Gerald Karner WeltblickPULS 24

Karners Weltblick: BRICS und der Ukraine-Krieg

Die sogenannten BRICS-Staaten versuchen die weltpolitische Gratwanderung, im Ukraine-Krieg zwischen dem Westen und Russland neutral zu bleiben. Das glückt unterschiedlich gut und birgt einige Probleme.

Unter dem Akronym BRICS wird im Allgemeinen ein Koordinierungsformat der aufstrebenden Wirtschaftsmächte Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika verstanden, die sich zum Zeitpunkt der Gründung der Gruppe-im Jahr 2006 durch ein besonders hohes Wirtschaftswachstum auszeichneten. Vieles hat sich seither verändert: Während China und Indien weiterhin hohe Wachstumsraten von 6 bis 7 Prozent jährlich verzeichnen, stagnieren die Volkswirtschaften der anderen Länder der Gruppe oder schrumpfen sogar.

Indien hat China in der Bevölkerungszahl 2023 überholt, letzteres schickt sich allerdings an, den USA ihren Rang als größte Wirtschaftsmacht der Welt streitig zu machen, und tritt mit zunehmendem Selbstbewusstsein auch als militärische Supermacht auf. Die Betroffenheit letztlich aller Staaten der BRICS-Gruppe – wenn auch in höchst unterschiedlicher Form – vom Krieg in der Ukraine macht nunmehr die Bedeutung dieses Konfliktes für die Entwicklung der globalen Machtverhältnisse überaus sichtbar.

Indien und Brasilien

Inwieweit Indien aus seiner im besten Fall als neutral zu bezeichnenden Haltung, indem es ausschließlich im eigenen Interesse handelt und vom billiger werdenden Import russischer Rohstoffe profitiert, daraus langfristig Nutzen zieht, bleibt abzuwarten. Das Land ist von seinen eigenen Problemen okkupiert und sieht sich offenkundig nicht in der Lage, eine aktive Rolle in der globalen Machtpolitik zu spielen.

Ähnliches gilt für Brasilien, dessen Präsident Lula da Silva in Bezug auf den Krieg in der Ukraine immer wieder durch eher eigenwillige Positionen mit antiwestlichen Untertönen aufhorchen lässt. Beide Staaten marginalisieren so auf Sicht ihre machtpolitischen Möglichkeiten und nützen mit diesen Haltungen klarerweise vor allem Russland.

Südafrika in der Zwickmühle

Im Vorfeld des Gipfeltreffens der BRICS-Gruppe vom 22. bis zum 24. August in Durban rückt das Gastgeberland Südafrika ins Blickfeld. Bekanntlich hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) am 17. März gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Haftbefehl wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland erlassen. Südafrika gehört zu den 123 Unterzeichnerstaaten des sogenannten Römischen Statuts, auf Basis dessen der IStGH gegründet wurde, und wäre somit verpflichtet, den russischen Staatschef bei einer Einreise zu verhaften und an Den Haag auszuliefern. Das Dilemma wird durch die traditionelle Nähe der Regierungspartei ANC zur Putin-Partei "Einiges Russland" verschärft und führte dort bereits zu Forderungen, aus dem Römischen Statut auszutreten.

Südafrika, dessen Wirtschaftswachstum aufgrund der politischen und sozialen Verwerfungen, nicht zuletzt auch der verbreiteten Korruption, weit hinter dem Niveau der anderen BRICS-Staaten (mit Ausnahme Russlands) zurückgeblieben ist, wird diesen Schritt wohl nicht setzen. Ein ähnlich peinliches Schauspiel wie vor acht Jahren, als der sudanesische Ex-Diktator Omar al-Baschir zu einem Gipfeltreffen der Afrikanischen Union in Johannesburg war, wird man sich dieses Mal wahrscheinlich ersparen. Nachdem damals ein unabhängiges Gericht auf Antrag einer NGO entschieden hatte, den Haftbefehl des IStGH an al-Baschir wegen Völkermord und Kriegsverbrechen in den Darfur-Provinzen zu vollziehen, verhalf der damalige südafrikanische Präsident Jacob Zuma al-Baschir zu einer nächtlichen Flucht. Russland und Südafrika sondieren jedenfalls derzeit Alternativszenarien.

