Am Puls der Politik: Das wahre Sicherheitsrisiko heißt nicht Kickl
Wir sind wieder wer. Österreich schaffte es jüngst mit gleich zweimal höchst prominent in die internationalen Schlagzeilen. Zum einen mit: "Österreichs ist das unfreundlichste Land der Welt". Eine Erhebung des Expat-Netzwerks "InterNations" ergab: In keinem anderen Land ist es so schwer, freundschaftliche Kontakte zu Einheimischen zu knüpfen wie hierzulande. Österreich zählt so paradoxer sowohl bei der Lebensqualität als auch in Sachen Unfreundlichkeit zur Weltspitze.
Höchst unfreundlich zu Expats...
Maßlos freundlich sind wir offenbar zu eigentlich ungebetenen Gästen. Das sagt beinahe zeitgleich die zweite Schlagzeile, mit der Österreich dieser Tage international Furore macht. Die Financial Times (FT), publizistische Bibel der Wirtschaftswelt, lässt in einer groß aufmachten Story den "Dritten Mann" in Wien, einen ikonischen Film-Plot aus dem Kalten Krieg zwischen Ost und West, neu auferstehen. Tenor des Berichts: Österreich war immer ein Tummelplatz der Spione. Seit der Ukraine-Invasion ist es freilich zu einem Paradies für russische Geheimdienst-Operationen geworden. Denn Österreich tut im Gegensatz zu seiner europäischen Umwelt nichts, um diesen "Wilden Westen der Spionage in Wien" einzudämmen.
....maßlos freundlich zu Spionen
Die FT-Story ist nicht nur mit Fakten, sondern auch mit Experten-Zitaten belegt. Während europaweit seit der Invasion der Ukraine im Februar 2022 europaweit 400 russische Spione ausgewiesen wurden, mussten in Österreich gezählte vier Russen, die hier offiziell als Diplomaten tätig waren, das Land verlassen. Mit 180 akkreditierten russischen Diplomaten, ist weiterhin eine unverhältnismässig große Truppe in Putins Botschaft und bei internationalen Organisationen tätig. Mindestens ein Drittel davon "operiert illegal im Lande dank der laxen Überwachung und Ahndung von Spionage", so die FT.
Sicherer Boden für ausländische Dienste
Österreich bietet sich als Boden für Geheimdienstoperationen geradezu an. "Wenn ein russischer Geheimdienstoffizier eine Quelle in Deutschland pflegt, warum sollte er das Risiko eingehen, sie dort zu treffen? Er lädt sie lieber zum Skifahren oder auf einen Ball nach Österreich. Hier kann er neue Informanten rekrutieren und vollkommen unbehelligt abschöpfen", legt die FT den Finger auf die entscheidende Wunde.
Mythos Neutralität als Sicherheits-Bumerang
Denn Österreich ist gegenüber Spionage, die sich nicht direkt gegen das eigene Land richtet, vollkommen zahnlos. "Eine vergleichsweise sehr niedrige Strafdrohung macht ein Operieren auf österreichischem Staatsgebiet attraktiv ", räumt auch der jüngste heimische Verfasssungsschutzbericht ein: "Ausländische Staaten nutzen den neutralen Boden Österreichs als ein präferiertes Tätigkeitsgebiet für nachrichtendienstliche Aktivitäten".
Zu unverlässlich für Austausch von Geheimdienst-Infos
Der Mythos Neutralität droht so einmal mehr zum Bumerang zu werden. Internationale Diplomaten sagen gegenüber der FT: Österreich schneidet sich mit seinem verstärkt schlechten Ruf als ungehemmter Tummelplatz für Spione den Zugang zum Austausch von Geheimdienst-Informationen und generell zu wichtigen Informationen in Sachen Sicherheit ab. Vom fahrlässig gefährlichen Schlawinertum bis zur folgenschweren Selbstbeschädigung ist es da nur noch ein kleiner Schritt.
Nehammers neuer Bann gegen Kickl
Karl Nehammer hat aus purem politischen Überlebenswillen den zunehmend erfolgreichen Konkurrenten um ehemalige Kurz-Stimmen, FPÖ-Chef Herbert Kickl, zum "Sicherheitsrisiko" ausgerufen. Äußerer, etwas hochgehängter, Anlass war das strikte Nein der Blauen zur Teilnahme Österreichs am geplanten europäischen Schutz-Schirm-System "Sky Shield". Österreich hat freilich ein Sicherheitsrisiko, das weit über FPÖ-Chef Herbert Kickl hinausgeht. Es ist das mal feig schlampige, mal provokant ignorante ungeklärte Verhältnis zu seiner politischen Identität: Die immerwährende Neutralität wird auf der Bühne der Republik nach wie vor beweihräuchert, während sich auch hierzulande die Uhr sicherheitspolitisch längst weiterdreht.
Sky Shield als Anlass zu Ernsthafter Neutralitäts-Debatte
Die Teilnahme Österreichs an Sky Shield ist so zwar ein richtiger, durchaus couragierter Schritt des Kabinetts Nehammer-Kogler. Den entscheidenden Schritt verweigert aber zuvorderst der Kanzler nach wie vor. "Die Debatte über die Neutralität ist beendet", proklamiert Karl Nehammer panisch bevor er sie je eröffnet hat. Österreich hat in Sachen Putin, Ukraine & EU-Verteidigungspolitik allerdings weitaus mehr Diskussionsbedarf, als Kickl & Co als neues "Sicherheitsrisiko" einzuhegen. Wer 2023 dafür plädiert, besser den Kopf in den Sand zu stecken als sich im Krieg Russlands gegen die Ukraine klar auf die Seite des Angriffsopfers Putins zu stellen - wie das die Kickl-FPÖ tut - , ist in der Tat ein Sicherheitsrisiko.
Vertreibung aus dem "Spionageparadies Österreich" überfällig
Wer 2023 aber glaubt, mit der Beschwörung des Mythos Neutralität sein Land dauerhaft schützen zu können, gefährdet seine Glaubwürdigkeit bei seinen Nachbarn und politischen Partnern. Ein Zeichen des guten Willens ist daher überfällig: In Sachen Umgang mit zügellosen Geheimdienst-Aktivitäten und grenzenloser Spionage muss Österreich seine fahrlässig gefährliche Neutralität dringend hinterfragen. Schärfere Gesetze und Sanktionen gegen das zügellose Treiben ausländischer Dienste sind im Spionage-Paradies Österreich überfällig.
Josef Votzi ist Kolumnist des Magazin "Trend" und Kommunikationsberater (www.linkedin.com/in/josef-votzi). Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" erscheint jeden Freitag neu auf trend.at.
Zusammenfassung
- Der FPÖ-Chef hat sich mit seiner Putin-Tümelei ins Eck manövriert.
- Brandgefährlich droht aber der Umgang der Regierung mit der Lebenslüge Neutralität zu werden.