Karners Weltblick: Die ultimative Machtdemonstration von Xi
Wie erwartet wurde dabei Xi Jinping in seinem Amt als Generalsekretär bestätigt, er wird damit für eine weitere Periode Parteivorsitzender bleiben und beim Volkskongress im März auch als Staatspräsident und Oberkommandierender der Streitkräfte Chinas bestätigt werden. Die damit zur Schau gestellte Stabilität ist allerdings eine trügerische. Unter der traditionell harmonisch dargestellten Oberfläche zeigten sich auch im Zuge des Kongresses Bruchlinien. Vordergründig deutlich wurde dies durch die öffentliche Abführung des Vorgängers von Xi in seinen Ämtern, Hu Jintao. Hu, der gemäß den bislang gültigen Gesetzen nach zwei Amtsperioden aus den Funktionen ausgeschieden war, galt als potenzieller Kritiker einer Regelung, die Xi auch darüber hinaus einen Verbleib in den Ämtern ermöglichen sollte. Seine Demütigung vor der Weltöffentlichkeit bedeutet in China den ultimativen Gesichtsverlust und eine unmissverständliche Warnung an alle Kader, sich dem Willen Xi’s nicht zu widersetzen. Gleichzeitig bildet diese Maßnahme auch eine ultimative Machtdemonstration von Xi, der damit zu Lebzeiten kaum ohne seine Zustimmung aus seinen Ämtern zu entfernen sein sollte.
Damit erheben sich eine Menge von Fragen: Wird eine chinesische Gesellschaft, die nach Jahrzehnten marktwirtschaftlicher Prosperität mehr Wohlstand genießt, tendenziell nicht mehr Freiheiten einfordern, als sie ein zunehmend restriktives Regime zu gewähren bereit ist? Was geschieht, wenn damit die stillschweigende Übereinkunft zwischen der Partei und der Bevölkerung – totale Kontrolle durch die Partei gegen Gewährung kapitalistischer Methoden – in Schieflage gerät? Gelingt es mit der Xi’schen Machtfülle, das Wohlstandsgefälle zwischen den Küstenregionen und anderen Gebieten Chinas aufzulösen? Wird es einem zunehmend autokratisch geführten chinesischen Regime gelingen, regionale, religiöse und Nationalitätenkonflikte kooperativ zu bearbeiten, ja zu befrieden? Und, nicht zuletzt von globaler Bedeutung: Was bedeutet die Machtzementierung Xis für seine außenpolitischen Ambitionen im pazifischen Raum, besonders auch gegenüber Taiwan und damit den USA? Im Lichte dieser Entwicklungen und den jüngsten Erfahrungen mit Abhängigkeiten von einem autokratischen Regime am Beispiel Russlands wird Europa jedenfalls gut beraten sein, die weitere Zusammenarbeit mit China mit großer Vorsicht zu gestalten.
In Bezug auf den Ukraine-Krieg hat sich China jedenfalls in den letzten Wochen bewusst zurückgehalten. Man beobachtet den Verlauf sehr genau, man zieht Lehren, politisch wie militärisch. Und davon gibt es einige.
Die Bekämpfung der einer Grundversorgung der Bevölkerung dienenden kritischen Infrastruktur der Ukraine durch Drohnen, die aus dem Iran stammen, stellt zunächst eine Dokumentation der militärischen Schwäche Russlands dar. Weil Russland militärisch zunehmend unter Druck gerät, will man die Moral der ukrainischen Bevölkerung brechen und sie zur Flucht aus den betroffenen Regionen veranlassen, um damit Druck auf die ukrainische und die Führung der westlichen Staaten auszuüben, den Krieg zum Nachteil der Ukraine zu beenden. Begleitet wird dies durch diffuse Andeutungen eines potenziellen Einsatzes einer "schmutzigen Bombe" durch die Ukraine. Auch dieses gestiegene Niveau von Desinformation und (eigentlich ziemlich peinlicher) Propaganda deutet auf eine gestiegene Nervosität des russischen Regimes hin. Aktuell scheint dies alles letztlich – auch wenn Apologeten eines neuen Europa unter großrussischer Führung dies wahrscheinlich anders sehen – auf eine Selbstmarginalisierung Russlands hinauszulaufen. Zu wirksam werden sich die Folgen der militärischen Schwäche wie auch der politischen Isolierung für Russland gestalten.
Bleibt – wie beinahe immer – die Frage nach der Rolle und der Position Europas, soll heißen, der EU.
Die Antwort ist: Wenn Europa sich nicht auf einen Willen verständigen kann, Macht zu entwickeln, um in seinem Interesse zu gestalten, gibt es keine wirkliche kollektive Rolle. Die USA und China werden dann wesentlich die Akzente setzen, welche die Entwicklungslinien vorgeben.
Last, but not least: Die sogenannte österreichische Neutralität, am Nationalfeiertag von allen politischen Gruppierungen in unterschiedlicher Intensität beschworen, wird dann zwar als Ersatz einer professionellen und an den Interessen Österreichs orientierten Politik weiterhin wie eine Monstranz für die eigene weitere Provinzialisierung vor uns hergetragen werden, wird aber als Antwort auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft nicht genügen können. Einen Beitrag zur Erhöhung des kollektiven sicherheitspolitischen Gewichts der EU kann orthodox interpretierte Neutralität jedenfalls sicher nicht leisten.
Zusammenfassung
- Mögen die Angriffe Russlands auf die kritische Infrastruktur der Ukraine noch so wütend sein, aus weltpolitischer Sicht bildete der zu Ende gehende Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas das bestimmende Element der vergangenen Woche.