Damals und heute
Das Ereignis markierte das Ende einer der blutigsten Schlachten des 2. Weltkriegs und gilt als eine Kriegswende, weil es die erste schwere Niederlage Deutschlands im Angriffskrieg gegen die Sowjetunion bildete. An der Schlacht um Stalingrad waren praktisch alle Völker der UdSSR beteiligt, alle erbrachten erhebliche Opfer und erlitten erschreckend hohe Verluste. Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass bei den Feierlichkeiten zum Jahrestag des Sieges der Roten Armee, zu der Wladimir Putin persönlich erwartet wird, hauptsächlich von einem russischen Sieg die Rede sein wird.
Dies entspricht dem Selbstverständnis des russischen Regimes, wird aber der Leistung der anderen im sowjetischen Vielvölkerstaat vertretenen Volksgruppen nicht gerecht. Nach wie vor trübt die informelle – und von Russland geförderte – Gleichsetzung der Sowjetunion mit Russland den Blick auf die Tatsache, dass mit dem Zerfall der UdSSR 1991 Nachfolgestaaten entstanden sind, deren Völker auf eigene Traditionen und Identitäten abseits der russischen zurückblicken können, und deren Existenz über das Völkerrecht hinaus in den bestehenden Grenzen legitim ist. Und wenn am 27. Jänner , dem Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, der Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus begangen wurde, so sollte der Erwähnung wert sein, dass es ein Bataillon der 1. Ukrainischen Front war, das als erstes Auschwitz erreichte. Sein Kommandeur war Anatoly Schapiro, ein Ukrainer jüdischer Herkunft.
Knapp 80 Jahre danach wird in den ostukrainischen Oblasten Donezk und Luhansk – weniger als 400 Kilometer von Wolgograd entfernt – wieder ein blutiger Krieg geführt. In diesem wird die Durchhaltefähigkeit der Kriegsparteien zunehmend zum Thema – militärisch und politisch. Bei beiden Ländern hängt diese sowohl von inneren, als auch von äußeren Faktoren ab. Ohne die Bruchlinien in der westlichen Staatengemeinschaft bei der Unterstützung der Ukraine zu unterschätzen, stellen sich die äußeren Rahmenbedingungen für die Ukraine doch etwas vorteilhafter dar: Wie bereits in der letzten Woche dargelegt, hatte man schon vor der Entscheidung mehrerer westlicher Nationen zur Lieferung von Kampfpanzern im "Ramstein-Format" ein sehr umfängliches Paket von Waffensystemen, Ausrüstung und Munition zur Unterstützung der Ukraine geschnürt. Gleichzeitig will die EU bei einem Treffen mit der ukrainischen Staatsführung am 3. Februar Solidarität mit dem angegriffenen Land demonstrieren.
Zögerlichkeit und Inkonsequenz
In der Frage der Lieferung von Kampfflugzeugen zeigen sich aber neuerlich Zögerlichkeit und Inkonsequenz des Westens. Obwohl mehr als ausreichend klar gestellt ist, dass Waffenlieferungen nicht mit einer direkten Beteiligung am Krieg verbunden sind, gibt es noch immer politische Ängste, "in den Krieg hineingezogen" zu werden. Und wurde in der letzten Woche an dieser Stelle angemerkt, dass mit der Zusage der Lieferung von Kampfpanzern unausgesprochen, aber faktisch die Anerkennung des ukrainischen Kriegsziels der Wiedergewinnung des verlorenen Territoriums verbunden ist, so wenig konsequent wäre dann die Verweigerung von Kampfflugzeugen.
Eine Offensive, die diese Bezeichnung verdient, ist ohne ausreichenden Luftschirm nicht erfolgreich zu führen, wie zahlreiche Beispiele aus der Kriegsgeschichte zeigen. Das sollten alle Stimmen im Westen berücksichtigen, die meinen, mit den Panzerlieferungen wäre es nun aber genug und die ukrainischen Forderungen nach Kampfflugzeugen wären überzogen. Diese sind vielmehr nur konsequent, verfügt doch die Ukraine aktuell nicht über eine für die Herstellung einer Luftüberlegenheit erforderlichen Luftstreitkräfte. Wie bei den Kampfpanzern gilt auch für Flugzeuge: Nach einer Entscheidung für eine Lieferung wird es je nach Provenienz und Type Monate dauern, bis diese Systeme für einen Einsatz mit ukrainischen Besatzungen zur Verfügung stehen. Und ein Einsatz von einzelnen Einheiten – je nach Eintreffen – wäre militärisch sinnlos und würde keine machtvolle Offensive erlauben. Für eine solche sind letztlich örtlich und zeitlich koordiniert überlegene Kräfte zu konzentrieren.
Sogar Nordkorea wird zimperlich
Die äußeren Faktoren der russischen Durchhaltefähigkeit werden zunehmend strapaziert. Selbst Nordkorea – ein Lieferant zumindest von Artilleriemunition an Russland – fühlt sich bemüßigt zu betonen, keine Munition an die Wagner-Gruppe im Einsatz in der Ukraine zu liefern. Und das Regime im Iran, das Russland u. a. jene Drohnen bzw. deren Technologie zur Verfügung stellt, die dazu beitragen, die kritische Infrastruktur für die Versorgung der ukrainischen Zivilbevölkerung zu zerstören, bleibt unter schwerem Druck durch die inneren Protestbewegungen.
Auch die inneren Faktoren der Durchhaltefähigkeit Russlands im Krieg stehen unter größerem Druck als es die Propaganda wahrhaben will: Nach verschiedenen Angaben sind die Arsenale vor allem bei den komplexeren Waffensystemen, wie etwa manchen Marschflugkörpern, auf zehn Prozent des ursprünglichen Bestandes geschrumpft. Eine Nachproduktion ist auf Grund der westlichen Sanktionen zumindest verlangsamt. Und mehrere glaubwürdige Quellen berichten davon, dass aus den mobilgemachten Kräften immer wieder Klagen über den Mangel an Ausrüstung und modernen Waffensystemen laut würden.
So könnte die aktuell beobachtbare Zuführung erheblicher Kräfte in der Ostukraine – glaubwürdige Quellen sprechen von über 300.000 Mann, zusätzlich sollen bis zu 200.000 in Vorbereitung auf russischem Territorium sein – darauf hindeuten, dass Russland bestrebt ist, zumindest in der Ostukraine vollendete Tatsachen zu schaffen, bevor die neuen westlichen Waffensysteme in der Ukraine einsatzbereit sind. Die Entscheidungsschwäche im Westen würde die Umsetzung einer derartigen Absicht jedenfalls begünstigen.
Zusammenfassung
- An diesem Tag vor 80 Jahren kapitulierte die 6. Armee der Deutschen Wehrmacht vor den sowjetischen Truppen in Stalingrad, dem heutigen Wolgograd.
- Den Beitrag der Ukrainer und vieler anderer Ethnien der damaligen Sowjetunion lässt man in Russland weiterhin unter den Tisch fallen.