", so der Ex-Präsident. Er plädierte für Unterstützung und Hilfe für die Studenten, auch von Seiten der EU. Brüssel solle nicht nur mit der serbischen Opposition sprechen, sondern auch den Studenten zuhören.
"Leider betrachtet die EU das Regime von Vučić nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Interessen", sagte Tadić mit Blick darauf, dass Brüssel und auch einzelne Länder das autoritäre Regime des serbischen Präsidenten seit Jahren tolerieren. Frankreich habe beispielsweise das Interesse, Kampfflugzeuge an Serbien zu verkaufen, Deutschland sei an den serbischen Lithiumvorkommen interessiert, zählte er auf. "Das zerstört aber die Demokratie in Serbien und die europäischen Grundwerte", warnte der Ex-Präsident.
Die serbischen Studenten seien derzeit "die größten Hüter der europäischen Werte auf dem europäischen Kontinent, weil sie für Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit kämpfen", betonte Tadić.
Fortsetzung der Proteste
Tadić rechnet mit einer Fortsetzung der Proteste. Einer der kritischen Punkte sei die derzeitige Blockade des öffentlich-rechtlichen Senders RTS in Belgrad, den er als "Hochburg des Vučić-Regimes" bezeichnete. Die Studenten würden den Druck auf diese kritischen Punkte aufrechterhalten. "Sie spüren instinktiv, was diese Punkte sind", sagte Tadić, der selbst an den Protesten teilnimmt.
Eine Zusammenarbeit zwischen den Studenten und der Opposition wäre gut, so Tadić. Dies sei jedoch ein heikles Thema, da die Studenten kein Vertrauen mehr in die Politik hätten. "Ich denke, es wäre gut, wenn sich Studenten, Oppositionsparteien, prominente Persönlichkeiten und die Universität zusammensetzen würden, um die offenen Fragen zu diskutieren und auch die Fehler aufzuzeigen, die gemacht wurden", betonte er.
Tadić mahnte zur Vorsicht bei Ideen, die als mögliche Lösungen für die politische Krise in Serbien genannt werden, etwa eine Expertenregierung. Wenn das jetzige Regime durch eine Expertenregierung ersetzt wird, die keine Ahnung von praktischer Politik habe und die Bürger enttäusche, dann, so der Ex-Präsident, würde Serbien in einen Teufelskreis geraten, aus dem es nie wieder herauskommt. Das wäre schlecht für das Land und für die ganze Region.
(Das Gespräch führte Nina Maček Razboršek/APA)
Zusammenfassung
- Der frühere serbische Präsident Boris Tadić kritisiert die EU für ihre Toleranz gegenüber dem autoritären Regime von Präsident Vučić und sieht in den monatelangen Protesten einen kritischen Punkt für Serbien.
- Tadić hebt die Bedeutung der studentischen Proteste hervor, die gegen Ungerechtigkeit und Korruption kämpfen, und fordert Unterstützung von der EU, um einen politischen Wandel zu ermöglichen.
- Er warnt vor einer Expertenregierung ohne politische Erfahrung, die das Land in einen Teufelskreis führen könnte, und betont die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen Studenten und Opposition.