Österreichs Landwirtschaft – Starke Lobby ohne Vision?
Wie ist die Situation in Österreich? Puls 24 hat sich bei Landwirtschaftskammer, Bauernbund, Grünen Bauern, Via Campesina, NEOS und einem Agrarökonomen nachgefragt.
Verständnis für Proteste in Deutschland
Auslöser für die Proteste war die Kürzung der Dieselsubventionen – die deutsche Regierung musste ein Budgetloch füllen, zum Nachteil der Bauern. Bereits davor war die Frustration mit der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hoch.
Österreichs Landwirtschaftsvertreter haben dafür großes Verständnis. Landwirtschaftskammer, Bauernbund, Grüne, Via Campesina und NEOS sprechen gegenüber PULS 24 unisono von einer hohen Erwartungshaltung gegenüber den Bauern. Es gibt viele Vorgaben für die Branche mit eigentlich niedrigen Einkommen und hohem Arbeitsaufwand.
Starke Repräsentation in Regierung
Politisch ist die Situation in Österreich eine andere. Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger vertritt auf Bundesebene rund 115.000 landwirtschaftliche Betriebe. Mit der ÖVP in der Regierung haben die Bauern eine starke Vertretung.
"Während in Deutschland Kürzungen angedacht sind, haben wir fürs kommende Jahr, also für das Jahr 2024, ein Impulsprogramm für die Landwirtschaft im Budget verhandeln können", so Moosbrugger.
Der ÖVP-nahe Bauernbund ist in Österreich die größte Organisation innerhalb der Landwirtschaft – jede Landwirtschaftskammerwahl auf Länderebene wurde mit mehr als 60 Prozent der Stimmen gewonnen.
Die Vernetzung zwischen Landwirtschaftskammer und Bauernbund ist stark – so war auch der aktuelle Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) vor seinem jetzigen Amt Direktor des Bauernbundes. Seit 36 Jahren sind die Landwirtschaftsagenden in Österreich in der Hand der Volkspartei mit Ausnahme der Expertenregierung unter Brigitte Bierlein.
Beobachter des Sektors sehen hier eine starke Lobby, die sich politisch auf allen Ebenen für ihre Mitglieder einsetzt. Und der Bauernbund ist mit mehr als 200.000 Mitgliedern immerhin die zweitgrößte Teilorganisation der ÖVP, nach dem Seniorenbund.
"Das Paradox" der österreichischen Landwirtschaft: Die ÖVP stellt seit Jahren den Landwirtschaftsminister, der Bauernbund dominiert die Landwirtschaftskammer, die Volkspartei gibt im Agrarbereich den Ton an, bestimmt wie Subventionen und EU-Gelder vergeben werden. Trotzdem sehen alle Vertreter Verbesserungspotenzial.
Was sind die Probleme der Landwirtschaft in Österreich?
Die "Bauern" sind keine einheitliche Gruppe – die Herausforderungen von Bergbauern, Viehbauern, Weinbauern sind grundverschieden.
David Süß ist Direktor des Bauernbunds. Schwankende Preise und ein Bestehen der österreichischen Produkte am globalen Markt sieht er als große Herausforderungen für die Landwirte in Österreich. Der Bauernbund will zum Beispiel dieselben Standards für alle: Eingeforderte Tierwohl-Standards müssen auch für Importware bestehen. Für Getreidebauern sind Importe aus der Ukraine ein großes Thema – der Bauernbund ist solidarisch mit der Ukraine, aber das Getreide dürfe nicht in Europa Absatz finden.
Ein Teil der österreichischen Agrarbetriebe profitierte vom Ukraine-Krieg: Weil die Ukraine weniger exportierte, stiegen die Preise für Getreide am Weltmarkt stark an (z.B. Roggen um 67 Prozent im Vergleich zum Vorjahr). Einzelne Betriebe konnten dadurch bis zu 40 Prozent mehr als im Vorjahr erwirtschaften, so der "Grüne Bericht 2023" des Landwirtschaftsministeriums.
Die sogenannten Marktfruchtbetriebe bewirtschaften im flachen Ostösterreich große Flächen und große Mengen. Je bergiger die Landschaft, desto kleiner die Betriebe, desto schwieriger der Einsatz von spezialisierten Maschinen.
Die Via Campesina ist eine bäuerliche Basisbewegung, die Österreichische Berg- und Kleinbäuer:innen-Vereinigung. Sie gehört zu keiner Partei, stellt die Inhalte der Landwirtschaft in den Vordergrund und betreibt auch Bildungsarbeit.
Vorstandsmitglied und Biobauer Ludwig Rumetshofer kritisiert vor allem eine fehlende langfristige Planbarkeit für die Landwirtinnen und Landwirte. Er vermisst "eine Art Vision, was will man in Österreich in Bezug auf Landwirtschaft und Ernährung im weitesten Sinne, wo möchte man dahin steuern? Diese Vision gibt es nicht."
