Keine Wunderwaffe, aber ein erster Schritt
Für den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz war der Festakt zum 60-Jahr-Jubiläeum des Élysée-Vertrages mit Frankreich am 22. Jänner in Paris offenbar ein besonderes Anliegen, nicht umsonst war er dazu mit seinem gesamten Kabinett angereist. Der Vertrag ist ein Abkommen zur deutsch-französischen Zusammenarbeit in allen wichtigen Fragen der Außen-, Sicherheits-, Jugend-und Kulturpolitik. Die Präambel bekräftigt allerdings auch die engen Bindungen Deutschlands an die USA, die Unterstützung des Beitrittswunsches Großbritanniens zur EWG und das Streben nach übernationalen Regeln.
Lehren aus blutigen Kriegen
Auch wenn der damalige französische Staatspräsident Charles de Gaulle eine engere Bindung der beiden Länder als Gegengewicht zu den angelsächsischen Mächten angestrebt hatte und daher mit eben dieser Präambel, auf der Deutschland beharrte, nicht glücklich war, und das Abkommen selbst zu keiner entscheidenden Kooperation in Fragen der Wirtschaft, Forschung, Verteidigung und Außenpolitik führte, gilt es als formeller Beginn der deutsch-französischen Freundschaft. Sein Zustandekommen beruht auf der Erkenntnis aus den traumatisierenden Niederlagen in gegeneinander geführten Kriegen – Deutschland in beiden Weltkriegen, Frankreich 1871 und die militärische Niederlage 1940 -, dass letztlich kein Kriegsziel die Opfer und die Zerstörungen rechtfertigt, die ein Krieg gegen den Nachbarn verursacht.
Genau diesen Prinzipien – keine außen- und sicherheitspolitischen Alleingänge, ausgewogene strukturelle Einbindung in Allianzen und Bündnisse, Abstimmung aller wichtigen Entscheidungen mit den Partnern – fühlt sich der deutsche Kanzler offenbar auch heute, wo es um strategische Weichenstellungen im Sinne der so oft beschworenen Zeitenwende geht, besonders verpflichtet.
Nun haben sich die geopolitischen Rahmenbedingungen entscheidend verändert, die Sowjetunion und der Warschauer Pakt sind aufgelöst, Deutschland ist von Freunden und Partnern umgeben und als bedeutender wirtschaftlicher Motor Europas mit Erwartungshaltungen konfrontiert, sein Gewicht zunehmend auch in sicherheitspolitischen Fragen im europäischen Interesse in die Schale zu werfen. Dass die damit fallweise verbundene Übernahme einer Führungsrolle offenbar nicht leicht fällt, sollte angesichts der oben beschriebenen Prinzipien deutscher Nachkriegspolitik zwar nicht verwundern, führte aber in der Frage der Lieferung von deutschen Kampfpanzern des Typs Leopard 2 an die Ukraine in den letzten Wochen zu Verstimmungen zwischen den Partnernationen.
Mehrere Bataillone für die Ukraine
Was sich bereits seit einiger Zeit abgezeichnet hatte, wurde am 25. Jänner durch Bundeskanzler Scholz offiziell bekanntgegeben: Deutschland wird ehestmöglich der Ukraine 14 Kampfpanzer des Typs Leopard 2A6 aus aktiven Beständen der Deutschen Bundeswehr zur Verfügung stellen und die Ansuchen aus anderen Betreiberstaaten des Leopard 2 um Export dieser Waffensysteme in die Ukraine genehmigen. Unmittelbar im Anschluss an diese Ankündigung gaben die USA bekannt, dass sie der Ukraine 31 Kampfpanzer des Typs M1 liefern werden. Davor hatten bereits Großbritannien und Polen konkrete Lieferungen von Kampfpanzern angekündigt, andere Länder angedeutet, nachziehen zu wollen.
Insgesamt dürften der Ukraine damit in wenigen Monaten mehrere Bataillone an modernen Kampfpanzern westlicher Bauart zur Verfügung stehen, weitere Lieferungen nach Maßgabe der logistischen Kapazitäten – besonders auch jener Deutschlands – werden nicht ausgeschlossen.
Diese Ankündigungen kommen zu einem Zeitpunkt, zu dem in der Ukraine sich beide Kriegsparteien auf eine Intensivierung der Kampfhandlungen nach dem Winter vorbereiten. Während in der Ostukraine vor allem im Raum Bakhmut um jeden Meter mit hohem Blutzoll gekämpft wird, entscheidet sich der weitere Verlauf und potenziell der Ausgang des Krieges in eben diesen Vorbereitungen. Während Russland in den besetzten Gebieten der Ost- und Südukraine neue, mobilgemachte Kräfte zuführt und das Gelände tief gestaffelt gegen Angriffe befestigt, versucht die Ukraine, eine Offensivfähigkeit ihrer Streitkräfte herzustellen, um die verloren gegangenen Territorien wiederzugewinnen.
Vorsicht vor Euphorie
Dass dafür moderne Kampfpanzer aus westlicher Produktion von besonderer Bedeutung sein können, liegt auf der Hand. Bei aller mancherorts zu erkennenden Erleichterung über die jüngsten Entscheidungen für Panzerlieferungen an die Ukraine muss allerdings vor einer Euphorie gewarnt werden. Auch westliche Kampfpanzer stellen keine Wunderwaffe dar, eine erfolgreiche Offensive erfordert neben einem ausgewogenen Waffenmix und einer sorgfältigen Vorbereitung von Führung und Logistik auch einen den Zielen entsprechenden Umfang an Truppen und Waffensystemen. Mehrere Panzerbataillone allein werden für eine Wiedergewinnung der Ost- und Südukraine wohl nicht ausreichen.
Die wahre Bedeutung der deutschen Entscheidung liegt aber wohl in der Signalwirkung und der Setzung eines ersten Schrittes. Dies und die Dimension der Unterstützung des Westens - wie sie bei der letztwöchigen Konferenz in Ramstein zum Ausdruck kam -, demonstriert in eindrucksvoller Geschlossenheit gegenüber Russland, dass man die Ukraine nicht nur nachhaltig bei der Verteidigung des verbliebenen Territoriums unterstützen wird, sondern vielmehr auch bei einer angriffsweisen Wiederinbesitznahme der von Russland besetzten Territorien. Dies stellt letztlich die bedeutende politisch-strategische Dimension der Entscheidungen der letzten Tage dar.
Es wird sich zeigen, ob Russland ebenfalls einer Niederlage bedarf, um mit allen seinen Nachbarländern in Frieden und freundschaftlich verbunden zu bleiben.
Zusammenfassung
- Die Panzerlieferungen an die Ukraine allein werden die Wende nicht bringen. Aber sie zeigen Entschlossenheit gegenüber Putin. Es werde sich zeigen, ob Russland einer militärischen Niederlage bedarf, um mit allen seinen Nachbarländern in Frieden leben zu können.