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Experte Obwexer schätzt Klima-Urteil als "bahnbrechend" ein

Die Verurteilung der Schweiz wegen mangelnden Klimaschutzes durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) sieht der Europa- und Völkerrechtler Walter Obwexer als "bahnbrechend" an. "Das hat zur Konsequenz, dass dieses Recht auf Klimaschutz nun auch in Österreich gilt", so der Experte am Mittwoch im Ö1-"Morgenjournal".

Die 17 Richterinnen und Richter in Straßburg gaben einer Gruppe Schweizer Seniorinnen am Dienstag recht, die ihrer Regierung vorwerfen, nicht genug gegen den Klimawandel zu tun. Zwei weitere Klagen aus Frankreich und Portugal wies das Gericht als "unzulässig" ab.

Gerichte hierzulande müssten in Folge des Urteils ihre verhältnismäßig strengen Voraussetzungen für Klagen lockern und Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten oder Organisationen leichteren Zugang geben, so der Experte. Bisher habe es "durchaus strenge" Voraussetzungen für Klagen gegeben. Dafür sei unerheblich, ob es in Österreich ein - von vielen Expertinnen, Experten und Organisationen schon seit Jahren gefordertes - gültiges Klimaschutzgesetz gebe. In der EU gelten klare Vorgaben zur Eindämmung des menschengemachten Klimawandels und die Mitgliedsstaaten seien daran gebunden. Wenn der eigene Staat keine entsprechenden Maßnahmen setze, könne gerichtlich dagegen vorgegangen werden.

Jeder EU-Staat sei auch verpflichtet, einen Nationalen Energie- und Klimaplans (NEKP) vorzulegen. In Österreich herrscht innerhalb der Regierung ein Disput rund um das entsprechende Papier. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) hatte einen Vorentwurf nach Brüssel geschickt, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zog ihn kurz danach medienwirksam wieder zurück. Die EU-Kommission leitete daher ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich ein, was zu empfindlich hohen Strafzahlungen führen könnte.

In den jeweiligen NEKPs skizzieren die EU-Mitgliedstaaten, wie sie ihre Energie- und Klimaziele bis 2030 erreichen wollen. Der finale Klimaplan muss bis Juni 2024 bei der EU-Kommission eingereicht werden.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) sieht das Urteil als "Unterstützung" an. Sinnvoll sei es allemal, wenn mehr weitergehe, meinte er am Rande des Ministerrats. Gleichzeitig machte Kogler klar, dass es wirkungsvoller wäre, wenn entsprechende Regelungen auch außerhalb des europäischen Raums vollzogen werden. Dass in der Koalition noch immer keine Verständigung auf ein Klimaschutzgesetz gelungen ist, sieht der Vizekanzler nicht als Beleg dafür, dass in Österreich auf diesem Gebiet nichts weiter gehe. Denn Klimaschutz werde auf vielen Ebenen betrieben. Sinnvoll wäre ein Beschluss dennoch.

"Das Urteil hat zwar keine Bindungs-, aber eine Orientierungswirkung gegenüber Österreich", sagte Birgit Hollaus vom Institut für Recht und Governance der Wirtschaftsuniversität Wien gegenüber den "Salzburger Nachrichten" am Mittwoch. Generell sei klargestellt worden, dass "Menschenrechte auch eine Klimadimension" haben. Auch im Klimaschutzministerium werde bereits mit Auswirkungen auf weitere Verfahren durch das Urteil gerechnet: "Die Chancen auf erfolgreiche weitere Klimaklagen haben sich sicherlich erhöht", heißt es.

ribbon Zusammenfassung
  • Das Europäische Gericht für Menschenrechte verurteilt die Schweiz für ungenügenden Klimaschutz, ein Urteil, das als wegweisend für Österreich gesehen wird.
  • Österreichische Gerichte könnten nun gezwungen sein, die strengen Voraussetzungen für Klimaklagen zu lockern, was Aktivisten und Organisationen den Zugang erleichtern würde.
  • Die EU hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet, da kein Nationaler Energie- und Klimaplan vorgelegt wurde; eine Einigung innerhalb der Regierung steht noch aus.