Die Bedingungen, unter denen gewirtschaftet wird, ändern sich immer wieder. Auflagen wie etwa zu Tierwohl, die die Via Campesina an sich befürwortet, schaffen auch Herausforderungen:
"Man hat vor fünf Jahren einen Stall neu konzipiert, neu gebaut, hat dafür einen Kredit aufgenommen. In dem Glauben, dass man das für die nächsten 20, 25 Jahre in dieser Stallung mit dem wirtschaften kann. Jetzt ändert es sich wieder. Es muss wieder ein Kredit aufgenommen werden, um den Stall umzubauen. Dann führt das natürlich zu Frustration", erklärt Ludwig Rumetshofer.
Die fehlende Vision kritisiert auch NEOS-Agrarsprecherin Karin Doppelbauer. Die aktuelle Regierung habe keine wegweisenden Gesetze auf den Weg gebracht, um die Zukunftsaussichten der Landwirte zu verbessern. Landwirte sollen angemessen von ihrem Erwerb leben können, es brauche in Österreich eine Umschichtung der Fördermittel.
Viel Geld für wenige
Landwirtschaft ist der einzige Teilbereich der Europäischen Union, in dem es eine gemeinsame Politik der Mitgliedsstaaten gibt. Alle sechs Jahre wird vom Trilog (EU-Parlament, Rat der EU und Europäische Kommission) die gemeinsame Agrarpolitik der EU auf eine Periode von sechs Jahren verhandelt – deshalb ist es für die Bauernschaft sehr wichtig, wer in Brüssel am Verhandlungstisch sitzt.
Zwischen 2023 und 2027 stehen Österreich 8,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Ein großer Teil dieser Förderungen wird nach Betriebsgröße, also pro Hektar, vergeben.
Das ist ein Hauptkritikpunkt vieler Akteure, große Betriebe würden so begünstigt werden, meint zum Beispiel Grünen-Generalsekretärin Olga Voglauer. Sie ist selbst Biobäuerin in Kärnten.
"Und deshalb schlucken dann die Großen die Kleinen. Weil für jemanden, der bereits 150 Hektar bewirtschaftet, ist es kein Problem, 20 Hektar dazu zu pachten. Für jemand, der aber nur 20 Hektar bewirtschaftet und die notwendige maschinelle Ausstattung, sprich die Traktoren und die Maschinen, dazu nicht hat, der kann nicht auf einmal auf 100 Hektar wachsen", so Voglauer.
Eine weitere Herausforderung ist die Klimakrise: Landwirte spüren die steigenden Kosten und Produktionsausfälle schon jetzt. Schadholz durch Borkenkäfer oder steigende Hagel-Schäden – diese neuen Herausforderungen müssen in Diskussionen Platz finden, so die Grüne Generalsekretärin.
Das Höfesterben in Österreich
All das begünstigt das Hofsterben in Österreich. 2023 gab es in Österreich 127.455 land- und forstwirtschaftliche Betriebe. 2013 waren es noch 167.500 Betriebe. Durchschnittlich lag die Betriebsgröße in Österreich 2020 bei 44,9 Hektar, 57 Prozent aller Betriebe wurden im Nebenerwerb geführt.
"Wir nennen das geschönt 'Strukturwandel', aber in Wirklichkeit ist es ein Höfesterben. Das wird dadurch befeuert, dass man dem Modell 'Wachsen oder Weichen' gefolgt ist. Mit dem Fördern von landwirtschaftlicher Tätigkeit pro Hektar verschärfen wir diese Situation noch", so die Biobäuerin und Politikerin.
"Wachsen oder Weichen" sei aber kein Modell, sondern eine "natürliche Entwicklung" einer Volkswirtschaft aufgrund von technischem Fortschritt, so Agrarökonom Klaus Salhofer. Er leitet an der Universität für Bodenkultur das Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung.
Es werden in Österreich häufig die kleinen, stark betroffenen Betriebe als Beispiele hergenommen – nur ist die Situation nicht für alle gleich. Kleine Betriebe kämpfen stärker mit den marktwirtschaftlichen Herausforderungen: Ihre Produktion ist weniger effizient, die Produktionskosten deshalb höher und sie bekommen wegen der geringen Größe weniger EU-Förderungen.
Gegenüber PULS 24 betonte Landwirtschaftskammerpräsident Moosbrugger auch den hohen Druck seitens des Lebensmitteleinzelhandels gegenüber den landwirtschaftlichen Betrieben. Es sollen "immer mehr Auflagen in der Produktion erfüllt werden und gleichzeitig der Markt immer billiger und weniger dafür zu bezahlen. Das geht sich nicht mehr aus für die bäuerlichen Betriebe". Dem stimmten auch Voglauer, Süß vom Bauernbund und Via-Campesina-Vertreter Rumetshofer zu.