Der Ukraine-Krieg und die Weltpolitik

Der Anlass zeigt anschaulich, vor welchen Herausforderungen jene Staaten stehen, die sich vom Krieg in der Ukraine wenig betroffen fühlen und aus unterschiedlichen Gründen ein Naheverhältnis zu Russland unterhalten bzw. Sympathien für das Land hegen. Man will den Aggressor nicht klar verurteilen, aber aus meist wirtschaftspolitisch begründetem Interesse sehr wohl an guten Beziehungen zum Westen festhalten.

Es wird letztlich vom Ausgang des Krieges abhängen, ob jene Länder, die jetzt versuchen, durch vorgebliche Äquidistanz (die real aber selbstverständlich dem Aggressor nützt), Passivität und Haltungslosigkeit die Situation auszusitzen, dafür noch belohnt werden, oder ob sie an machtpolitischem Gewicht verlieren. Auch deswegen hat eben dieser Ausgang des Krieges nicht nur erhebliche Folgen für die kontinental-europäischen, sondern auch für die globalen Machtverhältnisse.

Chinas Gratwanderung mit der Ukraine

China jedenfalls will dieses einem Abseitsstehen immanente Risiko des Machtverlusts offenbar nicht eingehen, obwohl dieses in seinem Fall aufgrund seines Gewichts relativ begrenzt wäre. Ohne seine grundsätzlich neutrale bis (im oben adressierten Verständnis) äquidistante Haltung vollständig aufzugeben, zeigt das jüngst geführte einstündige Telefonat von Staatspräsident Xi Jinping mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj möglicherweise, dass China nunmehr bereit sein könnte, sich in einer anderen Intensität als Vermittler zu involvieren, als mit einem so unverbindlichen wie realitätsfernen 12-Punkte-Plan.

Gesprächsbereitschaft war zwar von China bereits angedeutet worden, das Gespräch selbst wurde von Selenskyj eingefordert, zustande kam es mutmaßlich aber im Kontext der wirren Aussagen des chinesischen Botschafters in Frankreich, der u. a. meinte, der völkerrechtliche Status der Nachfolgestaaten der Sowjetunion wäre eigentlich noch ungeklärt, weil es noch keinen Vertrag darüber gebe. Dass derartige Aussagen das Misstrauen gegenüber China in Osteuropa und den zentralasiatischen Staaten, wo China sich um höheren Einfluss bemüht, schürt, kann wohl kaum im chinesischen Interesse liegen.

Nun hat Xi Jinping mit seinem Anruf bei Selenskyj diesen gefährlichen Fauxpas de facto richtig gestellt, er zeigt aber, wie schwer es offenbar auch große und mächtige Staaten mit restriktiven Kontrollstrukturen und einem gewaltigen Humanpotenzial haben, Veränderungen nicht nur zu erkennen, sondern auch darauf zu reagieren und dies im System zu implementieren. Und er zeigt, dass China wohl nach wie vor in einem Großmachtdenken in Einflusssphären verhaftet ist, in dem kleinere Länder nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Die nächsten Wochen werden zeigen, ob es weiterführende chinesische Schritte einer Vermittlung besonders im Lichte einer ukrainischen Frühjahrsoffensive geben wird.

ribbon Zusammenfassung
  • Die sogenannten BRICS-Staaten versuchen die weltpolitische Gratwanderung, im Ukraine-Krieg zwischen dem Westen und Russland neutral zu bleiben.
  • Das glückt unterschiedlich gut und birgt einige Probleme, so PULS 24 Kolumnist Gerald Karner.