Nicht die Landwirtschaft bestimmt den Preis, sondern der Einzelhandel und Abnehmer wie Molkereien, so der Tenor.
Größer, effizienter, billiger
Gleichzeitig schafft allerdings der Handel auch die Nachfrage für die Produkte der Landwirtschaft. Mehr Absatz sei für die Landwirtschaft prinzipiell gut, so Ökonom Salhofer.
Nur: Je nach Größe und Organisation der Betriebe unterscheiden sich die Produktionskosten je Liter Milch gravierend. Höher technologisierte Betriebe produzieren effizienter. Sie können einen Liter Milch zu einem geringeren Preis produzieren. Molkereien würden aber denen, für die das nicht möglich ist, nicht entgegenkommen.
"Es ist halt oft einfach, irgendein Feindbild zu finden", der Lebensmitteleinzelhandel habe hier den schwarzen Peter auch von der Politik in Sachen Preiserhöhung zugespielt bekommen, meint Salhofer.
Landwirtschaft sei eine energieintensive Angelegenheit – Ursachen für die Preissteigerungen der letzten Jahre sieht Salhofer im Produktionsausfall in der Ukraine und stark gestiegenen Energiepreisen. "Wie gesagt, wenn man 100 Liter Diesel pro Hektar braucht und die Dieselpreise erhöhen sich, dann merkt man das natürlich in den Preisen für Lebensmittel. Und das ist es, was die Inflation angeheizt hat und nicht die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels."
Aber es gibt in Österreich landwirtschaftliche Betriebe, die um das Überleben kämpfen, so Salhofer. Nur nicht alle stehen kurz vor dem Konkurs.
"Manche Betriebe sind meiner Meinung nach einfach auch zu klein, um überlebensfähig zu sein."
Industrialisierung und Wohlstand gehen Hand in Hand. Den Strukturwandel könne man verlangsamen, aber nicht stoppen, man könne Menschen helfen andere Arbeit zu finden, oder Kompetenzen und Ausbildungen.
Mit Green Deal allein gelassen
Im Juni wird in Brüssel das Europäische Parlament gewählt. Green Deal und die EU-Landwirtschaftspolitik stellen die Bäuerinnen und Bauern vor immer größere Herausforderungen, das sieht auch Ökonom Salhofer. Tierwohl soll erhöht werden, Pestizide und Antibiotika reduziert, es soll umweltschonender werden. Das werde den Bauern vorgeschrieben, nur würden sie damit auch allein gelassen.
Unzufriedenheit ist vorhanden, in Österreich versucht die FPÖ Bauernschaft, im Rahmen der Proteste zu mobilisieren. Die Situation sehe man als "verheerend", man sei weder "Knecht", noch "Leibeigener" heißt es in einer Aussendung. Mehrmalige Interviewanfrage von PULS 24 an den FPÖ Parlamentsklub und die FPÖ Bauernschaft blieben unbeantwortet.
Die Heftigkeit der Bauernproteste in Deutschland habe Beobachter überrascht, so Ökonom Klaus Salhofer. Dass der Deutsche Bauernverband zur Mäßigung aufrief, sieht er als Zeichen, dass der Verband das "Zepter" nicht mehr in der Hand hat.
Für Landwirte ist die aktuelle Situation sehr unsicher. Ökonom Salhofer denkt, dass der Übergang zu einer umweltgerechteren Landwirtschaft die größte Herausforderung für Österreichs Agrarsektor ist. Mit einer kleinstrukturierten Landwirtschaft werde das schwieriger. Man müsse wahrscheinlich noch mehr professionalisieren, für Nebenerwerbsbetriebe ist das aufgrund der nötigen Investitionen eine noch größere Herausforderung.
Anmerkung: Die SPÖ Bauern waren für ein Gespräch angefragt, aus Termingründen kam kein Gespräch zustande.
Zusammenfassung
- Eine Woche lang streikten die Bauern in Deutschland, in einer Intensität, die Beobachter und Beobachterinnen überraschte.
- Die Kürzung der Dieselsubventionen war der Tropfen, der die Frustration zum Überlaufen brachte.
- Wie ist die Situation in Österreich?
- Puls 24 hat sich bei Landwirtschaftskammer, Bauernbund, Grünen Bauern, Via Campesina, NEOS und einem Agrarökonomen nachgefragt.
- Österreichs Landwirtschaftspolitik wird von Bauernvertretern bestimmt - nur löst das die Zukunftsherausforderungen des Sektors nicht.